MaXXXine – Kritik

Im letzten Teil von Ti Wests Slasher-Trilogie versucht Titelheldin Maxine den Sprung vom Porno- zum Hollywoodstar. Dabei werden Film wie Protagonistin mit fortschreitender Laufzeit immer perverser, vielschichtiger und glamouröser.

Für eine Nachbildung ihres Kopfes wird das Haupt von Maxine Minx (Mia Goth) mit flüssigem Latex übergossen. Zehn Minuten muss sie – von der Außenwelt größtenteils abgeschnitten – warten, bis es ausreichend ausgehärtet ist. Umgehend setzen Flashbacks ein. Erinnerungsfetzen aus X (2022) jagen über die Leinwand, blitzen in ihrem Bewusstsein auf. Das Trauma, erlebt zu haben, wie Freunde und Kollegen von zwei Serienkillern umgebracht worden waren, und als Einzige überlebt zu haben, holt sie ein.

Letzte Chance fürs große Rampenlicht

Während der Gummi auf ihrem Kopf zerläuft, ähnelt Maxine aber auch zunehmend Pearl, der ebenfalls von Goth in einer Latexmaske gespielten Serienmörderin des Vorgängerfilms. Der alten, verbitterten Frau also, die ihrer jungen Wiedergängerin prophezeit hatte, dass diese wie sie enden werde: vergessen, alt, unattraktiv. Was Maxine verfolgt, sind deshalb vielleicht weniger die naheliegenden Echos von Gewalt und Todesangst, sondern der Schrecken vor der Verwirklichung dieser Voraussage. Der Abdruck wird für den (fiktiven) Slasherfilm The Puritan II benötigt, in dem Maxine die Hauptrolle spielen soll. Ihre erste Rolle in einem „richtigen“ Film und die wahrscheinlich letzte Chance der 33-Jährigen, nach ihrer Pornokarriere doch noch im großen Rampenlicht anzukommen und der Verbitterung vorzubeugen.

Was für ein Film MaXXXine ist, scheint klar. Maxine dreht inzwischen nahe Hollywood Pornos und arbeitet in Peepshows, als ihr der ersehnte Karriereschritt zum Greifen nah kommt. Gleichzeitig treibt ein Serienmörder, der Night Stalker, sein Unwesen, sowie ein Nachahmungstäter, der sich durch das Umfeld von Maxine killt und es doch nur auf das Final Girl abgesehen hat, sie mit ledernen Handschuhen, Messer und Hilfe eines schmierigen Privatdetektivs (Kevin Bacon) verfolgt. Wo sie auch hingeht, in jeder Ecke, in jedem Schatten lauert ihr Tod auf sie – „Slasher“ steht dem Film auf der Stirn geschrieben.

Alles Erdige hinter sich lassen

Die regelmäßig eingebauten Videoaufnahmen, Videokassetten, Videotheken, die Neonfarben, die Schriftarten und die Frisuren machen auch überdeutlich, in welcher Zeit wir Maxine wiedertreffen. Der Abschluss von Ti Wests Trilogie über zwei sich spiegelnde Figuren zitiert das Kino der 1980er Jahre – so wie X seiner zeitlichen Vorortung entsprechend das Slasher- und Pornokino der späten 1970er Jahre emulierte und das Prequel Pearl (2022) Melodramen, Horrorfilme und Technicolorfarben aus den ersten 50 Jahren Hollywoods aufgriff. Nun eben Los Angeles statt Texas, die Ära der Porn Wars gegen die Verrohung von Kindern durch die Medien und eine urbane, hedonistische Ästhetik, die alles Erdige und New Hollywood weit hinter sich lässt.

So grell die 1980er Jahre aber im Film stehen, so wenig passt MaXXXine zwischen die damaligen Slasher oder ähnlich gelagerte Filme wie Fear City (Manhattan 2 Uhr nachts, 1984). Mit dem Rückgriff auf das Set von Psycho (1960) bzw. Psycho II (1980), den in Videotheken geführten Gesprächen über das Verhältnis zwischen Film und Realität oder dem von Video laufenden Klassiker des Golden Age of Porn der frühen 1970er Jahre (Behind the Green Door, 1972) verweist der Film schon auf die postmodernen 1990er Jahre – allen voran auf Scream (1996). In der eingeschobenen Videoästhetik wird Lost Highway (1997) aufgegriffen. Die 1980er Jahre bilden nur den deutlichsten Aufhänger, der dem spielerischen Ansatz Ti Wests aber nie ganz genügt.

Filmgeschichte als Werkzeugkasten

Es geht also nicht um simple Nostalgie. West nutzt die Filmgeschichte als Werkzeugkasten für die größtmögliche Wirkung. Ob es nun um die Inszenierung der Selbstinszenierung Maxines geht, um einen Tritt auf den Asphalt, den wir und Buster Keaton nicht so schnell vergessen werden, um den Weg von einem abgetrennten Kopf zu den Sternen, um Kevin Bacons Goldzähne oder um das Knarzen der Lederhandschuhe: eindrückliche Bilder und Töne sind das vorderste Prinzip. Selbst die ermittelnden Cops, die kaum in den Film passen wollen, schaffen es doch, als Schmierenkomödianten ein eigenwilliger und bleibender Teil des Ganzen zu sein.

Wie die 1980er Jahre ist aber auch das Genre des Slashers nur oberflächlicher Aufhänger. Weder geht es um die Identität des Night Stalkers und des Mannes mit den ledernen Handschuhen noch um ein Final Girl, das am Ende den Umtrieben eines psychosexuellen Schreckgespenstes entkommt – oder nicht. Vielmehr geht es um die Selbstermächtigung einer Frau, die darauf aus ist, sich ihr Leben zu erkämpfen – und das so, wie sie es sich erträumt, ohne Kompromisse. Mit fortschreitender Laufzeit, mit jedem neuen Moment aus zelebriertem Gore und moralischer Empörung, mit all den unterschiedlichen Leuten, die in ihren Fixierungen verloren sind, Prediger, Agenten, Regisseurinnen, mit all dem wird auch ihre Fixierung immer perverser, vielschichtiger, glamouröser, und Gleiches passiert mit MaXXXine.

Griff nach den Sternen

Das Spiegelprinzip der Trilogie findet darin ihren Abschluss. Wie in Pearl spielt ein Casting eine zentrale Rolle, doch der Ausgang ist ein völlig anderer. Von hier aus beginnt Maxines Kampf gegen Zuweisungen, düstere Vorhersagen und (internalisierte) Moralvorstellungen aus der Kindheit. Ihr Kampf ist ruchlos, verzweifelt, grell, ambivalent – und sympathisch. So endet alles, wie es begann: mit einer, die sich für einen Star hält und vor nichts zurückschreckt, um ihr Selbstbild zu verwirklichen. Die durch Blut, Tränen und den Matsch ausgeschlachteter Körper watet und die Nase dabei mit einer Art adligem Stolz emporhält. MaXXXine greift so nach den Sternen.

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