Lovesong – Kritik

Alles konnte, aber nichts musste. So Yong Kim beobachtet eine weibliche Freundschaft, die alles überdauert. – wahrscheinlich sogar die Ahnung, dass da mehr sein könnte als Freundschaft.

Lovesong 01

In der berühmten Achterbahn der Gefühle sitzt Sarah (Riley Keough) und sieht ihre Freundin an. Nun ja, es ist nicht direkt eine Achterbahn, sondern eine Art Riesenrad, aber es ist trotzdem ein vielsagendes Bild: wie dieses Gesicht vollkommen fremdbestimmt durch die Lüfte getragen wird, in einer Bewegung, die kein klares Geradeaus, im Close-up nicht einmal ein klares Kreisen kennt. Verliebt, verwirrt, verloren. In der Nacht davor haben sich Sarah und Mindy (Jena Malone) betrunken, ganz wie früher mit Trinkspielen, und irgendwann hat Sarah gekotzt, und Mindy hat ihre Haare gehalten, und dann gab es einen vorsichtigen Kuss. Jetzt sitzt Mindy ihr gegenüber, man redet nicht, auch weil Sarahs dreijährige Tochter Jessie mit in der Gondel sitzt, sondern wirft sich vielsagende Blicke zu. Nur was diese Blicke sagen, das scheint beiden nicht ganz klar:. Ein Anlächeln, ein Schulterzucken, ein bisschen Glück, ein bisschen Unsicherheit – doch weil man nicht weiß, ob die andere etwas weiß, nicht im Gefühl hat, ob die andere etwas fühlt, sagt man lieber nichts, und Mindy reist bald Hals über Kopf wieder zurück nach New York. Alles konnte, aber nichts musste.

Drei Jahre, zwei Begegnungen

Sarahs Alltag, auf den sie nun wieder zurückgeworfen ist, haben wir bereits im ersten Teil von So Yong Kims Lovesong kennengelernt. Sie ist schon mit Anfang 20 eine zwischen Überforderung und Depression stehende De-facto-Alleinerziehende, weil ihr Mann Dean (Regisseur Cary Fukunaga mit einer digitalen Cameo) geschäftlich um die Welt reist und nur ab und an mal reinskypt ins Leben seiner Familie. Dann kommt die noch ungesettlete Mindy zu Besuch, man hat sich ewig nicht gesehen, kennt sich aber lange genug, und Sarah traut sich in der Anwesenheit der Freundin zum ersten Mal ein paar Tränen zu. Keough und Malone gelingt es scheinbar mühelos, mit Blicken und Körperlichkeit zu vermitteln, wie eine auch über Distanz eng gebliebene Freundschaft sich anfühlt, und die Handkamera bleibt in den folgenden Tagen, in denen Mindy Sarahs Leben erleichtert und erheitert, ganz bei ihnen, lässt sich höchstens mal von der kleinen Jessie ablenken. Nochmal präziser in seiner Beobachtung ist Lovesong im zweiten Teil, der drei Jahre später bei der nächsten Begegnung stattfindet, anlässlich von Mindys Hochzeit. Nicht nur, wie die vergangenen Tage der Intimität noch immer nachhallen, auch wie Sarah Mindys neues Leben kennenlernt, zugleich Teil von ihm sein und nichts mit ihm zu tun haben will, das ist großartig gespielt und inszeniert.

Freundschaft als Liebe, Freundschaft als Konsum

Freundschaft ist für diesen Film einerseits etwas fast Erhabenes: die Idee, dass zwei Menschen sich so gut kennen, dass die Verständigung jegliche Durststrecken überdauert, durch jedes Hindernis durchkommt; dass sie eine Form der Liebe ist, stärker noch als jene, die Mindy in die Ehe führt. Zugleich aber bringt Kim die Augenhöhe, auf der sich Sarah und Mindy verständige Blicke zuwerfen, auch immer wieder in Schräglage. Da wird schmerzlich klar, dass Mindy eine Freiheit lebt, die es für Sarah nicht mehr gibt; dass sie sich leisten kann, Gefühle anzudeuten und diese Andeutungen wieder zu leugnen; dass Unsicherheit für Mindy nur Unsicherheit bedeutet, für Sarah einen Abgrund. Schatten der pubertären Vergangenheit kommen hinzu, ohne allzu sehr ausbuchstabiert zu werden. Wenn jedenfalls Mindy beim ersten Wiedersehen am Vortag der Hochzeit kaum Zeit für Sarah hat, ihr nur kurz Bräutigam und Trauzeugin vorstellt, dann mitten in der Nacht völlig betrunken in Sarahs Hotelzimmer auftaucht, sie pathetisch umarmt, Sekunden später wegratzt und am nächsten Morgen verkatert keine Sekunde zögert, als Sarah ihr anbietet, bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen, dann erscheint auch diese Asymmetrie Teil eines über Jahre eingespielten Teams zu sein.

And we know who we should love, but we’re never certain how.

Es kommt dann doch zur Aussprache, zu einer Art Versöhnung, mit dem bitteren Beigeschmack einer einst verpassten Chance. Man liegt zusammen am See, aber es scheint ein vergebliches Rütteln an längst geschlossenen Fenstern. Schön ist auch in diesem Moment der Zuspitzung, wie undramatisch der Film bleibt. Es geht nicht, thematisch, ums Verdrängen einer wahren Liebe zugunsten einer falschen, oder, dramaturgisch, um die Hoffnung, dass man es sich noch anders überlegt. Weil Lovesong weiß, dass es in diesen Dingen keine klar erkennbaren richtigen und falschen Entscheidungen gibt. Nur ein paar Herzen, die gleichzeitig in unserer Brust schlagen, und von denen manche beizeiten ignoriert werden müssen, möchte man überhaupt noch etwas spüren. Was ja nicht heißt, dass sie nicht heimlich weiterschlagen dürfen.

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