Matthias & Maxime – Kritik

VoD: Die Generation der Millennials wird erwachsen, Xavier Dolan würde das lieber verhindern. Matthias & Maxime schließt emotional an Mommy an, als Reigen über Freundschaft kurz vor ihrem Auseinanderbrechen. Wenn da nicht die Liebe wäre.

Wie sich Menschen ihre Zuneigung zeigen, nimmt in den Filmen von Xavier Dolan viele Formen an. Oft ist es mit Gewalt verbunden, mit physischer, vor allem aber verbaler Verletzung. Auch in Matthias & Maxime wird gestritten, wird gleichzeitig geredet, wird übereinander hergefallen. Alles ist vorgeprägt, in jedem Gespräch, jedem Blick liegt die Erinnerung an viele Gespräche, viele Blicke zuvor. Eine Gruppe von Freunden trifft sich im Landhaus der Familie Rivette am See. Die Bong wird freundlich rumgereicht, doch schon wem sie angeboten wird, entfacht den ersten Streit. Gesellig ist es nichtsdestotrotz sofort an diesem Wochenende, denn die Spannungen sind Teil ihrer Freundschaften.

Hierarchien emotionaler Nähe

Dolan hat den Blick dafür: Wenn mehr als zwei miteinander abhängen, dann ergeben sich fast zwangsläufig Hierarchien der emotionalen Nähe, Unverträglichkeiten, Genervtheiten. Bis etwas vorfällt, das die Beziehungen aus der so gut geölten Bahn wirft. Ein Konflikt, der sich in die Routinen des kumpelhaften, auch mal rüden Umgangs nicht mehr integrieren lässt. Denn die Jungs sind nicht allein im Landhaus, die kleine Schwester der Familie Rivette ist ebenfalls da, um einen Kurzfilm fürs Kunststudium zu drehen. Wie sie Matthias (Gabriel D’Almeida Freitas) und Maxime (Xavier Dolan) in ihr Projekt verwickelt, wird die beiden entzweien. Matthias & Maxime betont den Clash, er erzählt ihn als plötzliche Ellipse. Drehbeginn, dann Schwarzbild.

Die Schwester, die diesen Film dreht, setzt Dolan als Kontrast ein. Sie führt vor, wie alt aus der Sicht Jugendlicher die Millennials inzwischen sind, Regisseur und Hauptdarsteller Dolan ist 30. Er hat ein Auge auf Moden, Trends und gesellschaftliche Verschiebungen. Und wie seine Generation von der nachfolgenden infrage gestellt wird. Die Jüngeren mischen ungeniert Englisch und Französisch, die Älteren fordern eine klarere Sprache ein, die des frankophonen Quebec. Die Jüngeren sehen keine binäre Geschlechtergrenze, für die Älteren scheint es selbstverständlich zu unterscheiden, was Mann ist, was Frau, was schwul. Vor allem aber ist die Skepsis bei den Millennials groß gegenüber der Selbstinszenierung in den sozialen Medien. Die junge Schwester verdient ihr Geld mit Instagram.

Der Größenwahn tut gut

Kurz nach der Ellipse kommt eine der sensationellsten Szenen von Matthias & Maxime. Die beiden Männer, die sich für den Kurzfilm küssen sollten, teilen sich ein Bett. Matthias kann nicht schlafen, aber Maxime reagiert auf seine Rufe nicht. Dann, wie aus dem Nichts, geht Matthias schwimmen. Die Musik schwillt an, wie sie das oft tut bei Dolan, und der Körper des jungen Mannes im See wird zur epischen Kampfanordnung. Der großgewachsene, gut gebaute Mann gegen die alles dominierende Natur, das ewige Blau. Der innere Tumult, die Schlaf- und Rastlosigkeit von Matthias in einem Bild. Matthias beherrscht das Wasser. Er wird eins mit ihm. Und dann verliert er die Orientierung, weiß nicht mehr, wo er ist. Die Szene steht im offensichtlichen Widerspruch zum Fluss der Erzählung, fast als entstammte sie einem anderen Film. Wäre da nicht diese Energie, dieser unmissverständliche Drang zur Überhöhung in Richtung Wahrheit. Der Größenwahn tut gut.

Mindestens so sehr wie ein Film über die Generation Y und den Versuch, ihr Erwachsenwerden noch etwas hinauszuzögern, ist Matthias & Maxime einer über Männlichkeitsbilder. Die Anziehung zwischen Männern, guten Kumpels, besten Freunden und Fremden ist ein reichhaltiger Fundus, aus dem Dolan schöpft. Ein paar der aufregendsten Szenen steuert die Präsenz von Harris Dickinson bei, der in Beach Rats ähnlichen Fragen zur eigenen Sexualität ausgeliefert war wie Matthias hier. Nur dass dieser sie sich lange nicht beantwortet. Und das trotz des Drucks, den der Film in seiner Struktur als Countdown noch verstärkt: Nach und nach zählt er die Zeit runter, bis Maxime wohl für Jahre das Land verlässt.

Beobachtung einer Insichkehrung

Da ist dieser McAfee, den Dickinson radikal sinnlich spielt, für Matthias eine ganz schön harte Prüfung. Dem Gesandten eines potenziellen Kunden seiner Anwaltsfirma soll Matthias eine gute Zeit bereiten. Ein Fest des Unwohlseins scheint in Matthias auszubrechen, je selbstsicherer McAfee als ständig die Berührung suchender Macker-Hetero auftritt, sich den Ring auszieht und die berufsmäßige Umwerbung für ein Machtspiel mit offensiven Männlichkeitsgesten alter Generationen nutzt. Matthias, der selbst von Beginn an sein Heterosein als Teil einer distanzierten Coolness zur Schau stellt, wird kleinlaut. Wie überhaupt Matthias & Maxime seine Titelhelden bei einer Insichkehrung beobachtet. Indem er sie immer wieder selbst zu entrückten Beobachtern ihrer Umwelt macht, sie in Familien- und andere Gesellschaftssettings setzt, in die sie sich nicht integrieren wollen. Dolan und sein Stammkameramann André Turpin schaffen Rahmung um Rahmung, die ihre Vereinzelung und Vereinsamung nahelegt.

Gegen Ende des Films gibt es eine dieser Szenen, die als Markenzeichen Dolans gelten dürfen, weil sie so wunderbar überbordend melodramatisch sind: Maxime sitzt gegen eine Wand gelegt, einen Telefonkopfhörer in der Hand. Er kauert in der Ecke, denn es ist eines dieser Telefone von einst mit Kabel, das keine freie Bewegung erlaubt. Der Anruf ist wichtig, Maxime erfährt etwas für seine Zukunft, die in wenigen Tagen in Australien mit einem Neuanfang beginnen soll. Die Nachricht ist verwirrend, sie ist positiv und negativ zugleich, sie offenbart einen Betrug, der vielleicht zugleich ein Liebesbeweis ist. Die Kamera kriegt Maxime nicht ganz zu sehen, denn er sackt in sich zusammen, und ein Gegenstand ist im Weg. Maxime spricht kein sehr gutes Englisch. Er muss seine E-Mail-Adresse durchgeben. Nie war das aufregender und aufwühlender als hier.

Das Aufbrausende muss geteilt werden

Szenen wie diese lassen mich glauben und ein bisschen auch hoffen, das Werk von Xavier Dolan könnte für mich bald zu einem einzigen Stream of Consciousness werden. So unterschiedlich die Filme auch sind: Wie aufgeregt er inszeniert, das sorgt für eine innige Kommunikation zwischen ihnen. Wie die Menschen ineinander verschachtelt werden, die Kamera sie nervös und souverän zusammenbringt, die Dialoge sie entzweien, die Settings sie voneinander absetzen. Wie die Musik gegen den Fortlauf der Zeit ankämpft und gegen den normalen Gang der Dinge. Wie das Schauspiel in jedem Moment alles überstrahlen kann, den Film elektrisiert, ins Publikum hineinreicht und mich nicht mehr weggucken lässt.

Das Unbedingte ist bei Dolan als Überforderung angelegt, eine innere, die zur äußeren werden soll. Ein eingeforderter Liebesbeweis. Vielleicht ein bisschen autoritär, mindestens cocky: Take it or leave it. Die Filme sind das Gegenteil von offen, von porös. Sie haben nur einen Eingang, nämlich die sie durchdringende Energie, der in jedem Augenblick, in jedem Schnitt, in jeder Kameraeinstellung, in jedem Detail von Kostüm und Setdesign und in jeder Bewegung der Körper zum Ausdruck verholfen wird. Diese Energie muss fließen. Das Aufbrausende muss geteilt werden. Wenn es stockt, gerade narrativ ist das bei Dolan ein gern eingesetzter Bruch, kommt die Energie deswegen längst nicht zum Erliegen. Auch in der Ruhe, in der Nachdenklichkeit, in der Traurigkeit der Figuren bleibt der kompromisslose Wille zur Affizierung, zur emotionalen Anstrengung, zum Hochfahren der Anspannung, zum Drinsein: Loslassen darf man nicht wollen. Von Mommy bis zu Matthias & Maxime: Distanziert sein kann man, wenn man tot ist.

Der Film steht bis 15.04.2024 in der ARD-Mediathek.

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