Melodys Baby – Kritik

Nichts als verblasste Träume: Dramatische Zuspitzungen nehmen diesem Film um Leihmutterschaft jegliche politische Spitzen.

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Melody (Lucie Debay) liegt zwar auf einem knallroten Sofa, aber ansonsten gibt dieses erste Bild Thematik und Ton des Films vor. Die blassgelbe Unterwäsche, die wasserstoffblonden Haare, der Rest ist Haut. Melody in Embryo-Haltung. Blasses, Gelbes, Beiges. Transparenz. Ein affektfreier Körper, zugleich Melodys letztes Kapital. Dieser Körper wird verliehen werden, an Emily (Rachael Blake), die von einem eigenen Kind träumt. Melody verspricht sich von dem Geld für die Leihmutterschaft einen ganz anderen Traum zu erfüllen: den vom eigenen Friseursalon.

Brutales Händchenhalten

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Melodys Baby kommt als klassischer Themenfilm daher, man sieht die Leihmutterschafts-Debatte durch den Drehbuch-Generator rattern. Und doch geht der Film erst mal über das Erwartbare hinaus. Seine Blässe etwa ist zunächst keine zum Schlechtfühlen. Regisseur Bernard Bellefroid setzt eher eine Art Miserabilismus zweiter Ordnung ins Werk: Weniger die armen Figuren sollen wir bemitleiden als die falschen Verhältnisse verstehen, in denen sie leben und Entscheidungen zu treffen haben. Mit der ungleichen Beziehung zwischen Melody und Emily – die für die Zeit der Schwangerschaft zusammenwohnen werden – wird etwa die Debatte um Frauenquoten in Führungsetagen recht schnell als bloße Kosmetik entlarvt. Emily ist Chefin eines Logistik-Unternehmens, sie setzt sich mit Entscheidungsgewalt über die Skepsis ihrer männlichen Kollegen hinweg, muss dafür aber ihr nach einer Chemotherapie ausgefallenes Haar unter einer idealweiblichen Perücke verstecken. Die Verfügungsgewalt über den fremden Bauch kann sie sich also leisten, ihre Unabhängigkeit beruht auf der Abhängigkeit anderer. „Hätten Sie das tun können, ein fremdes Kind austragen?“, fragt Melody sie später und bekommt keine Antwort.

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Nicht nur im politischen Sinne kommt Melodys Baby als materialistischer Film daher. Auch David Williamsons Handkamera sieht in Räumen und Körpern mehr als Mittel zur Bebilderung von Schicksalen. Die Geldscheine, die Melody für ihr Projekt sammelt, knistern auf der Tonspur; ihre spröden Lippen, ihr sich wölbender Bauch erweitern die Bilder nicht nur um Information, sondern auch um Textur. Und kurz bevor der Film sich in die Gefilde dröger Plot Points begibt, gerinnt die komplexe Ausgangslage nochmals zu einem einfachen Bild zweier Hände. Melody liegt in einem ukrainischen Krankenhaus, wo ihr Emilys Eizelle eingepflanzt werden soll. Sie muss stillhalten. Emily steht neben ihr und hält ihre Hand, bis Melody nicht mehr will: „Das tut weh“, sagt sie. Die Funktionalisierung eines Menschen und das daraus entstandene schlechte Gewissen, die kühl-egoistische Erwartung und der Versuch von Empathie, das alles ist ein einziges brutales Händchenhalten.

Absturz ins Bekannte

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Am Absturz dieses zunächst spannenden Films ins Allzubekannte zeigt sich: Nicht das Behandeln eines Themas an sich ist das Problem des von cinephiler Seite zuletzt häufig gescholtenen Arthouse-Kinos, das sich am Zahn der Zeit wähnt und mit gesellschaftlicher Relevanz aufzutrumpfen versucht; warum schließlich sollte man nicht Filme über Leihmutterschaft, Migrantenschicksale oder gehörlose Jugendliche machen? Das Problem ist wohl eher – einmal abgesehen von den dubiosen Motivationen und Kalkulationen bezüglich Förderung und Verwertung –, dass das gewählte Thema dann häufig mehr mit den Figuren umgeht als andersherum; dass es sich der filmischen Welt bemächtigt, um seine eigene Relevanz zu bestätigen, anstatt in ihr auf Widerstände zu treffen, um dann auf unsere Welt tatsächlich einmal rückwirken zu können. Dafür bräuchte es eigensinnige Figuren, die weder nur ein Thema illustrieren – „mit Leben füllen“ –, noch so totpsychologisiert werden, dass man das mit dem Thema auch gleich hätte lassen können. Melodys Baby führt eher letztere Bewegung durch. So bekommen Melody und Emily eine Vergangenheit geschenkt, die ihr Handeln psychologisch nachvollziehbar machen soll: Dass Emily ihren Kampf ums eigene Kind so verbissen führt, entspringt der Erfahrung mit dem Krebs, dass Melody die Sache schließlich doch nähergeht, dem Fehlen eigener Eltern. War der zwischenmenschliche Konflikt zuvor noch organisch mit gesellschaftlichen Konflikten verwoben, ist von Letzteren bald nicht mehr viel übrig. Sie erscheinen im Rückblick als bloßer Aufhänger für die späteren dramat(urg)ischen Entwicklungen um Emilys wieder aufkeimende Erkrankung, die den Film an sich und die Figuren mit sich reißen.

Bloß nicht mit den Wünschen zucken

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Es geht nicht darum, eine politische Ebene einzufordern. Aber gerade weil der Film die gesellschaftliche Relevanz seines Themas so stolz vor sich herträgt, entblößt sich dieses nach der Privatisierung durch Universelles (Freundschaft, Tod, Leben) eher als Werbeslogan für ein letztlich doch bekanntes Produkt denn als ernsthafter Impetus. Dann ist auch gar nicht mal so verwunderlich, dass trotz der angedeuteten Auseinandersetzung mit Weiblichkeit und Mutterschaft im 21. Jahrhundert auch Melodys Baby schließlich nichts anderes macht als einer unabhängigen jungen Frau mit Autonomietraum mütterliche Gefühle einzupflanzen. Wie im ukrainischen Krankenhaus muss Melody stillhalten, darf nicht mit ihren Wünschen zucken. Als Belohnung winkt das obligatorische hoffnungsvolle Ende; hoffnungsvoll eben gerade nicht hinsichtlich eines Umgangs mit dem prekären Leben und den Aporien unserer Zeit, sondern als Trostpflaster des privaten Glücks. Für die entsprechenden Emotionen muss man eben – und dafür sind Filmfiguren ganz praktisch – erst mal sensibilisiert werden. Nicht das Thema Leihmutterschaft ist also das Problem von Melodys Baby, sondern dass dieses Thema am Ende rückstandsfrei aufgeht im ewigen Kreislauf des Lebens, mit dem eigentlich alle ganz glücklich sind.

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