Mid90s – Kritik

Rumhängen auf der Karriereleiter der Coolness. Jonah Hills Regiedebüt ist mehr als nur eine liebevolle Hommage an die Skaterkultur der Neunziger.

Maximal nervig, das Wartezimmer des Lebens, aber einfach Zeit totschlagen ist nicht. Vorbereitungen müssen getroffen werden, damit man bereit ist, wenn man endlich aufgerufen wird. Die Gemächer des großen Bruders entern, eifrig die Namen der entscheidenden Hip-Hop-Acts aus dem CD-Regal notieren, obwohl man noch nirgendwo damit angeben kann. Die gesammelten Zeitschriften nach Motiven absuchen, die die eigenen Refugien vom Kinder- zum Jugendzimmer zu transformieren helfen, obwohl in A4 eigentlich nichts so richtig geil aussieht. Vorsichtshalber schon mal den wöchentlichen Blockbuster-TV-Termin mit Mama absagen, obwohl man eigentlich noch gar nichts Besseres vorhat. Von der anderen Straßenseite beobachten, wie die coolen Kids einen armen Irak-Veteranen anpöbeln, obwohl man rein stimmlich noch gar nicht zum Pöbeln in der Lage ist. Also genau beobachten dieses Leben, aus der Distanz. Vorbereitung ist alles.

Verdammte Wuschelfrisur

Als Stevie (Sunny Suljic) dann endlich aufgerufen wird, zögert er keine Sekunde. „Kannst du das Wasser auffüllen?“ Der junge Ruben (Gio Galicia), bisher niedrigstes Glied in der Clique der cool kids vom lokalen Skatershop, leitet doch tatsächlich den eigentlich an ihn selbst gerichteten Auftrag an Stevie weiter. Der springt hoch, rast zum Waschbecken, füllt den Kanister auf und ist angekommen im Leben. Schon lernt er die ersten Lektionen: Danke sagt man nicht, das ist schwul. Meint zumindest Ruben. Und auch wenn der nicht viel älter aussieht als Stevie: Das grobschlächtige Gesicht, der Verzicht auf jede Lächelnsandeutung, die jede Street-Weisheit begleitende Isso-Miene, die hinters Ohr geklemmte Zigarette, verleiht ihm eine Autorität, die nicht weiter entfernt sein könnte von Stevies süßem Kindergesicht mit Wuschelfrisur oben drauf. Stevie gibt sich Mühe, diese Lücke zu schließen, aber Mühe geben ist halt das Uncoolste überhaupt, Anstrengung die Todsünde im Skaterreich. Jonah Hills Mid90s ist  irgendwie schon auch Hommage an diese Neunziger, vor allem aber ist es ein wunderschöner Film über jene dekadenunabhängige Lebensphase, in der sich geringste Altersunterschiede zu Lichtjahren von Erfahrungsunterschieden weiten können.

Der Rest der Crew

Weitere Lichtjahre entfernt die andern Mitglieder der Crew: der schwarze Skate-Profi Ray (Na-Kel Smith), der Coolste von allen, der ethnisch Nebenfiguren kaum zuordenbare „Fuckshit“ (Olan Prenatt) mit der blonden Lockenpracht und der bleiche, verpickelte Video-Freak „Fourth Grade“ (Ryder McLaughlin), der seinen Camcorder nie aus der Hand gibt. Es ist durchaus erstaunlich, was Jonah Hill, der Drehbuchautor, aus diesen Figuren, was Jonah Hill, der Regisseur, aus diesen (Laien-)Darstellern herausholt: Zwar ist Protagonist Stevie der Einzige, dessen Leben jenseits der Skater-Welt wir kennenlernen – Bruder Ian (Lucas Hedges) kann nicht fassen, dass der Kleine ihn statustechnisch zu überholen anschickt, Mutter Dabney (Katherine Waterston) greift irgendwann zu rabiaten Methoden, um ihren Kleinen nicht ans Ghetto zu verlieren. Und doch sind all die anderen Figuren der Clique so eigen, so bei sich, so autonom, dass wir uns ohne Umschweife ganze Biografien dazudenken können. Erst am Ende erklärt Ray Stevie ein wenig, wie es um die gemeinsamen Freunde und ihre dysfunktionalen Familien so steht – und dass nervige Mütter während der Pubertät nicht des Elends letzter Schluss sind.

Exemplarisch steht diese Szene für die schöne Schlichtheit dieses auf 16mm gedrehten Films. Sie erfüllt ihre Funktion, kommt dramaturgisch an der Stelle, an der wir sie erwarten, und steht doch ganz für sich, erscheint niemals als bloße Kopfgeburt. Mid90s versucht gar nicht, etwas anderes zu sein als ein sweeter und intelligenter Coming-of-Age-Film, er versucht nicht, dabei noch cool zu sein, denn das tun ja schon Stevie und seine Freunde. Und so baut dieser Film darauf, dass seine Figuren ihm schon genügend Leben einhauchen; und weil genau das eintritt, flüchtet er sich nach einem nachdenklichen Moment auch mal ins verdient pathetische Bild, in dem zwei Freunde zur Magic Hour verträumt den Santa Monica Boulevard runterskaten, mit passendem Soundtrack dazu.

Kampf der Codes

Narrative Konventionen, in denen doch stets alles offen ist, und so geht der Film auch mit seinem Sujet um. Mid90s erkennt einerseits das universelle Paradox des Erwachsenwerdens: dass das Begehren nach dem echten Leben nur um den Preis der Unterwerfung unter mitunter lebensfeindliche Codes zu stillen ist, dass man stets vorgelebt bekommt, was man zu erleben trachtet, dass Autonomie auf Imitation fußt, das Leben mit Einordnung, Hierarchien, ständiger Distinktion zu tun hat. Mid90s weiß aber auch, dass diese Codes keine Gene sind: „You know that you don’t have to do that?“, fragt Ray Stevie am Ende, als der mit gebrochenem Arm im Krankenhaus liegt. Den ethischen Kern des Films fasst ausgerechnet der Coolste von allen zusammen. Dann kann Mid90s aufhören.

Und die Frauen sind natürlich eh viel weiser. In einer der schönsten Szenen des Films nähert sich eine Neugierige dem romantisch noch völlig unbeholfenen Stevie auf einer Party an. „Du bist nicht wie die anderen“, und zum ersten und einzigen Mal in diesem Film will Stevie dann auch selbst lieber nicht so sein wie seine Buddys und nickt verschüchtert. Auf einmal gelten andere Codes, und befolgt man sie, kann die gewonnene Erfahrung später wieder in zwischenmännliche Sprechakte umcodiert werden. Bevor sie den Kleinen kichernd mit aufs Zimmer nimmt, noch so ein Stich ins Herz: „Wie süß, du bist gerade noch in dem Alter, in dem Jungs noch keine Arschlöcher sind.“ Und damit spricht sie einem Film aus dem Herzen, der eben beides ist: ein leidenschaftlicher Ruf ins Leben und eine melancholische Ode ans Wartezimmer.

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