Megalopolis – Kritik
Keine Meisterwerke mehr. Francis Ford Coppolas Megalopolis ist nicht das grandiose Science-Fiction-Epos geworden, das es wohl nie hätte werden können, sondern etwas viel Besseres.

Es gab im letzten Jahr diesen Insta- und TikTok-Trend, in dem Frauen auf Anraten einer schwedischen Influencerin ihre Boyfriends (oder manchmal auch Väter oder Brüder) fragten, wie häufig sie ans Römische Reich dachten. Die Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen: verblüffend oft. Die Videos handelten dementsprechend von der Fassungslosigkeit ihrer Autorinnen angesichts von Antworten wie „mehrmals täglich“ oder „einmal die Woche“, es waren die straight dudes, die auf einmal wie ein großes Mysterium erschienen, und Frauen fragten sich nochmal ganz neu, was sich hinter den Fassaden ihrer Typen so abspielte und was das über ihre psychische Verfassung aussagte. Mit einem bekannten feministischen Bonmot aus der Internetkultur kombiniert, könnte man den Subtext der Videos zusammenfassen: Männer würden eher nochmal übers Römische Reich grübeln als eine Therapie zu machen.
Kampf ums Erbe und mit Dämonen

Auch Francis Ford Coppola gehört wohl zu denjenigen, die viel übers Römische Reich nachgedacht haben. Sein neuer und letzter Film, schlappe 40 Jahre in the making und 120 Millionen Dollar teuer, beginnt mit der Ankündigung, dass wir es hier mit einer Geschichte aus dem Römischen Reich zu tun haben, adaptiert für die heutige Zeit. Die ersten Zitate und Texttafeln sind nur die ersten von vielen Momenten, in denen der Zustand der Vereinigten Staaten mit dem des Römischen Reichs kurz vor dessen Zerfall verglichen wird. Zugleich aber fühlt sich Megalopolis tatsächlich wie eine Therapiestunde an, wie ein Einblick ins Innerste eines alternden Filmemachers, der um sein Erbe und mit seinen Dämonen kämpft, der über sein Leben grübelt und dem Tod ins Auge sieht, der schließlich um Gegenwart und Zukunft von Welt und Kino tief besorgt ist.

Und der all das in einen Wahnsinn von einem Film gepackt hat: Der epische Kampf in New Rome zwischen Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) und dem visionären wie zerrissenen Architekten Cesar Catalina (Adam Driver) bricht sich gleich zu Beginn in einem Shakespeare-Monolog auf einem hölzernen Catwalk über der Stadt Bahn. Cesar hat nicht nur die (weitgehend unbemerkte) Gabe, die Zeit für einige Sekunden anzuhalten, er hat auch das neue Element Megalon entdeckt, das gelb schimmert und durchsichtig ist und mit dem er die Stadt der Zukunft bauen will. Es gibt Hinweise auf einen russischen Satelliten, es gibt eine an Fellini gemahnende ausschweifende Sequenz im Madison Square Garden, nachdem jedes Zeitgefühl in diesem Film abhanden gekommen ist, es gibt ohne ersichtlichen Kontext hin und her geworfene Zitate großer Männer von Marcus Aurelius bis Ralph Waldo Emerson, es gibt Gesichter, die sich unvermittelt vervielfachen, es gibt eine zwielichtig verführerische Fernsehmoderatorin namens Wow Platinum (Aubrey Plaza), es gibt eine nie aufhörende Fließbandproduktion an noch nicht einmal besonders einprägsamen oder beeindruckenden Bildern, Schauspielbildern, CGI-Bildern, Körperbildern, abstrakten Bildern, es gibt so viel und alles ist so überall, dass sich schon bald nichts mehr vorhersehen lässt. Das Gerüst des Films ist der Film selbst, und der fliegt irgendwo im Kinosaal herum, das mag Megalopolis für manche frustrierend machen, es macht ihn aber auch ungemein aufregend.
Ein sehr teurer Coping-Mechanismus

Auch inhaltlich geht es um alles: Es geht um das Ende der Welt, um die politische Gegenwart mitsamt Korruption, Trumpeskem Wahlkampf und Gentrifizierung, es geht um Geschichte und Zukunft des Kinos, es geht um die Zeit im Allgemeinen und die persönlich ablaufende im Besonderen, also um Vergänglichkeit, Trauer und Schmerz. Und darum, wie all das zusammenhängt. Reprise auf ein altes Coppola-Motiv: Noch das ambitionierteste Kunstprojekt ist ein Versuch, die Zeit anzuhalten, der zum Scheitern verurteilt ist, entpuppt sich am Ende als Coping-Mechanismus, mit der eigenen Verletzlichkeit umzugehen – im Fall von Megalopolis eben ein sehr teurer Coping-Mechanismus. Diese sich langsam einschleichende Erkenntnis macht den Film so melancholisch wie berührend.

So ist Coppola hier ein großer Wurf nicht in dem Sinne gelungen, dass Megalopolis über seine Themen etwas wirklich Substanzielles, Neues oder Radikales zu sagen hätte. Ebenso wenig liegen seine Qualitäten im reinen Spektakel der Schauwerte oder im Bau einer eigenen Welt, denn wenn der Film auch mit großen Highlights aufwartet, ist manch anderes schnell vergessen, und in die Welt von New Rome können wir bis zum Schluss nicht wirklich eintauchen, sie bleibt durchlässig, nicht zu greifen. Und schon gar nicht speist sich der Genuss des Films aus irgendeiner Subversion oder Dekonstruktion des Science-Fiction-Epos. Megalopolis ist nicht einfach „so drüber, dass es schon wieder gut ist“, ist schon gar nicht ironisch gemeint oder irgendwie meta. Im Gegenteil: Was ihn auszeichnet, ist seine große Leidenschaft und seine tiefe Aufrichtigkeit, die notwendige produktionsseitige Kehrseite jenes rezeptionsseitigen Cringe-Gefühls, das der Film bei manchen auslöst.
Dahinter eine große Wunschmaschine

Also hier kein Hot Take, sondern eine Ahnung oder eine mögliche Annäherung, vielleicht eine Hoffnung, ebenso persönlich wie der Film selbst: Megalopolis ist großer Straight Male Camp, eine Männerfantasie, aber zumindest ohne Filter und Gehabe. Megalopolis kommt heraus, wenn große Künstler aufhören, große Künstler sein zu wollen, wenn diejenigen, die einen Bewunderungsvorschuss genießen, die es gewohnt sind, dass ihr Wort Gewicht hat, ihre Ängste, Selbstzweifel, Begehren, Fantasien mal nicht in perfekt konstruierte Fantasiewelten sublimieren oder hinter großen abstrakten Begriffen verstecken, sondern durch diese Fantasiewelten und Begriffe hindurch sichtbar machen. Megalopolis legt den Schluss nahe, dass Aufrichtigkeit und Könnerschaft sich nicht gegenseitig befruchten, sondern sich gegenseitig sabotieren. Megalopolis mahnt, dass man, wenn Genies dann eben doch häufig Arschlöcher sind, man vielleicht lieber kein Genie sein will. Megalopolis will nicht gefallen, kommt aber auch nicht mit der eitlen Geste desjenigen daher, der sich selbst für so besonders hält, dass er nicht gefallen muss. Megalopolis ist kein Meisterwerk, sondern versteht, dass es keine Meisterwerke mehr geben wird, dass es sie vielleicht nie gegeben hat.

Meine Rührung trotz einiger durchaus fragwürdiger Elemente (etwa die Verschränkung von Trump-Weirdness und Gender-Queerness in Shia LaBoeufs Clodio) hat wohl weniger mit den konkreten Inhalten des Films zu tun als mit seiner Geste. Die Distanz, die zwischen den Worten und Ideen dieses Films und meinen eigenen liegt, lassen mich die verletzliche Radikalität, mit der sie hier vorgetragen werden, nur umso mehr bewundern. Megalopolis ist der Film eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat, der keiner Produktionsfirma etwas schuldig ist außer der eigenen (wie merkwürdig, in Cannes vor Filmbeginn einmal nicht zig animierte Firmenlogos zu sehen), und, ja, der wohl bald, in absehbarer Zukunft, sterben wird. Und der sich deshalb – in genauer Umkehrung des Gestus eines Ruben Östlund, der aus der Sicherheit eines intransparenten Zentrums der Welt erklärt, was es so auf sich hat mit uns und der Gegenwart – radikal transparent macht. Wie durch die Fashion Items aus Megalon, die die Models im Film anhaben und durch deren Körper wir deshalb hindurchsehen können, sehen wir durch die Wiedergänger des Römischen Reichs, durch die wahnwitzigen Stadtkulissen, die visuellen Effekte und die großen Gesten dieses Films hindurch, und dahinter eine große Wunschmaschine.

Die verrichtet ihre Arbeit am Ende an einem leidenschaftlichen Plädoyer für einen Kampf um eine lebenswerte Zukunft. Visionen blenden uns, aber wir kommen ohne sie nicht aus, schon gar nicht jetzt. Wenn Megalopolis mit einer verzweifelten letzten Vision aufwartet, mitsamt einem neuartigen Pledge of Allegiance, der sich nicht mehr auf die Nation, sondern auf die Erde und ihre Bewohner:innen bezieht, mitsamt eines Neugeborenen, auf das sich dann eben doch nochmal alle Hoffnung richtet, dann nenne das peinlich, over the top, cringeworthy und prätentiös, wer möchte, sollen sie sich doch erstmal selbst so nackt machen, und dann sehen wir weiter.
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