Mickey 17 – Kritik
Drei, vier, fünf Filme stecken in Bong Joon-hos neuem Streich Mickey 17. Dazu ein ziemlich superer Robert Pattinson als Nr. 17 seiner von einer Art Sonnenbank ausgedruckten Inkarnationsreihe. Und süße Aliens mit weise in die Welt blickenden Äuglein: Sonderbar und sympathisch ungelenk, wie eine provisorisch zusammengeleimte Laubsägearbeit, kommt das daher.

Mickey Barnes (Robert Pattison) wischt sich die schneebedeckte Brille frei, aber vielleicht ist das keine gute Idee. Denn die Welt, die nun wieder vor seinen Augen liegt, ist ihm nicht zum Wohle eingerichtet. Weit oben ist ein Hauch von Himmel zu sehen, aber um ihn herum sind steile Eiswände. Er selbst ist offensichtlich in ein Eisloch gefallen und schwer verletzt. Das lächelnde Gesicht, das bald vor dem Himmel auftaucht, bringt keine Rettung, sondern nur die Bestätigung:
Du wirst hier unten sterben, Mickey. Aber das macht nichts, morgen bist du ja wieder da.

Wie das? Eine Rückblende klärt auf: Mickey Barnes ist gleichzeitig Mickey 17 und damit Teil eines Menschenexperiments, das sich der gescheiterte Politiker und begnadete Selbstdarsteller Kenneth Marshall (Mark Ruffalo mit einer Schmierenperformance vor dem Herrn) gemeinsam mit seiner Frau Ylfa (Toni Collette, mit Ruffalo um die Wette schmierend) ausgedacht hat. Mickey, im vorigen, bürgerlichen Leben ziemlich jämmerlich gescheitert, ist jetzt ein “Expendable”. Expendables sind gleichzeitig unsterblich und dauernd am sterben. Nach jedem ihrer Tode werden sie von einer verdächtig nach Sonnenbank ausschauenden Maschine neu “ausgedruckt”. Mickey ist das schon 16 mal passiert, deswegen: Mickey 17.
Bong Joon-hos neuer Film beruht auf dem gleichnamigen Science-Fiction Roman Robert Ashtons. Was die Konstruktion der Welt, in die Mickey hineingeworfen wird, angeht, darf man jedoch auch an Philip K. Dick denken. Wie nicht wenige Dick-Figuren ist Mickey eingespannt in einen paranoiden Zusammenhang, der, zumindest zunächst, kein Außen kennt. Die Erde ist, lernen wir ebenfalls in der Rückblende, bereits weitgehend vor die Hunde gegangen, die Menschheit, oder was von ihr übrig ist, sucht ihr Heil in kruden Sekten, einer totalitär unterhöhlten Scheindemokratie und der Kolonisierung fremder Planeten. Auf eben einer solchen Kolonie befindet sich auch Mickeys Eisloch.
Wenn der Film die Expositions-Rückblende abgearbeitet hat und wieder im Eisloch angelangt ist, scheint sich sein Möglichkeitsraum schon einigermaßen verengt zu haben. Das liegt vor allem an seinem durchweg etwas überspannten Tonfall. Wo sich in Dicks Romanen und auch einigen Dick-Verfilmungen die Paranoia zu einem allumfassenden, existenzialistischen Pessimismus verdichtet, gegen den die Hauptfigur eine versehrte Resthumanität in Stellung bringen kann, verdünnt Bong die Paranoia zu bloßer Satire. Etwa wenn er seinen dystopischen Gesellschaftsentwurf geschickt, aber auch etwas berechnend, mit der Achtsamkeits-Rhetorik der Gegenwart anreichert. Die Parallelen zwischen Marshall und diversen lautsprecherischen Politiker-Selbstdarstellern der Gegenwart sind ohnehin nicht zu übersehen.
Zwillings-Sexkomödie und Horror aufgrund eines Druckerfehlers

Insofern ahnt man recht früh, wie der Hase läuft. Wobei Mickey 17 in der Folge, zum Glück, doch noch ein paar Haken schlägt. Weil Bong, was erst einmal ein gutes Zeichen ist, eher zu viel als zu wenig zu erzählen hat. Drei, vier, fünf verschiedene Filme stecken in seinem neuen Streich. Der unterhaltsamste, der leider nicht besonders viel Screentime erhält, ist eine Zwillings-Sexkomödie, die ihren Ausgangspunkt bei einem Kopierfehler nimmt: Mickey 17 begegnet, nachdem er dem Eisloch doch noch entkommen ist, Mickey 18. Seine Gespielin Nasha (Naomi Ackie) findet Gefallen an der Idee, in Zukunft nicht nur mit einem, sondern mit zwei Mickeys ihr Repertoire an Sexstellungen zu erweitern.
Eine andere Abzweigung führt, naheliegenderweise, in Richtung Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Wo Mickey 17, Robert Pattison spielt das ziemlich super, ein linkischer, aber grundsympathischer Verlierertyp ist, entspringt Mickey 18 dem Kopiergerät mit ordentlich Wut im Bauch. Die im letzten Filmabschnitt politisch instrumentalisiert wird. Diese politische Perspektive ist denn auch diejenige, auf die sich der Film nach seiner stärksten, mittleren Phase festlegt.
Keller-Asseln: die heimlichen Stars
Endgültig ins Zentrum rücken dabei die heimlichen Stars des Films, die freilich ebenfalls bereits ganz am Anfang eingeführt werden. Denn Mickey ist in seinem Eisloch nicht allein. Er erhält Besuch von insektenartigen, an überdimensionierte Kellerasseln erinnernden Aliens. Diesen Ureinwohnern des Eisplaneten will Marshall, wie nicht anders zu erwarten, mit größtmöglicher Härte an die Gurgel gehen. Freilich erweisen sie sich alsbald als beseelt - und erst hier, in der sentimentalen Vermenschlichung des auf den ersten Blick Abjekten, kommt Bongs Film ganz zu sich selbst. Eine eifrige, nerdige Wissenschaftlerin - man würde gern mehr von ihr und weniger von einigen anderen Figuren, insbesondere von Ylfa, sehen; überhaupt stimmen die Proportionen oft nicht in Mickey 17 - baut ein Übersetzungsgerät für die Aliensprache. Sogar kleine, weise und traurig in die Welt blickende Äuglein haben die Viecher, stellt sich bald heraus. Und natürlich sind ihre Babys süß. Irgendwann möchte man ihnen selbst über ihre gepanzerten Köpfe streicheln.
Am Ende wird alles Arge weggeschwemmt von einer Welle substanzloser, aber emotional aufrichtiger Harmonie
Ein bisschen liebenswerter Spielberg-Fantasy-Quatsch steckt also auch in Mickey 17. Aber es dominiert, wie gesagt, letztlich die Politik. Zum antikolonialistischen Befreiungsepos mit Western-Einschlag wird der Film am Ende. Was zum satirischen Tonfall nicht passt, und zur Dick'schen Dystopie schon gar nicht. Es ist, als würde alles Arge einfach weggeschwemmt, von einer Welle substanzloser, aber emotional aufrichtiger Harmonie. Das kann man durchaus sympathisch finden. Erstaunlich ungelenk ist dieses sich selbst höchstens halb beim Wort nehmende Schlusswohlgefallen dennoch. Wie überhaupt der gesamte Film sonderbar unelegant geraten ist, insbesondere nach dem perfekt ratternden Uhrwerk, das Bongs Vorgänger Parasite war. Mickey 17 wirkt streckenweise eher wie eine provisorisch zusammengeleimte Laubsägearbeit, allerdings mit hollywoodtauglichem Produktionsdesign; und einer wirklich außerordentlich liebenswerten Robert-Pattinson-Performance, die allein über manchen schrägen Ton hinwegtröstet.
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