Mein fabelhaftes Verbrechen – Kritik
Eine Schauspielerin ohne Rolle, eine Anwältin ohne Fall und ein nicht abreißender Strom idiotischer Männer: François Ozon verfilmt ein Theaterstück aus den 1930ern und deklariert seine weiblichen Hauptfiguren zu #metoo-Avantgardistinnen.

Ein prunkvoller, samtroter, goldgesäumter Theatervorhang geht auf. Er öffnet den Blick allerdings nicht auf eine Bühne, sondern auf eine opulente Villa, die sich im verlockend schimmernden Pool spiegelt. Plötzlich Gepolter, Gerangel, Geschrei. Dann stürzt sich eine junge Frau aus dem Haus, wirft eilig ihren Mantel über und geht, schnellen Schrittes, sichtlich aufgebracht, aber mit würdevoll erhobenem Kopf. Ihr furioser Gang durch das Paris der 1930er Jahre ist nicht minder theatralisch, die mit vielen Details ausstaffierte Kulisse gewollt künstlich. So auch die Dialoge in Mein fabelhaftes Verbrechen (Mon crime), die ihr Theatergewand (Vorlage des Films ist ein Stück aus dem Jahr 1934) nicht ablegen: herrlich gestelzt und manieriert, etwa als der Sprössling aus reichem Hause (Édouard Sulpice) der mittellosen Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) eröffnet, er könne unmöglich der Lohnarbeit nachgehen: „Ich habe nur eine Berufung: Sie zu lieben.“
Rollenangebot mit Nebenbedingungen

Es ist nicht das erste Mal, dass Ozon aus einem Theaterstück einen Film macht (8 Frauen, Das Schmuckstück), dass er Theater- und Filmmittel verquickt, im Film das Theatralische wahrt: die Reduzierung auf wenige Schauplätze, die rasende Abfolge der Auf- und Abtritte, die die Handlung vorantreibt (bezeichnend etwa eine der ersten Sequenzen, die in der armseligen Mansarde von Madeleine und Pauline (Rebecca Marder) spielt und in der drei Männer hintereinander an der Tür klingeln, dabei in bemerkenswert kurzer Zeit ein umfassendes Tableau der (patriarchalisch verursachten) Geld-, Liebes- und Lebensmisere der beiden Frauen aufspannen). Hier geht es aber auch im Film ums Theater: Madeleine, die Hauptfigur, ist Schauspielerin (wenn auch ohne großen Erfolg). Eine Einladung des weltberühmten Theaterproduzenten Montferrand (Jean-Christophe Bouvet) könnte ein Wendepunkt sein, doch die Rolle, die er ihr anbietet, ist an Nebenbedingungen geknüpft: Zweimal die Woche soll sie ihm sexuell zu Diensten stehen. Madeleine lehnt ab; Montferrand versucht sie zu vergewaltigen; sie flüchtet. Keine Stunde später wird Montferrand tot aufgefunden, und Madeleine steht unter Verdacht.
Die Institutionen sind männlich und dumm
Ein Produzent, der sexuelle Gefügigkeit zu erzwingen versucht, weil er über Geld und Macht verfügt und in ungezügelter Alleinherrschaft entscheidet, wem er zu welchem Preis Zugang in das begehrte Milieu verschafft – der beschwingte Ton, die komödiantische Leichtigkeit und die historische Künstlichkeit, die Mein fabelhaftes Verbrechen pflegt, tun dem Gegenwartsbezug keinen Abbruch, legen ihn geradezu elegant frei: Montferrand mutiert zu Harvey Weinstein – und Madeleine, das macht Ozon überdeutlich, zum Gesicht von #metoo.

Ozon will sich auf ihrer Seite wissen, der Seite der Frauen, und schlägt dafür mit einigem Tamtam die Pflöcke ein. Da ist zum einen ein nicht abreißender Fluss von idiotischen Männern. Angefangen beim Vermieter, der gekommen ist, um fünf unbezahlte Monatsmieten einzutreiben – und sich schließlich wie ein trotziges Kind von Pauline ablenken lässt; André, Sohn eines Großindustriellen und Madeleines Liebhaber, fällt kein anderes Mittel als die Mitgift ein, um Geld zu verdienen; der Polizist Brun (Régis Laspalès) und der Ermittlungsrichter Rabusset (Fabrice Luchini) übertrumpfen sich gegenseitig in ihrer Tölpelhaftigkeit. Mein fabelhaftes Verbrechen zeichnet ein Gesellschaftsporträt, in dem die großen Institutionen – Polizei, Justiz, Industrie … – allesamt männlich und dumm sind; beharrlich wissen sie allerdings ihren Status aufrechtzuerhalten. Madeleine und Pauline bleibt nur, sich innerhalb der engen Schranken abzumühen, in die sie die patriarchalische Ordnung weist: Madeleine als Schauspielerin ohne Rolle, Pauline als Anwältin ohne Fall.
Nicht unfeministisch, aber unglücklich
Die Rolle und den Fall werden sie sich schließlich selbst erschaffen, und darin, so suggeriert der Film, ist die weibliche Selbstermächtigung zu sehen. Auf Paulines Anraten gesteht Madeleine den Mord, den sie nicht begangen hat, beansprucht – so ist der Titel des Films zu verstehen – das begangene Verbrechen für sich. Pauline wird zu ihrer Anwältin und verhilft Madeleine zu ihrer erstmaligen Bühne – dem Gericht – und zu ihrer größten Rolle – der Mörderin, die ihre Ehre verteidigen wollte. Paulines Strategie geht auf: Madeleine wird wegen Notwehr freigesprochen und steigt zur Ikone auf: eine junge Frau, die Männer selbstbewusst in die Schranken weist und mit der Spannung kokettiert, die ihr vermeintlich naives, zartes Antlitz in Kombination mit ihrer Gewaltfähigkeit erzeugt. Plötzlich hagelt es Rollenangebote, im Handumdrehen leben Madeleine und Pauline im Luxus.

Man kann – anders vielleicht als der Vorlage – Mein fabelhaftes Verbrechen nicht den Vorwurf machen, mit dem Opportunismus und der Blutrünstigkeit junger Frauen wohlig-empörtes Schaudern beim Patriarchat erzeugen zu wollen. Bei Ozon sollen Madeleine und Pauline weibliches Empowerment verkörpern: weibliche Solidarität (die beiden Frauen unterstützen einander bedingungslos), vor allem aber weiblicher Erfindungsreichtum und die Fähigkeit, die Dinge zum eigenen Vorteil zu nutzen. Man kommt aber nicht umhin, ein Störgefühl zu empfinden. Wer so eindeutig #metoo einberuft, wer selbst in dem Feld wirkt, das #metoo hervorgebracht hat und sich dann auch noch als Verbündeten zu erkennen geben möchte, der sollte die Darstellung der Bewegung im eigenen Film wohl überlegen. Madeleine und Pauline bleiben bei Ozon opportunistische Frauen, die sich auch jede andere Ausgangslage zunutze hätten machen können und die es vor allem auf Ruhm und Reichtum abgesehen haben. Das ist natürlich nicht unfeministisch – man könnte darin auch etwas explizit Feministisches sehen, eine weitere Auslegung des Titels: das Reclaimen des Verbrechens, der Gosse –, aber es ist mindestens unglücklich, wenn das zur Lesart der #metoo-Bewegung wird.
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