Meinen Hass bekommt ihr nicht – Kritik
Ein nach dem Anschlag aufs Bataclan abgesetzter Facebook-Post machte den Journalisten Antoine Leiris weltweit bekannt. Meinen Hass bekommt ihr nicht zeigt, wie tief die Folgen des islamistischen Terrors in das Leben seiner Familie hineinreichen.

Meinen Hass bekommt ihr nicht (Vous n'aurez pas ma haine) – der Titel basiert auf einem berühmt gewordenen Facebook-Post, den der Journalist Antoine Leris nach den islamistischen Anschlägen von Paris absetzte, gerichtet an die Attentäter: „Freitag Abend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Der Film, der auf Leris’ gleichnamigen Roman beruht, behandelt entsprechend vor allem die Nachwirkungen jener Nacht des 13. November 2015, in der über 130 Menschen ermordet wurden, die meisten von ihnen erschossen an belebten Orten der Stadt.
„Bitte warte auf mich“

Der deutsche Regisseur Kilian Riedhof – mit Spielfilmen über Uwe Barschel und das Gladbecker Geiseldrama beschlagen in der Inszenierung hochpolitischer, dramatischer Ereignisse –zeigt Antoine, Hélène und den Sohn Melvil zunächst als glückliche Familie. Alltagsgestresst mögen sie sein, aber an ihrer Zuneigung füreinander bleibt kein Zweifel. Dass es das familiäre Idyll ist, das vom islamistischen Terror auseinandergerissen werden wird, steht früh zu ahnen. Und dass es Hélène ist, deren Abschiedsworte „Bitte warte auf mich“ eine für die Figuren unvorhersehbare, schreckliche Bedeutung bekommen wird, nachdem sie zu einem Konzert aufbricht, auch. Denn sie geht ins Bataclan, wo an dem Abend die Eagles of Death Metal spielen – und kommt nicht mehr lebend zurück.

Die Tat selbst wird dabei erst deutlich später und nur in einem kurzen Schnipsel gezeigt. Antoine wird sich erst Wochen später trauen, ein Video davon anzusehen. In der Nacht erfährt er alles, was er kann, nur über die Medien, die Sirenen auf der Straße, Freunde und Krankenhausmitarbeiter. Bald findet er sich in einem extremen Spannungsfeld wieder: Nicht nur ist er plötzlich alleinerziehender Vater, sondern auch Hinterbliebener, Witwer, Mitglied einer trauernden Familie und weltweit medial gefragt. Morgens sitzt er nervös vor laufenden Kameras, abends muss er einen Sarg mit seiner Schwester aussuchen und findet sich unfähig dazu. Stets bleiben wir auf seinen Fersen, mal mit seinem Kind im linken Arm, einer Tupperbox in der rechten, mal sinnierend vor seinem MacBook, mal in der U-Bahn, von einem technischen Defekt retraumatisiert. Es sind alltägliche Szenen in kühler Optik, gebrochen von heftiger Traurigkeit.

Vor allem beschäftigt sich Meinen Hass bekommt ihr nicht mit der Binnenarchitektur der Familie Leiris und mit einer zerrütteten Vater-Sohn-Beziehung als sozialem Spiegel der Gewalttaten. Er will zeigen, wie weit die Folgen des Anschlags in das Leben einer Pariser Familie hineinreichen. Wie traumatische Gefühle und Trauer sich entwickeln und abspielen – vom Schock versetzt, vom unabdinglichen Alltag in ihrer Verarbeitung aufgehalten. Er will Opfern Zeit und Raum verschaffen, wo damals wie heute zumeist die Täter und die Politik die Bühnen bestimmten. Dass es auch die Kinder sind, die darunter leiden, die einsam mit Toilettenpapier spielen, während der Vater sich ins Vergessen getrunken hat.
„Doch, sie müssen gehasst werden!“

Den Opfern eine Bühne zu geben, auch nach den Jahren, die seit diesem 13. November vergangen sind, ist ohne Zweifel wünschenswert. Zugleich scheint im Film entweder wenig Platz oder wenig Mut für darüber gelagerte, ebenso interessante Fragen geblieben zu sein. Wie ist das Verhältnis von der privaten und der öffentlichen Verantwortung, in einem Fall wie diesen, was bedeutet die aufmerksamkeitsökonomische Stellung, die Antoine ungewollt zufällt? Wohnt neben seinem Pflichtbewusstsein auch ein Genuss am Rampenlicht, und erlaubt er sich ihn? Was ist mit den Menschen, die antworteten: „Doch, diese Täter müssen gehasst werden!“?

Diese Fragen und ihre möglichen Antworten werden nur gestreift. Und da lässt der Film Wünsche offen, die Gelegenheit verstreichen, möglicherweise universale Eigenschaften von Trauma tiefer zu erforschen: ihre Unaussprechlichkeit, Desynchronizität, Subversivität. Vielleicht stammen diese Wünsche aber auch aus einem Bedürfnis, etwas zu heilen, das nie geheilt werden kann.
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