Meine letzte Nacht mit einem Vampir – Kritik

Eine von Todesvisionen heimgesuchte Teenagerin, eine geheimnisvolle Kostümparty und ein verwunschener Wald: Meine letzte Nacht mit einem Vampir verbindet Motive aus Schauerromantik und Young-Adult-Literatur. Dabei geht es dem Film vor allem um die sinnliche Wirkmacht seiner Bilder.

Meine letzte Nacht mit einem Vampir (La morsure) beginnt mit einem Gewitter der Eindrücke. Françoise (Léonie Dahan-Lamort) hat einen Alptraum und ist sich danach sicher, dass dieser ihren Tod für die kommende Nacht prophezeit. In der Einöde des Klosterinternats, in dem sie wohnt, will sie aber nicht sterben, auch nicht unbedingt als Jungfrau. Also bricht sie mit ihrer Freundin Delphine (Lilith Grasmug) aus und begibt sich in den umliegenden Wald, in dem die Jugend für diese Nacht in einem leerstehenden Haus eine geheime Party angekündigt hat. Die perfekte Möglichkeit also, ihrem Schwarm Daniel (Cyril Metzger) vielleicht doch noch näherzukommen. Oder wenigstens, vor dem Ende noch etwas zu erleben.

Eine Vergangenheit, die vertraut und doch nie heimisch wirkt

Bei der Party läuft dann nicht alles so, wie Françoise sich das erhofft hat: sie fühlt sich etwas verloren, Rocker werden ihr gegenüber übergriffig, Daniel hat nur Augen für Delphine, sie trifft auf den mysteriösen Christophe (Maxime Rohart), der sich als Vampir ausgibt. Und doch ist es so, wie man sich eine klandestine Aschermittwochsparty im Frankreich des Jahres 1967 vorstellen mag: Die Haare sind lang, die Kostüme bunt, der Alkohol fließt, die Rauchschwaden ziehen durch die Räume, der Psychedelic- und Garage-Rock dröhnt.

Auffällig am Soundtrack ist aber, dass das Zeitkolorit nicht mit gängigen Hits gesetzt wird. Weder die Stones, die Kinks oder die Monkees sind zu hören, kein A Whiter Shade of Pale, kein San Francisco (Be Sure to Wear Flowers in Your Hair). Stattdessen finden eher obskure Interpreten wie The Seeds, The Chymes oder The Holy Mackerel Verwendung. Gerade auf dem Höhepunkt der Party – Françoise tanzt energisch in den schwitzenden Massen gegen ihren Frust an – wird diese obskure Spezifik noch verschärft, indem diverse Songs der Felt Music Production zum Einsatz kommen. Für Film, Fernsehen und Werbung kostengünstig lizenzierbare Musik also, die direkt als Vintage-Produkt geschaffen wurde. Ein Interpret wird im Abspann des Films erst gar nicht angegeben. Subtil wird verhindert, dass sich der Zuschauer allzu heimisch fühlt.

Vampir im Rüschenhemd trifft auf Pharaonin mit Kristallpendel

Verbunden mit der liebevollen Ausstattung macht die Musikauswahl also jederzeit deutlich, dass Meine letzte Nacht mit einem Vampir Ende der 60er spielt. Dieser scheinbar so klaren zeitlichen Verortung steht aber entgegen, dass einem nie das Gefühl gegeben wird, dass wir uns innerhalb bekannter Gefilde bewegen. Irgendwas ist hier seltsam – klar, auch weil wir einen Coming-of-Age-Film über ein Mädchen sehen, das sich in ihrer Lebenswelt existentiell fremd fühlt. Aber auch über diese pubertären Wirren hinaus scheint Romain de Saint-Blanquats Film in einer Parallelwelt verortet, die der uns bekannten ähnelt, aber dezent von ihr abweicht.

Zeit und Raum scheinen in dieser Parallelwelt porös zu sein. Der Vampir im Rüschenhemd einer längst vergangenen Epoche oder Françoises nach Pharaonenart geschminkte Augen weisen in die Vergangenheit, Françoises Visionen und ihr kristallenes Pendel, dass sie nach der Zukunft befragt, lassen das Kommende in die Erzählung einbrechen. Die langvergangene Vergangenheit wird zu einem ersehnten Rückzugsort, die Zukunft scheint aber nur Abgründe bereitzuhalten. Françoise steht am Scheidepunkt und ihre Optionen sind beide unbehaglich. Hier die Einengung in der Welt der Nonnen, wo der lebende Tod lauert – Delphines Mutter liegt im Internat paralysiert im Bett. Dort die Unsicherheit der Freiheit, in der Gewalt und Schatten lauern – ob nun durch reale Gefahren wie sexuell übergriffige Rocker, durch die nicht abschätzbaren Traumata eines wiederholt auftauchenden Veteranen des Algerienkriegs (Fred Blin) oder durch eine zunehmend ungreifbare Wirklichkeit, in der die verkleideten Jungs auf der Party so dämonisch inszeniert werden, dass sie als eine übernatürliche Bedrohung erscheinen.

Ein Handgriff lässt die Erde beben

All das ließe sich sehr einfach auf eine Symbolik des Erwachsenwerdens verengen, auf einen Bammel vor dem kommenden Leben und vor dem Wagnis des ersten Sexes – gerade da Sex in dem Film allgemein mit Blut verbunden wird. Doch in Meine letzte Nacht mit einem Vampir läuft diese Symbolik nur unausgesprochen und rein assoziativ mit, wird nicht ausbuchstabiert. Regisseur Romain de Saint-Blanquat geht es um die sinnliche Wirkmacht der Motive, um die Bilder, um die Stimmung. In seinem Wald tänzeln flirrende, irreale Lichter und der plötzliche Griff einer Hand an einem Unterarm kommt einem Erdbeben gleich. Immer wieder auch Momente unwahrscheinlicher Zärtlichkeit und Verständnisses, wie der irritierend innige Tanz zwischen zwei Fremden. Sein Film soll wirken, auch wenn der Zuschauer von der thematischen Ebene gar nicht so viel mitbekommt.

Und dieses sinnliche Wirken entsteht nicht durch sonderlich blutrünstige, verstörende oder aufdringliche Momente, sondern durch das Heraufbeschwören einer unklaren Bedrohung, durch die gefühlte Anwesenheit des Nicht-Greifbaren. Wobei sich der visuelle Stil des Films – gewissermaßen wie seine Musik – an Vergangenes anlehnt und auf obskurere Einflüsse zurückgreift. Die zwei Mädchen, deren Entfremdung von ihrer Lebenswelt den Film am Ende in Feuer aufgehen lässt, erinnern an Joël Sérias Und erlöse uns nicht von dem Bösen (Mais ne nous delivrez pas du mal, 1971). Das Motiv des Vampirs, die irreale Entrückung des Geschehens und das Fehlen einer straffen Dramaturgie erinnern wiederum an die Filme Jean Rollins. Die wesentlichen Bezugspunkte für Romain de Saint-Blanquat sind also Horrorfilme, die nicht über Gore und Schrecken funktionieren, sondern über das Unbehagen angesichts des Möglichen und über das Fantastische in der Harmonie.

Der exaltierte Kitsch blinkender Lichter

Rollin steht am deutlichsten Pate, aber auch hier bleibt sich Meine letzte Nacht mit einem Vampir treu und schafft nicht ein plattes Pastiche, sondern weckt nur dezent Erinnerungen. Etwas mehr Glamour als Rollin gönnt sich Romain de Saint-Blanquat schon, etwas entgegenkommender in seiner Erzählweise ist er auch. Vor allem wurde die Patina des damaligen Exploitationkinos entfernt und sichtlich der Eindruck vermieden, dass es in erster Linie um Sex und Gewalt geht. Es ist durchaus geschmackvoller, aber nicht zu sehr, dafür sorgt der exaltierte Kitsch blinkender Lichter und kruder Sinnlichkeit. Gewissermaßen handelt es sich um die Young-Adult-Version des Kinos Jean Rollins – und das in der besten möglichen Weise.

Ein romantischer Film ist so entstanden, der dem Aussehen und dem Spiel seiner Hauptdarstellerin entspricht. Einerseits hat Léonie Dahan-Lamort als Françoise Augen, die wirken, als kämen sie einem aus dem Kopf entgegen. Sehr viel Weiß zeigen sie uns. Andererseits ist ihr Mund fast durchgängig wie eine Faust geballt, als wollte ihr Schmollen uns nachdrücklich auf Distanz halten. Der Film schlägt uns wie die Augen von Françoise in seinen Bann, gleichzeitig denkt er wie diese aber gar nicht daran, uns seine innersten Geheimnisse zu offenbaren.

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