Made in England: The Films of Powell and Pressburger – Kritik

Halb als persönliche Erinnerung, halb als pädagogische Handreichung widmet sich Martin Scorsese den bis ins Abgründige schillernden Filmen von Michael Powell und Emeric Pressburger. Made in England feiert ein Kino, das sich selbst genug liebt, um sich auszustellen.

Das Leben beginnt erst mit dem Film. Umso mehr, wenn es von Martin Scorsese erzählt wird, der sich in diesem Fall nicht nur als Experte für das Filmerbe auszeichnet, sondern seit jüngsten Jahren eine kindliche Liebe zu den Filmen von Michael Powell und Emeric Pressburger hat, um die es hier geht, und den mit Powell in dessen letzten beiden Lebensjahrzehnten eine enge Freundschaft verband.

Das Kino des britischen Auteur-Duos (Pressburger soll geschrieben, Powell Regie geführt haben, aber so genau lässt sich das nicht wissen) ist fast immer zugänglich und populär. Es handelt, gerade in Zeiten des Zweiten Weltkrieges, von aufrichtigen Männern und Frauen, ist bevölkert von old chaps voller Sportsgeist, die sich nach Heimat und guten, wenn auch nicht zwingend alten, Zeiten sehnen. Es menschelt aufs Zärtlichste und wendet sich doch, immer mehr und immer wieder, dem psychologisch Verhängnisvollen und visuell Theatralischen zu. Man könnte sagen: Powell und Pressburger wenden ihrem Publikum nie den Rücken, aber doch mindestens ein faszinierendes Halbprofil zu.

Filmografische Handreichung

Powell und Pressburger sind heute freilich keine Unbekannten mehr. Zu ihren aktiven Zeiten von Kritik und Publikum abwechselnd frenetisch gefeiert und skeptisch beäugt, gerieten sie zwar lange in Vergessenheit bzw. ins Nachmittagsprogramm. Die Wiederentdeckung durch New Hollywood in den 1970er Jahren setzte sie dann aber, was den Einfluss auf Regie und Cinephilie der Zeit anging, in eine Reihe mit Hitchcock, Kurosawa und John Ford.

Jedoch haben solche Wiederentdeckungen keine ewige Dauer, für jüngste Cineastinnen und Cineasten verliert der Kanon an Bedeutung, und Filme wie Der Dieb von Bagdad (The Thief of Bagdad, 1940), Leben und Sterben des Colonel Blimp (The Life and Death of Colonel Blimp, 1943), A Canterbury Tale (1944), Irrtum im Jenseits (A Matter of Life and Death, 1946), Die schwarze Narzisse (Black Narcissus, 1947) und Die roten Schuhe (The Red Shoes, 1948) haben nicht mehr die selbstverständliche Bekanntheit und Bedeutung. Und so ist dieser Dokumentarfilm keineswegs nur das Schwelgen eines Filmnarren in privaten Erinnerungen und Schwärmereien, es ist auch und vor allem die handfesteste filmografische Handreichung zum Werk der Archers, wie Powell und Pressburger sich und ihre Produktionsfirma nannten.

Das mag nach trockener Gelehrsamkeit klingen, und tatsächlich ist Made in England ganz didaktisch aufgebaut. Chronologisch folgt er den Anfängen Powells als Assistent bei den italienischen Monumentalfilmen Rex Ingvors über seinen Erstling The Edge of the World (1937) bis zur späten Ehe mit Thelma Schoonmaker. Nach den UFA-Arbeiten des Ungarn Pressburger und seiner Flucht vor den Nazis folgt die Zusammenführung der beiden unter dem Produzenten Alex Korda in London.

Dem Werk verschrieben

Genug der Biografien auch derer, die mit ihnen diese Filme geschaffen haben (zumindest nennen dürfte man hier Kameramann Jack Cardiff, Editor Reginald Mills und viele, viele Beleuchter). Der Rest des Films widmet sich ganz dem Werk selbst, ein gutes Dutzend Filme bespricht Scorsese für uns. Liebevoll und bewundernd, wo er nicht anders kann, an anderen Stellen durchaus kritisch. Einzelne Szenen pickt er heraus, die ihn angingen, die auf verschiedenen Wegen in seine eigenen Filme einflossen und die schlichtweg gelungen, unverschämt oder genial sind. Archivmaterial der beiden, Interviews und Privataufnahmen, Stimmen der Filmkritik und Studiokorrespondenzen machen auch den Hintergrund der Ausschnitte lebendig, die den Film zum größten Teil ausmachen.

Deutscher (stummer) Expressionismus, magischer Realismus, operettenhafte Welt- und Leichtläufigkeit mit Hollywood-Grandeur, britische Heimatromantik und ein Wagnerisches Gesamtkunstideal: Das ist der Versuch einer schulmeisterhaften Aufschlüsselung der Bestandteile von Powell/Pressburger, aber sie bekommt nicht das gefasst, was sich beim Sehen einstellt.

Wer in der schnellen Folge des Filmerklärers Scorsese das grelle Spiel mit Farben und Licht und die Montagepaukenschläge wahrnimmt, nach ruhigen Momenten eindrücklicher Heimeligkeit die überschminkten Stargesichter von David Niven, Deborah Kerr und Roger Livesey in wahren Kraftaufwänden der Effektkunst sieht, die sich ganz mühelos und beiläufig geben, dem wird der Mund wässrig nach einer Art des Kinos, die sich selbst genug liebt, um sich auszustellen, direkt und mit den explizitesten Mitteln den Wahn, die Lust an der Stilisierung, den Bewegungseifer und Visualität im Denken von zwei Künstlernaturen auszudrücken. Und das dabei eine elegante Beherrschung über seine Stoffe, Themen und Figuren ausübt, die diese Ausbrüche erst so eindrucks- und wertvoll machen.

Den Film kann man bei Mubi streamen.

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