Auf der Suche nach Oum Kulthum – Kritik

Die Videokünstlerin Shirin Neshat versucht sich am Leben der ägyptischen Sängerin Oum Kulthum. In ihrem verschachtelten Film-im-Film lässt sich blättern wie in einem Coffee Table Book.

Die 1975 verstorbene ägyptische Sängerin Oum Kulthum wurde für ihre epische, kraftvolle Stimme maßlos verehrt. Ihren Liedern lauschte man in den entferntesten Winkeln ihres Heimatlandes und darüber hinaus, fand in ihnen Trost, versetzte sich durch sie in Ekstase. Die „stärkste Verkörperung panarabischen Fühlens“ (Der Spiegel), war sie darüber hinaus eine Patriotin, die in den bewegten Zeiten, in denen sie lebte, gerne in der Nähe der Macht war.

Hoher Preis der Selbstbestimmung

Das Setting von Auf der Suche nach Oum Kulthum (Looking for Oum Kulthum) ist die Produktion eines Films, der sich, wie der Titel sagt, auf die Suche nach der großen Diva macht. Mitra (Neda Rahmanian), die Regisseurin dieses Films in progress, sieht in Oum Kulthum vor allem eine Frau, die für ihre Selbstbestimmung und ihren Ruhm einen hohen Preis zahlen musste. Mitra trägt einen betont modischen, kurzen Haarschnitt, elegante schwarze Kleidung und viel Kajal um die Augen. Sie kommt aus Iran, lebt und arbeitet aber im Exil, fern von ihrer Familie, fern von ihrem Sohn, der eines Tages, so erfahren wir, plötzlich verschwindet. Mitra und ihr Filmvorhaben geraten in eine Notlage. Die Produzenten haben kein Verständnis, der Assistent versucht sie zu beschwichtigen, der Hauptdarsteller steigt aus, da er sich von einer Frau nicht kommandieren lassen will. That’s what it takes to be great. Darum verpasst Mitra ihrer Heldin am Schluss eine Episode des Scheiterns, die so niemals stattgefunden hat. „Tired of you always being on the top“, sagt sie, als Oum Kulthum auf einmal leibhaftig neben ihr steht.

Auf der Suche nach Oum Kulthum versucht zunächst einmal etwas Interessantes: anstatt ein geradliniges Biopic zu erzählen, erfindet der Film eine Fiktion, wechselt zwischen realistischen und traumartigen Registern, vermischt Zeiten und Handlungsebenen. Viele biografische Spuren, denen man hätte genauer nachgehen können, werden dabei nur am Rande gestreift: die Rolle der Sängerin im Wiederaufbau der ägyptischen Armee nach dem Sechstagekrieg gegen Israel, ihre Beziehung zum ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser, der Inhalt ihrer Lieder oder die Frage, inwiefern diese als Mittel der politischen Einflussnahme eine Rolle gespielt haben. Spannend wäre es auch zu erfahren, was es mit der feministischen Demonstration in Ägypten von 1914 auf sich hatte, die man in Archivaufnahmen kurz zu sehen bekommt, oder wie die politischen Verhältnisse das Innenleben Oum Kulthums tatsächlich prägten. Ägypten und Iran, damals und heute, Kunst und Macht, Religion und Freiheit – mit keinem dieser Themenkomplexe setzt sich Auf der Suche nach Oum Kulthum mehr als nur flüchtig auseinander.

Gesangseinlagen in Medienverbünden

Vielmehr fühlt sich der Film an wie ein Blättern in einem Coffee Table Book. Das dezente Grau sleek eingerichteter Apartments wechselt sich darin mit dem verträumten Sepia und den satten Grundfarben der Film-im-Film-Handlung. Historische Markierungen schmücken das visuelle Konzept, stiften aber keinen Sinn, stellen nichts dar. Welche Erfahrung ermöglicht dieses Blättern? Die vielversprechenden Konfliktkonstellationen lässt der Film nahezu unbeachtet, verweilt dafür bei Kulissen, Kostümen und Make-up. Die verschachtelte Form bleibt weitgehend Selbstzweck, die Person, Künstlerin und politische Akteurin Oum Kulthum dafür eine Unbekannte: Kein Geschichtsstück ist das, keine Gegenwartsparabel, keine biografische, keine fantastische, auch keine melodramatische Form. Das einzig Starke sind die mehrfach vorkommenden Gesangeinlagen, eingerahmt in Medienverbünde aus Mikrofon und Kopfhörern. Permanent zu sehen sind Radiogeräte, Zeitungen und Mobiltelefone; Archivaufnahmen auf einer Leinwand, digitale Screens und Filmkameras. Es wird übertragen, codiert und decodiert, während das, was der Film als sein eigentliches Thema anvisiert, sich immer weiter verflüchtigt.

Offenkundige Verfremdungsgesten

Die etablierte Fotografin und Videokünstlerin Shirin Neshat bringt mit Auf der Suche nach Oum Kulthum ihren zweiten Spielfilm ins Kino. Schon der Vorläufer Women Without Men (2009) offenbarte eine erstaunliche Prätention, die die eigentliche Geschichte in den Schatten stellte. In Erinnerung bleiben durchkomponierte Bilder und Traumsequenzen, in denen Frauen präraffaelitisch schön brutalen Männern zum Opfer fallen, im Wasser versinken, viel weinen. Der Film kultivierte eine glattpolierte, world-press-photo-esque wirkende politische Relevanz, die umso vager wurde, je perfekter sie gestaltet war. Mit ihren offenkundigen Verfremdungsgesten strebt nun Neshats jüngere Arbeit keine Selbstreflexion an. Vielmehr ist es so, als wollte Oum Kulthum sich selbst damit festigen, als wollte er so Intensität und große Gefühle herstellen. All die mediale Aufrüstung scheint nur dafür da, um auf ihren apparatfreien Ursprung, auf ein wahres Leben zurückgeführt zu werden. Bei einer Künstlerin, die schon in großen Museen ausgestellt und sich durch verschiedene Medien zum Film durchgearbeitet hat, kann solche Naivität nur verwundern.

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