Luz – Kritik
Als eine junge Frau unter Hypnose verhört wird, überlagern Visionen einer verdrängten Vergangenheit die Wirklichkeit. Tilman Singers Luz transzendiert die bundesdeutsche Seele in einen okkulten Horror.

Vergleiche fordert Luz zwangsläufig heraus. Mit David Lynch verbindet den Film die größtenteils ungerührte Erzählung von etwas völlig Ausfransendem, in dem es zu schockartigen Realitätsbrüchen kommt. Mit Berberian Sound System (2012) das verspielte, fantasieanregende Sounddesign. Den trockenen Humor teilt Luz mit beiden. An David Cronenbergs Kälte, die wie Fieberschweiß auf der Oberfläche liegt, können wir erinnert werden, Dario Argento oder Lucio Fulci sprechen aus den Bildern und Farben.

Die Bar, die zu Beginn die meiste Zeit den Hintergrund bildet, gemahnt in ihrem blauen Neonlicht und ihrer unwirklichen, irgendwo zwischen Bad und Gewächshaus liegenden Dekoration an die 1980er, wie die umgedrehte Baseballcap der Titelfigur etwas von den 90ern hat. Die schon genannten Giallo-Referenzen sprechen vom Einfluss der 70er. Luz – auf 16mm gedreht – steckt voller Anachronismen, die Ort und vor allem Zeit des Geschehens einer sicheren Zuordnung entziehen. Doch der Film lässt sich nicht darauf beschränken, eine Hommage auf die genannten Filme und Filmemacher oder vergangene Jahrzehnte und „veraltete“ Filmmaterialien zu sein, er wird nicht von Nostalgie angetrieben. Vielmehr liegt das formale Prinzip in der Verzahnung von Dingen, die kein einheitliches Ganzes ergeben.
Erinnerungen bevölkern den Raum

Kurz nach dem Auftakt, wie gesagt, eine Bar. Aus einem Fernseher tönt es Spanisch. Auf dem Klo hängt ein zweisprachiges Schild: oben asiatische Schriftzeichen, darunter die englische Übersetzung. Die Unterhaltung zwischen dem Polizeipsychologen Dr. Rossini (Jan Bluthardt) und der ehemaligen Klosterschülerin Nora (Julia Riedler) legt nahe, dass wir uns im deutschen Sprachraum befinden. Von Anfang an herrscht eine gewisse Schieflage, die mit fortschreitender Laufzeit ausweiten wird. Überall gibt es Fremdkörper – im Verhalten, im Ambiente, in Bild und Ton –, die dieser Realität, die sich zunehmend aus Erinnerungen und Vorzeichen zusammengesetzt zu erkennen gibt, ihre Greifbarkeit nehmen.

Es baut sich langsam auf. Erst das Bargespräch, in dem Nora dem Psychologen von einer ehemaligen Mitschülerin namens Luz erzählt. Eine unaufdringliche Parallelmontage führt das mit dem beginnenden Verhör von Luz (Luana Velis) zusammen. Daran schließt sich die schon deutlich surrealere Befragung an, bei der wiederum Dr. Rossini zugegen ist. Unter Hypnose soll Luz die letzten Stunden rekonstruieren. Während sie auf einem Stuhl sitzt und eine Taxifahrt in diesem Ambiente seltsam naturalistisch simuliert, bevölkern zunehmend ihre Erinnerungen den Raum. Zuletzt hat das Zimmer seine irdische Qualität verloren. Durch einen allgegenwärtigen Rauch sind keine Wände mehr auszumachen, die Identitäten der Anwesenden überlagern sich mit Visionen einer verdrängten Vergangenheit.
Der letzte Schritt zur Sicherheit bleibt aus

Von der ersten Einstellung an befinden wir uns in einen Film, der das Gefühl von Dylans Ballad of a Thin Man generiert. Wir sehen den Empfangsbereich einer Polizeistation. (Die kommenden Geschehnisse – wenn wir ihnen rudimentär trauen wollen – legen zumindest nahe, dass es sich um ein Revier handelt, auch wenn die Räume die identitätslose Verlorenheit einer modernen Behörde oder eines Hotels haben.) Lange wird dieses Bild ohne jeglichen Schnitt gehalten. Die uns noch unbekannte Luz kommt herein, geht an einen Automaten, stellt sich dann vor den Beamten am Empfang und beginnt ihn mit einer spanisch vorgetragenen, satanischen Abwandlung eines Gebets anzuschreien. „And something is happening, and you don’t know what it is, do you, Mr. Jones?“

Dann ist da Nora, die zeitweilige Femme fatale, die aus einem Film noir ausgeliehen scheint und deren Zusammentreffen mit Dr. Rossini sich als nicht ganz zufällig herausstellen wird: Als wir sie zum ersten Mal nach der raumgreifenden Unterhaltung mit dem Psychologen auf einem Klo sehen, sind plötzlich Blutspuren an ihrem Hinterkopf und darunter auf ihrer weißen Jacke sichtbar. Alles, was aufgebaut wird und bekannt scheint, wird immer wieder zum Einsturz gebracht. Immer mehr Zeichen bekommen wir an die Hand, die nahezulegen scheinen, was hier passiert. Mit ihnen nimmt aber auch der filmische Rausch zu, der das paranoide Netz, das sich entspinnt, nicht verdichtet, sondern einem das Gefühl gibt, dass es nur noch eines Schrittes braucht, um über das Geschehen Sicherheit zu erlangen – dieser Schritt bleibt dann allerdings ultimativ aus. Die Leute in Luz sind zunehmend benebelt. Es ist ein Geisteszustand, den der Film beschwört.
Eine Erzählung, die von der Lust an sich selbst spricht

Die langsame Sprache mit ihren vielen Pausen; ihre Verfremdung durch Hall, Geschwindigkeitsmodulation und Ähnliches; das kurzfristige Glühen der Bildränder; das mal ratlose, mal stechende Starren der Protagonisten; die langsamen Kamerafahrten: Luz wird im Duktus einer Hypnose vorgetragen. Einer Hypnose, die Figur um Figur zu Besessenen macht. Eine lapidar eingeführte Vergangenheit bekommt zunehmend etwas Teuflisches. Alle – bis auf einen schamhaften Übersetzer – werden von ihr in den Bann geschlagen.

In drei Akte oder Stufen ist Luz aufgeteilt – zwischen ihnen befinden sich nur die Mutationen, die die gerade etablierte Realität zu der kommenden umwandeln. Auch durch die Inszenierung bekommt der Film etwas von Theater. Eine Bühne wird erzeugt, auf der Erinnerungen rekonstruiert und geschaffen werden. Erinnerungen, die einen verfolgen und in Besitz nehmen. Mit dem repetitiv widerholten satanischen Gebet erlangen sie ihre Kraft – wenn mit ihm nicht gar der Teufel gerufen wird. In diesem Zusammenspiel aus zwingender filmischer Form und gallertartig weichem Inhalt, aus kraftvollem In-Bann-Schlagen und ständigem Ausweichen vor Eindeutigkeit gewinnt Luz seine Energie, seine Aktualität ebenso wie seine Zeitlosigkeit. Eine als „fremd“ wahrgenommene Gegenwart, eine Überforderung durch diese, aber auch eine Vergangenheit, der nicht zu sehr in die Augen geschaut wird, weil aus ihr Schuld und Tod sprechen: Die bundesdeutsche Seele des Jahres 2018 wird in einen okkulten Horror transzendiert. In eine Erzählung, die von der Lust an sich selbst spricht. An Fremdheit, Eigenwillen und dem Spiel mit dem Unbehagen, das diese hervorrufen können.
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