Los conductos – Kritik
MUBI: Sturz in die Dunkelheit bei Tag. In Camilo Restrepos Debütfilm Los Conductos kann man kaum etwas sehen, kaum etwas nachvollziehen, und doch viel begreifen.

Sehen, verstehen, nachvollziehen kann ich nicht viel in Camilo Restrepos Langfilmdebüt Los Conductos. Eine nächtliche Stadt in Kolumbien ist da jedenfalls: In den 16mm-Bildern setzt sie sich nur aus vereinzelt aufleuchtenden Punkten zusammen, und wenn sich der Film durch eines seiner Bilder beschreiben lässt, dann durch diese Dunkelheit, durch die immer mal wieder ein paar Schlaglichter drängen. Schwarz ist die Leinwand also meistens, höchstens erfüllt vom bunt tanzenden Korn des Films, und ab und zu fräst sich ein Licht hinein: ein Mond, ein Motorradscheinwerfer oder eine Taschenlampe, deren Lichtkegel von Ecke zu Ecke der Leinwand wandert, meist irgendeine verlassene Lagerhalle erkundet oder auf eine Schusswunde leuchtet. Ab und zu flackert da auch eine Voice-over-Narration auf, bleibt selbst aber schwaches Licht, gibt mehr Schlagwörter an die Hand, als etwas zu erzählen: Eine Sekte war da anscheinend, ein „Padre“, bald eine Rebellion aus einem verlassenen Kaufhaus, bald ein zurückgelassenes Bettlerpaar – das man manchmal tatsächlich sehen kann.
Alles ins Dunkel stürzende Helligkeit

Vertieft darin dem Film offen zu begegnen, vergesse ich mich manchmal zu fragen: Warum versperrt sich Los Conductos eigentlich dem einfachen Verständnis? Vielleicht schon ein bisschen aus Kunstwillen, vielleicht aber auch weil das, was sich von der Situation mitkriegen lässt, selbst ganz undurchsichtig ist: Kolumbianische Dealer, Mafia, Polizei, Militär alle werden vom Voice-over irgendwie ins Spiel der Korruption gebracht, und wer könnte bei dieser allgegenwärtigen Gesetzlosigkeit noch durchblicken? Den Zugriff verwehrt sich der Film jedenfalls nicht, denn wenn sich eine Sache in Los Conductos begreifen lässt, dann ist das seine physische Materialität: Papier, das beim auffalten knistert und weißes Pulver, das daraus auf eine Pfeife gestreut wird. Dicke Farbe, die auf T-Shirts gestrichen wird. Draht, der zur Kugel gebogen wird. Ein Satz, der tief in Holz geritzt wird. Stoffbahnen, die sich auf dem Boden zusammenfalten. Wasser, das Zigaretten durchnässt. Heißes Metall, das gegossen wird und ein sehniger Körper mit drahtigem Bart und weichen Locken, der sich durch den Film bewegt.
Körper, Haare und meistens auch Voice-over gehören Nut, von dem ich im Abspann lese, dass er im Laufe des Films auch mal Pinky geheißen hat. Und wie Nut/Pinky da gegossenes Metall sieht, spricht er einmal davon, wie für ihn das formbare Material die letzte Hoffnung ist, wie es dann wenigstens noch die Vorstellung gäbe, dass sich etwas umformen, etwas verändern ließe. Eine Hoffnung, die erlischt, wenn der Tag anbricht, wenn ganz viel Licht ins Spiel kommt und die Einstellungen weiter werden: Mit Ferne und Helligkeit ist da keine Physis mehr im Film, sind da nur noch Repräsentationen, ist da kein massives Holz, sondern nur Bäume, ist da kein dünnes Plastik, sondern nur ein Müllberg, kein schwerer Stahl, sondern nur Träger eines Gebäudes – und die Figuren, die Bettler, die Rebellen und ich wieder in einer kolumbianischen Welt ohne Halt gefangen.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
Der Text ist urpsrünglich im Rahmen unserer Berlinale-Berichterstattung am 24.02.2020 erschienen.
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