Ma' Rosa – Kritik

Poetik der informellen Ökonomie – Brillante Mendoza rechnet nach, ob in den Slums von Manila alles beim Alten bleibt.

Hinein in die Slums von Mandaluyong, einer Art Vorstadt von Manila. Wie immer bei Brillante Mendoza mit wackeliger Handkamera und exzessivem Direktsound. Wir rücken Rosa Reyes (Jaclyn Jose) auf die Pelle, die mit ihren zwei Söhnen an der Supermarktkasse zum Bezahlen steht. Die Verkäuferin hat kein Wechselgeld mehr, Rosa insistiert, zum Ärger des nächsten Kunden. Es sind doch nur Coins, sagt der. Aber Coins können irgendwann einmal wichtig werden; Coins sind das, was übrig bleibt, für den wichtigen Snack zwischendurch, für Taxifahrten. Jedenfalls dann, wenn die Scheine gebraucht werden, um überhaupt weitermachen zu können mit diesem Leben, das nach Ansicht vieler Slum-Filme ja gar keines ist, das für Ma’ Rosa aber eben alles ist, seine ganze Welt. Mendozas Blick kennt kein Außen, keine sichere Distanz, keine Rettung auf anderen Ebenen.

Verhandlungssachen

Ma Rosa 01

Rosa kehrt zurück nach Hause, ein Zuhause, das zugleich ein kleiner Shop ist, mitten an einer besonders wuseligen Ecke des Viertels, wo die Straßen so eng sind, dass der Taxifahrer seine Kunden schon vorher rausschmeißt. Chaos im Bildrahmen, dazu noch heftiger Regen; so gut es geht, versuchen wir uns zu konzentrieren auf die Figuren, von denen wir glauben, dass man sie uns gerade vorstellt. Rosas Mann Nestor (Julio Diaz) ist „mal wieder high“, Tochter Raquel (Andi Eigenmann) trudelt ein. Rosa bleibt umtriebig, versucht Schulden von den Karten spielenden Nachbarn einzutreiben, bezahlt am Essensstand viel zu wenig. Alles Verhandlungssache, informelles Wirtschaften. Was Rosa hilft, ist das Wissen der Community um ihren Nebenjob. „Hast du Ice?“, raunt es von gleich ein paar Seiten, als sie zurück ins Haus geht. Familie Reyes verkauft Drogen.

Wenn sich nach dieser Etablierung des Settings die Intensität von Ma’ Rosa erhöht, dann müssten wir eigentlich eher betreten zu Boden blicken, als klopfenden Herzens den Bildern zu folgen. Mitten hinein in diese Slums, als wohl gar nicht willkommener Eindringling, stürmt nicht nur dieser Film, sondern nun auch die Polizei, bemächtigt sich dieser Welt mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie wir im Kinosessel. Und auch sie hat den Laden der Familie Reyes als Ziel, durchsucht dort jeden Winkel, bis sie die Drogen findet und Rosa und Nestor zum Entsetzen ihrer Kinder mit aufs Revier nimmt. Dort ist schnell klar: Mit „Kaution“ ist ein Betrag gemeint, von dem alle anwesenden Polizisten etwas haben.

Nur Quantitäten

Diese unruhige Handkamera funktioniert bei Mendoza anders als in formal ähnlich gelagerten Filmen, die einen besonders authentischen Wackel-Kontakt mit einem Milieu behaupten. Nicht nur findet Stamm-Kameramann Odyssey Flores immer wieder präzise Rahmungen im kaum sortierbaren Chaos, knappe Wirklichkeitsausschnitte, die selbst die überbordende Tonspur für einen kurzen Moment bändigen können und Ma’ Rosa eine neorealistische Energie verleihen. Vor allem gibt es da eine geheime Dialektik zwischen der rohen Ästhetik und der dramaturgisch vollkommen sauberen Narration (nach einem Drehbuch von Troy Espiritu). Die Handkamera verwischt die gerade gezogene Linie des Plots und verankert diesen dadurch in einer vollkommen ungeraden Welt, erschüttert die präzise Konstruktion mit kaum rekonstruierbaren Kontingenzen. Diese Verfremdung einer formell ökonomischen Erzählweise durch eine informelle Ad-hoc-Ästhetik entspricht dem stetigen Aushandlungsprozess, dem die scheinbar so klare Logik des Geldes in der Slum-Ökonomie unterworfen ist.

Was diese Poetik des Informellen zugleich ins Werk setzt, ist die radikal horizontale Verknüpfung unterschiedlicher Räume wie etwa des Slums und des Polizeireviers. Schon jenseits jeder ausformulierten These über „Korruption“ als „sozialen Missstand“ spricht die kontinuierliche Bewegung des verwackelten Bildes davon, dass überall dieselben Regeln gelten, dass dieser Raum der gleichen Welt angehört. Dieses Revier – das mit den an die Wand geklatschten Law-and-Order-Postern ohnehin eher aussieht wie eine staatstreue WG – ist kein Ort, der etabliert und damit als andere Ebene determiniert wird. Die Kamera überschreitet keine Schwelle, durchschreitet höchstens eine Tür. Keinerlei qualitative Verschiebungen, weiterhin nur Quantitäten. Auch über die „Kaution“ wird verhandelt. Anstatt die 200.000 Pesos zu zahlen, könnten Rosa und Nestor auch ihren Dealer ans Messer liefern, was sie auch tun. Aber selbst die vermeintliche Alternative zum Geld entpuppt sich als bloßes Element einer Rechnung. Auch mit den beim Dealer gefundenen Scheinen fehlen noch 50.000. Die Kinder der Reyes kommen zu Besuch und erhalten den Auftrag, den restlichen Betrag zu sammeln.

Nicht die Coins vergessen

Damit geht die Bewegung zurück in die Slums von Mandaluyong. Crowdfunding für Arme: Verkauf des Fernsehers, Betteln bei der Verwandtschaft, Prostitution (des Sohnes, nicht der Tochter). Auch Ma’ Rosa addiert jetzt das Elend, aber nicht um unser Betroffenheitskonto zu füllen, sondern um seine Figuren zu befreien. Die Gemeinschaftskasse der Community hilft, wenn man genügend insistiert. Selbst die Solidarität entspringt in Ma’ Rosa der überzeugenden Verhandlung, entwächst keiner abstrakten Menschlichkeit, die man den Ärmsten der Armen gern zuschreibt, um ihr Leid besser ertragen zu können.

Weil die Polizei es mit dem geforderten Betrag letztlich sehr genau meint, muss Rosa am Ende nochmal selbst tätig werden, denn niemand insistiert so kräftig und klug wie diese Frau. Das Smartphone der Tochter noch, dann könnte es reichen. Ein letzter Gefallen, ein letzter Weg ins rettende Informelle. Na gut, Rosa, weil du es bist. Und bitte auch noch ein paar Coins für einen Snack. Dann ist endlich ein bisschen Zeit fürs Essen, sogar für ein paar Tränen, bevor alles wohl wieder von vorn losgeht, mit ein paar informellen Schulden mehr.

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