Magic Spot – Kritik
Kleinodien der Kreativität: Seit über 20 Jahren realisieren die US-Filmemacher Matt Farley und Charles Roxburgh ihre Werke fernab aller industriellen Strukturen. Ihr Film Magic Spot ist der ideale Einstieg in dieses liebevoll handgemachte Kino.

In früheren Jahren waren die Produktionen der Major-Studios von einer besonderen Spannung zwischen Kunstwollen und Marktlogik gekennzeichnet, die immer wieder auch filmische Meisterwerke entstehen ließ. Doch seit einiger Zeit wird diese produktive Spannung zunehmend zugunsten des kapitalistischen Imperativs aufgelöst und der kreative Schaffensprozess spielt eine immer geringere Rolle. Das Kino und die Streamingplattformen bieten heute zwar eine irrsinnige Auswahl an Filmen und Serien, aber die Masse des Angebots besteht aus algorithmisch durchkalkulierten und sich nur marginal voneinander unterscheidenen Franchise- und Superheldenproduktionen. Zwar kann das Mainstreamkino auch noch hin und wieder überraschen, aber in der Regel muss wahrhaft Kreatives außerhalb der großen Studioproduktionen gesucht werden.
Von B-Movie-Hommagen zu autobiographischen Reflexionen

Zu diesen versteckten Kleinodien der Kreativität zählen die Filme der US-Amerikaner Matt Farley und Charles Roxburgh, die unter dem Label Motern Media produziert werden. Gemeinsam drehen die beiden seit über 20 Jahren No-Budget-Filme, in unbeirrbarer Regelmäßigkeit ungefähr einen Film pro Jahr, obwohl keiner je finanziellen Gewinn abgeworfen hat. Das ist in dieser Weise natürlich nur möglich, indem man die Filme mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten realisiert, die ein „normales“ Leben führen und einer eigenen Arbeit nachgehen – und die folglich auch kein Honorar verlangen müssen.
Matt Farley gehört tatsächlichen zu den wenigen, die von der Kunst leben können, auch wenn diese Kunst nichts mit dem Filmemachen zu tun hat: Als Indie-Musiker ist er so etwas wie eine Semi-Berühmtheit und hat mehr als 25.000 Songs unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlicht. Noch zu Collegezeiten hat Farley begonnen, gemeinsam mit seinem Freund Charles Roxburgh Filme zu drehen. In den ersten Jahren entstanden B-Movie-Hommagen und Horror-Comedy-Pastiches über Druiden, Ninjas und Monster, wie etwa der entrückte Gruselfilm Druids Druids Everywhere (2004) oder der Voyeurismus-Slasher Freaky Farley (2007). Ein absolutes Highlight produzierten sie 2012 mit ihrem erstaunlich professionellen Monsterfilm Don’t Let the River Beast Get You. Als sie um 2013 mit ihren Filmen bei einer kleinen Fangemeinde bereits eine Art Kultstatus erreicht hatten, wandten sie sich etwas von den Genrestoffen ab, begannen in Schwarz/Weiß zu filmen und drehten selbstreflexivere Filme, die ernsthafter aber nicht weniger komisch als ihre früheren Werke waren. Local Legends (2013) kann hier als Wendepunkt gelten. Der Film handelt von den Mühen, als Musiker von der eigenen Kunst leben zu können, und vor dem Hintergrund von Farleys eigener Musikkarriere verwischen hier die Grenzen zwischen Autobiografie und Fiktion fast wie in einem Woody-Allen-Film.
Magic Spot: Eine Welt voller zauberhafter Details

Ihr bislang sicherlich berührendster Film ist jedoch der 2022 entstandene Zeitreisefilm Magic Spot, eine Art kauzige Tragikomödie. Er handelt vom Leben in der imaginären Kleinstadt Tussleville, von der großen Liebe und von der Erkenntnis, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt und dass man die Gegenwart nicht verpassen sollte. Die mit viel skurrilem Humor erzählte Story ist trotz der fantastischen Prämisse recht simpel: Zwei Cousins versuchen, ihren verstorbenen Onkel aus dem Jenseits zurückzuholen. Der besondere Zauber des Films besteht jedoch in der Fülle an absurden Details, mit denen die Figuren und Räume ausstaffiert werden und die aus der scheinbar langweiligen Welt der Kleinstadt einen magischen Ort werden lassen.
Walter (Matt Farley) ist der Moderator der stets nur live übertragenen TV-Sendung „Tussleville Talent Tonight“, einer Show für lokale Kleinkünstler und Musiker. Sein Freund und Cousin „Poopy“ (Chris Peterson) macht dabei den Ton, gefilmt wird in einer Garage. Eines Abends erinnern sich die beiden an ihre Kindheitstage und an ihren verstorbenen Onkel Dan (Kevin McGee) sowie an ein Gedicht, dass dieser ihnen beigebracht hatte. Ihnen geht plötzlich auf, dass die Verse der Schlüssel zu einem Portal in die Vergangenheit sind. Die beiden machen sich nun auf die Suche nach diesem magic spot von Tussleville. Wir als Zuschauer erleben im Folgenden eine erstaunlich ausgeklügelte Story voller überraschender Wendungen: die Protagonisten reisen in die Vergangenheit; Personen aus der Zukunft tauchen plötzlich in der Gegenwart auf; Walter versucht, seiner großen Liebe Alyssa (Matt Farleys Ehefrau Elisabeth M. Peterson) einen Grund zu geben, nicht wieder in die große Stadt zu ziehen; und alles gipfelt schließlich in der großen Rettungsaktion, die Onkel Dan wieder in die Welt der Lebenden holen soll.
Gerade im Spielerischen finden sich Momente der Wahrhaftigkeit

Eine interessante filmische Reibung entsteht hier vor allem dadurch, dass die Figuren vollkommen unbeeindruckt von den unerhörten Ereignissen bleiben, die sich um sie herum entspinnen. So erzeugt der Film eine ganz eigene Spannung, ohne auf eine antagonistisch angelegte Figur oder große innere Konflikte der Protagonisten zurückgreifen zu müssen. Dennoch handelt es sich bei Magic Spot nicht um einen seichten Feelgood-Film, dafür ist die Dramaturgie zu unkonventionell, die Figuren zu idiosynkratisch und die Schwarz-Weiß-Ästhetik zu stark in der Tradition des Independent-Films verwurzelt. Low-Budget-Filme zeigen immer wieder – wenn auch manchmal ungewollt –, dass man viele Regeln des konventionellen filmischen Erzählens geflissentlich ignorieren kann, ohne an dramatischer Wirkung einzubüßen. Sie zeigen aber auch, wie wichtig es ist, die Zuschauer in einen eigenen Kosmos einzuladen, der etwas in ihnen anklingen lässt.
Mit den Filmen von Matt Farley und Charles Roxburgh macht man immer wieder die Erfahrung, sich anfangs in einer billigen Genre-Parodie zu wähnen und sich zu fragen, warum hier denn niemand wirklich schauspielern kann – bis man plötzlich beginnt, sich für die Figuren und Charaktere zu interessieren und anfängt, mit ihrem Schicksal mitzufiebern. Es tut einem Film eben nicht zwangsläufig einen Abbruch, ohne professionelle Schauspieler auskommen zu müssen, wie bereits Robert Bresson bewiesen hat, der seinen Amateurschauspielern auch immer wieder Momente der Wahrhaftigkeit entlocken konnte. Wenn es zum Finale von Magic Spot zu einem Zusammentreffen von Onkel Dan und seiner alten, ihm immer noch nachtrauernden Liebe kommt, dann erleben wir trotz aller Leichtigkeit des Tons und der Inszenierung einen wirklich ergreifenden Filmmoment. Hier wie anderswo gelingt Magic Spot das magische Kunststück, trotz aller Beschränkungen der finanziellen Mittel, die Zuschauer in den Bann zu ziehen und zu berühren.
Der Homemade-Film wird zum Handmade-Film

Es sind gerade diese Beschränkungen, die Matt Farley und Charles Roxburgh zu kreativen Einfällen anspornen. Da es sich bei ihren Filmen um Freizeitprojekte handelt, kommt es notgedrungen zu einer Verflechtung von realem Alltagsleben und filmischer Fiktion. Beispielsweise ist es eine Eigenart der Figur Poopy, dass sie zu jeder Tag- und Nachtzeit ein Nickerchen halten kann, was zum einen zu komischen Szenen führt, aber zum anderen auch den Produktionsvorteil mit sich bringt, dass der Darsteller der Figur, Chris Petersen, nicht immer im Bild zu sehen sein muss, obwohl er eigentlich Teil der Szene ist. Diese Art der Verflechtung von dramaturgischer Entscheidung und praktischer Erwägung ist unausweichlich, wenn die am Dreh Beteiligten alle nicht nur einem regulären Broterwerb nachgehen, sondern teilweise auch noch über drei Stunden Fahrtweg voneinander entfernt wohnen. So fließt die Logistik des Films in Figurenzeichnung und Handlungsverlauf ein und der Homemade-Film wird zum Handmade-Film, auf seine Weise kompromisslos und unabhängig.
Alyssas Sehnsucht nach der großen Stadt versinnbildlicht in Magic Spot zwar das Streben nach dem großen Erfolg. Der Film selbst beweist aber, dass es gerade die kleinen Nischen der medialen Landschaft sind, in denen sich das Versprechen eines demokratischen Kinos heutzutage einlöst. Hier sieht man plötzlich jemanden auf der Leinwand, der der eigene Nachbar sein könnte – und die Magie des Kinos entfaltet sich trotzdem!
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