Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot – Kritik

Not so funny games. Die Abiturvorbereitungen enden in dem neuen Film von Philip Gröning in einer blutigen Abrechnung mit der Zukunft.

Mein Bruder heisst Robert und ist ein Idiot 1

„Kommst du oder komme ich?“ Die Zwillinge Elena (Julia Zange) und Robert (Josef Mattes) stehen sich gegenüber, schauen sich intensiv an. Man spürt das Begehren, zwischen den beiden ist keine Zeit mehr, vielmehr ein Vakuum. Elena ist fest entschlossen, das Abitur zu machen, dafür kriegt sie ein Auto geschenkt, aber Robert will mit der Schule nichts mehr zu tun haben. Die Philosophie bringt er sich lieber autodidaktisch bei. Ihre Wege müssten spätestens jetzt auseinandergehen, aber die beiden – das sieht man ihnen an – wollen im Geiste wie im Körper eins sein. Die zwei mageren Gestalten, noch stehen sie im Wohnungsflur, bald darauf geht es aber über Feld und Wiese zu einem Fleck im Nirgendwo. Vor einer Tankstelle, im hohen Gras wollen sie sich auf Elenas Philosophieprüfung vorbereiten. Zwei Tage Zeit, zwei Geschwister, ein Tankwart namens Adolf und ein Tankwart namens Erich (warum auch immer sie so heißen) – von jeder Art also ein Paar. Nicht viele Autos halten an, wo die beiden rasten, vielmehr ist das ein Ort wie aus der Zeit und aus der Welt gefallen. Man schlägt die Bücher auf, Begriffe werden eingeführt und hin und her gewendet, eine Wette wird abgeschlossen. Vom Sein ist die Rede, von Erkenntnis, Freiheit, Hoffnung.

Wo ist die Zeit?

Elena und Robert vor der Tankstelle – mit Grönings ästhetischer Strenge knallt auf sie die Sonne, die blonden Haare leuchten, jede einzelne Wimper sieht man hier in aller Deutlichkeit. Gott zählt die Haare, sagt man, auch auf dem Fell eines toten Hasen zählt in Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot der liebe Gott die Haare. Gröning betreibt eine feine Auslese, nur sehr wenige Dinge, dafür aber wiederholt, kommen im Film vor. Ameisen krabbeln, Schweißtropfen schimmern, an dem schön vor sich hin gammelnden Apfelbutzen summen die Bienen. Im hohen Gras sind die Grillen groß, Partialobjekte – Füße, Lippen, Haut mit ihren Unreinheiten, Schuhe, Brüste – sieht man hier viel und bis zum Überdruss. Das alles findet Gröning toll, unter der Last seines unbedingten Stilwillens wirken die schönen Bilder dann aber recht bald vor allem lästig. „Wo ist die Zeit?“, es kommen Fragen über Fragen, aber die Zwillinge haben die Zeit und alle Zeitlichkeit ja längst zurückgelassen. In ihrem Leben wie in diesem Film ist kein Übergang ins Normale mehr möglich. Zwischen den klaren Bildern sind hin und wieder auch stark verpixelte. Das Konkrete wird bis zur Unkenntlichkeit ins Abstrakte gewendet, ein Stillstand, eine Ewigkeit, möglicherweise ein verstecktes Geheimnis werden damit suggeriert. Aus dem Weizen geht es in den Wald, Laub klebt an Elenas Tanktop, Laub liegt auf ihren Schulbüchern. „Wo ist die Zeit?“ – die Scherben fliegen. Der Tag vergeht, die Nacht ist rot erleuchtet und geht vorüber. Tag zwei, und ab jetzt kommen Elena und Robert wirklich nur noch dumme Gedanken.

Die Dostojewski’sche Axt

Die Dissonanzen auf der Tonspur haben bereits am Filmanfang das Schlimmste angedeutet, die an der Tankstelle zum Verkauf angebotenen Wasserpistolen weisen auf den zukünftigen Gebrauch der echten Waffen. Lernkarten und Gummibärchen können für Elena und Robert nicht mehr weltbildend sein. Mit allem, was zur Kindheit und zur Vergangenheit gehört, wird blutig abgerechnet. Blut und Wasser vermischen sich, und alles fließt, alles geht den Bach runter. Grönings funny games gehen sehr weit, und als wäre das noch nicht genug, lässt er uns dazu „La Javanaise“ von Serge Gainsbourg hören: Wir liebten uns für die Zeit eines Chansons – es geht um die Zeit, wie man es dreht und wendet, aber soll der hier ausgebreitete Verweisungszusammenhang unbedingt philosophisch verstanden werden? Heidegger, Augustinus von Hippo kann, wer unbedingt will, in Grönings Mixtur natürlich wiederfinden. Oder ist es nicht vielmehr die Dostojewski’sche Axt, die in Mein Bruder heißt Robert ihr blutiges Ding macht? Wie dem auch sei, der Film scheint in den zwei Tagen vor der Tankstelle, im Wald und im See einem bizarren Plan zu folgen. Alles ist wie vorbestimmt und vorbereitet, nur warum das passiert, was schließlich passiert, erfahren wir nicht. Bilder und Worte bleiben Oberflächen, die Erklärungen liegen auf der Zunge, aber sie behält der Regisseur dann doch lieber für sich. Nicht nur wegen des grellen Lichts und des Haarezählens offenbart sich dieser Film spätestens am Schluss als eine umgekehrte Theologie. Wozu fragen, Philip Gröning, wenn Sie die Antworten sowieso schon haben?

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