Love, Simon – Kritik

Die Unbestimmbarkeit durchdringender Blicke: Um seine Coming-out-Geschichte fürs große Publikum zu erzählen, braucht Greg Berlanti einen Helden, der so unauffällig wie möglich ist. Dabei ist es gerade die Normalität in Love, Simon, die immer wieder in Frage gestellt wird.

„Ich bin genauso normal wie ihr“, erzählt uns der 17-jährige Simon (Nick Robinson) aus dem Off, während er sein bürgerlich behütetes Vorstadtleben präsentiert. Allerdings hat der Protagonist aus der Verfilmung von Becky Albertallis Jugendroman Simon vs. the Homo Sapiens Agenda vor Familie und Freunden ein „huge-ass secret“, das diese Normalität bedroht: Er ist schwul. Als er online einen anonymen, ebenfalls schwulen Mitschüler namens Blue trifft, beginnt er sich zu öffnen, muss aber auch schon bald darum bangen, dass sein Geheimnis enthüllt wird.

Offensiv unauffällig

Auf interessante Weise uninteressant ist die Hauptfigur aus Love, Simon erstmal, weil sie von der klassischen Ikonografie schwuler Figuren unangetastet bleibt. Simon ist geradezu offensiv unauffällig, ein etwas hübscher, etwas altkluger und etwas tollpatschiger Normalo-Indie-Boy, der alte Kinks-Platten hört und sich aufs nächste Radiohead-Konzert freut. Was er alles nicht ist, zeigt sich dafür an einer kleinen Nebenfigur: Ethan (Clark Moore) ist androgyn, extravagant gekleidet und schon geoutet. Als die beiden am Schluss gemeinsam im Büro des Rektors sitzen, verbindet sie zwar eine gewisse Solidarität, aber eigentlich haben sie sich nichts zu sagen.

Eine Figur wie Simon kann man leicht als Anbiederung an ein heteronormatives Ideal sehen und hätte damit vermutlich noch nicht einmal unrecht – immerhin ist Love, Simon laut Wikipedia „the first film by a major Hollywood studio to focus on a gay teenage romance“. Entscheidender ist aber, dass die Unscheinbarkeit Simons tatsächlich auch elementar für die Geschichte ist.

Schon bei dem Monolog am Anfang stellt sich die Frage, wem Simon hier eigentlich seine Normalität versichert. Den anderen, weil er denkt, er müsse sein wie sie, um gemocht zu werden, oder vielleicht doch nur sich selbst, als ständig wiederholte Lüge, um der Wahrheit aus dem Weg zu gehen? Der Film geht jedoch davon aus, dass die Durchschnittlichkeit seiner Hauptfigur nicht das Resultat von gesellschaftlichem Druck ist, sondern aus seinem Inneren kommt. Wie sich Schwule eigentlich anziehen, muss er erstmal googlen, probiert dann uninspiriert zwei enge Oberteile an und landet schließlich doch wieder bei Hoodie und Jeansjacke.

Unbestimmbare Zuneigung

Love, Simon arbeitet mit dem sich gut bewährenden Kniff, die Selbstfindung seines Protagonisten mit der Suche nach der Identität seines Chat-Partners zu verknüpfen. In beiden Fällen geht es darum, Vorstellung und Wirklichkeit miteinander in Einklang zu bringen. So wie Simon sein Selbstbild hinterfragt, beschäftigt er sich auch mit Spekulationen über Blues’ wahres Ich, was seine Aufmerksamkeit jedes Mal auf einen anderen Jungen aus seinem Umfeld lenkt.

Das Spiel mit falschen Fährten bleibt dabei nicht nur ein dramaturgisches Vehikel, sondern führt auch dazu, dass ein scheinbar klar heterosexuelles Auftreten auf einmal in Frage gestellt wird. Plötzlich muss jedes Wort und jede Geste neu bewertet werden. Mal ist es ein nachdrückliches Kompliment, mal ein zu langer und durchdringender Blick, dann wieder eine für Heten-Jungs eigentlich zu weiche Bewegung. Auch wenn am Ende des Films doch alles recht eindeutig und geordnet ist, bleibt der spannend verunsichernde Gedanke hängen, dass sich Arten der Zuneigung von außen nicht genau bestimmen lassen.

Love, Simon reiht sich in eine Tradition klassischer High-School-Komödien ein und gerät dabei auch ein bisschen glatt. Wie der Titelheld haben auch seine Freunde teilweise mit spannenden Konflikten rund ums Liebesleben zu kämpfen, könnten als Figuren aber mehr anecken. Doch es gibt auch einige interessante Nebenfiguren, von denen der heterosexuelle Martin (Logan Miller) vielleicht die bemerkenswerteste ist. Versteht man queer nicht als Synonym für eine sexuelle Orientierung, sondern als allgemeine Widerständigkeit gegen Normen, dann ist es vor allem dieses nervtötende, von allen nur belächelte Scheusal, das ein wenig anarchischen Geist in den Film bringt – und dabei ständig daran erinnert, dass Jugend auch eine entwürdigende Abfolge an Bauchlandungen sein kann.

Die Welt, um die es hier geht, ist nicht mehr so repressiv, dass sich daraus ein markerschütterndes Melodram entwickeln könnte. Bezeichnend ist zum Beispiel, dass es lediglich zwei explizit homophobe Mitschüler gibt, die dann ausgerechnet von einer Lehrerin, als Inbegriff einer höheren Instanz, gemaßregelt werden. Vielmehr konzentriert sich der Film auf kleine alltäglichere Dramen: auf Selbstzweifel, den Wunsch nach Anerkennung und die Angst vor unerwiderter Liebe. Wegen seiner liberalen Eltern und verhältnismäßig toleranten Mitschülern scheinen Simons Probleme zwar recht harmlos, aber dem Film gelingt es, sie bedeutend genug wirken zu lassen, um uns bis zur Gegenüberstellung mit dem geliebten Unbekannten zu fesseln.

Neue Kritiken

Trailer zu „Love, Simon“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.