Medusa Deluxe – Kritik
Thomas Hardimans Debüt lockt mit einem grausigem Mord, einer einzigen Plansequenz und extravaganten Frisuren. Medusa Deluxe kommt konsequent vom Genreweg ab und führt in einen Mikrokosmos, in dem die große Geste mit dem Alltag kollidiert.

Mit viel Gravitas kommt der Titel Medusa Deluxe daher: Antike Mythologie und etwas campy Ironie. Dazu das Setting: ein Haute-Couture-Frisurenwettbewerb, der von einem ominösen Mord überschattet wird. Das klingt nach Jetset, wüsten Streits und abgründigen Geheimnissen, nach großer Oper. Das weiß Regisseur Thomas Hardiman, und das weiß auch das Marketing seines Films, der sich selbst jedoch in allem sehr viel kleiner ausnimmt. Der Wettbewerb der Frisuren findet in einer Mehrzweckhalle der englischen Provinz statt; alles wirkt, als hätte es bessere Zeiten gesehen, und selbst der Mord sorgt eher für Irritation als große Trauer.
Glatze im Lockenwald
Schon in der animierten Titelsequenz findet sich diese Verkleinerung des Mythischen: Ein hellenischer Krieger prescht voran in eine Landschaft aus übergroßen Frisörsutensilien, zwischen Kämmen und Bürsten, Scheren und Klammern. Die ganz große Geste und das Alltäglich-Weltliche branden hier aneinander. So auch wenn wir direkt nach der Eingangssequenz mit dem göttlichem Zorn und Ehrgeiz der Frisörin Cleve (Clare Perkins) konfrontiert werden, während sie Angie (Lilit Lesser) die Haare zurechtmacht und über den Mord schimpft, der ihr den Wettbewerb vermasselt hat.
Eingetreten ist der Tod also schon, wenn der Film beginnt. Frisör Mosca (John Alan Roberts) wurde skalpiert, einen sinnfälligeren Akt kann es in dieser Welt der „ewigen Krone“ Haare kaum geben. Die Polizei hat das Gelände abgesichert und auf der Hinterbühne spricht man Verdächtigungen aus, während die extravaganten Haartrachten aus trotzigem Handwerksstolz noch vollendet werden. Nach und nach kommen Figuren hinzu und bilden ein Ensemble, das sich zum Mord verhalten muss. Neben den Frisörinnen Cleve und Divine (Kayla Meikle) und den Models Angie, Etsy (Debris Stevenson), Timba (Anita-Joy Uwajeh) und Inez (Kae Alexander) bevölkern die Organisatoren Kendra (Harriet Webb) und René (Darrell D’Silva) den Mikrokosmos. Aus dem Rahmen fallen der flamboyante Ex-Freund Angel (Luke Pasqualino) und der Wachmann Gac (Heider Ali). Dessen Glatze macht ihn angesichts des Lockenwalds um ihn herum sofort verdächtig, und auch der illegale Haarwuchsmittelmarkt spielt eine Rolle.
Verbissene Form

Die ambitionierten Frisurenkunstwerke sind weder der Kern noch die Hülle, sondern vielmehr das Toupet des Films. Mit religiösen Ritualen und Handwerksmonologen versucht Medusa Deluxe, ihnen Bedeutungen zuzuschreiben, die sie im Gesamtzusammenhang nicht entfalten. Man hätte sich mehr Zeit gewünscht, ihre Farben-, Form- und Stilpracht zu bewundern. Wer den ghanaisch inspirierten Afrolook oder eine Rokoko-Fontange mit Segelschiff-Krone sehen möchte, wird im Film nur wenig mehr finden als in dieser Bildergalerie.
Die Form von Medusa Deluxe ist eine strenge. Im 4:3-Format und ohne sichtbare Schnitte führt uns Robbie Ryans elegante Kamera in Echtzeit durchs Geschehen. Nach einer lapidaren bis intensiven Gesprächsszene folgt die Kamera stets einer Figur, die den Raum verlässt, um sich mit ihr in ein neues Gesprächsszenario zu bewegen. Diese Übergänge strahlen eine Verbissenheit aus, wie wir sie aus One-Shot-Filmen mittlerweile kennen. Wenig geht dabei in den Figuren vor, auch begegnen sie uns fast immer als homogene Personen. Mit wem oder über was sie reden, verändert kaum, wie sie sich geben und wer sie sind.
So sind die Figuren eher mit klar erkennbaren Eigenschaften angereichert, sei es mit einem obsessiven Ehrgeiz, religiöser Nächstenliebe, Exaltiertheit oder Columbo-Ambitionen. Viele von ihnen verblassen, während andere die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, es sind in der Regel die Missgünstigsten unter ihnen. Alle sind sie ineinander verzahnt, durch Eifersucht, Ehrgeiz, Verdächtigungen und Leichen im Keller. Im Lauf des Films lernen sie, sich gegenseitig ihr unterschiedliches Dasein zu gestatten. Als Übung dient dabei ein Baby, das Kind von Angél, das liebevoll herumgereicht und zum Spielball der Selbstverwirklichungen wird.
Grenzenloser Versöhnungseifer

Man mag sich fragen, wo der Mordfall bleibt. Und tatsächlich geht der Versöhnungseifer des Films so weit, dass sich am Ende selbst der Mord in ernstgemeintes Wohlgefallen auflöst. Das ist auch der Grund, warum die Polizei konsequent im Hintergrund bleibt. Die Probleme der Figuren können nicht staatliche Institutionen und höhere Mächte lösen, sondern die Rücksichtnahme auf persönlicher Ebene. Wo Meta-Whodunits wie Knives Out (2019) die Überwindung des allwissenden Detektivs nur behaupten, um am Ende zu ihr zurückzukehren, lässt Medusa Deluxe diesen Typus in aller Konsequenz hinter sich.
Die Welt draußen ist chaotisch und abgründig, im Mikrokosmos der Frisurenschau lässt sich mit Geduld über alles reden, das reflektiert auch die Form. So kommt es, dass der Film sehr mit sich selbst beschäftigt ist und die Zeit mit seinen Figuren mehr genießt, als wir das tun.
Vom Mythos der Medusa bleibt wenig, und Medusa Deluxe will sich sicherlich als Dekonstruktion von allerlei verstanden wissen: von Heldenfiguren, Krimiplots, Geschlechterbildern und verwandten Vorurteilen, Montagekonventionen und verstaubten Settings. Darunter leiden Schaulust und Substanz.
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