L'Amour Du Monde - Sehnsucht nach der Welt – Kritik
Die 14-jährige Margaux will dem Stillstand ihres Lebens entfliehen. Jenna Hasses Langfilmdebüt L’amour du monde erzählt von einem Sommer am Genfer See mit Ablaufdatum.

Zu Beginn von L’amour du monde erscheint ein Zitat aus dem gleichnamigen Roman des welscher Nationaldichters Charles Ferdinand Ramuz, in dem klagend die Frage erhoben wird, wie wir angesichts der schieren Größe der Welt alle nur so klein haben leben können, mit so wenig zufrieden sein konnten. Damit verweist Regisseurin Jenna Hasse nicht nur auf das Setting – die Region um den Genfer See, die Ramuz seinerzeit wie ihr heute ein Zuhause war –, sondern entledigt sich noch vor der ersten Einstellung ihres Langfilmdebüts der leicht zu übersehenden Ambiguität des Titels, demnach die Welt sich wahlweise als Objekt oder Subjekt der Liebe begreifen lässt. Die grundlegende Konstellation in L’amour du monde erscheint dann aber doch gegenläufig: Nicht die Liebe der drei zentralen Figuren Margaux (Clarisse Moussa), Juliette (Esin Demircan) und Joël (Marc Oosterhoff) für die Welt ist es, die Hasse ins Zentrum rückt, sondern die Suche nach dem Widerhall dieser Liebe durch die Welt.
Stilisiert überforderte Handkamera

Nicht mit großer Inbrunst, sondern betont beiläufig drückt sich dieses Gefühl bereits in der Eingangsszene aus, in der wir Margaux, nach eigener Aussage „fast fünfzehn“, dabei begleiten, wie sie, die malerische Szenerie des Genfer Sees im Hintergrund und unterlegt von unbeschwert-sanften Gitarrenklängen, ihren Weg zum Kinderheim beschreitet, in dem sie diesen Sommer unfreiwillig ein Praktikum absolviert. Dem wilden Treiben, in dem sich Margaux bei ihrer Ankunft wiederfindet, angetrieben von den Launen der nicht zu zähmenden siebenjährigen Halbwaise Juliette, kann die stilisiert überforderte Handkamera von Valentina Provini nur bedingt folgen. Die auch weiterhin subjektiv bleibende Kamera bildet einen Kontrapunkt zur Handlung, denn mag Margaux’ Sommer auch nur von kurzer Dauer sein – sowohl dem Leben im Hotel mit ihrem Vater als auch dem Praktikum wohnt ein Ablaufdatum inne –, so droht die Gegenwart im Ganzen nur in Stagnation zu münden. Nach dem Sommer nämlich wird Margaux, wie sie es der von ihrem Vater im Stich gelassenen Juliette anvertraut, die Klasse wiederholen müssen.
Margaux lässt sich als eine Fortentwicklung der gleichnamigen Protagonistin in Hasses Kurzfilm En août aus dem Jahr 2014 verstehen, in dem die damals noch sechsjährige Clarisse Moussa ebenfalls die Hauptrolle spielte. Darin nimmt Margaux kurz nach der Trennung ihrer Eltern durch eine vorerst letzte Autofahrt auf dem Schoß ihres Vaters gezwungenermaßen Abschied von ihm. Ein Abschied, dessen Auswirkung sich in L‘amour du monde gewissermaßen niederschlägt, denn obwohl ihr Vater physisch präsent ist, zeigt sich Margaux von ihm entfremdet, was sie zum Anlass nimmt, die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Allerdings geht das, was Hasses Kurzfilm in kompakten neun Minuten gelang – die Schaffung eines Moments des Wirklichkeitsausbruches, der nicht trotz, sondern durch seine vorausgeschickte Limitierung seine Wirkung entfaltet – den keineswegs zu langen 76 Minuten von L’amour du monde etwas ab.
Ausflug nach Atlantis

Immer wieder wird Margaux an die eng gesteckten Grenzen ihrer Welt erinnert, etwa, wenn sie auf selbstbeschlossenen Ausflügen mit Juliette wiederholt vom Leiter des Kinderheimes aufgespürt wird, der sie an ihre Verantwortlichkeit als Aufsichtsperson erinnert. Durch ihr Hinwegsetzen über die Regeln drohe den Kindern, so der Direktor, Orientierungsverlust. Demgegenüber verspricht der Fischer Joël, der Juliette eines Tages aus dem Wasser rettet, eine Welt jenseits der Bergketten der Alpen, die Margaux’ Neugier abzuschnüren drohen. Joël, der sonst als Tauchlehrer in Indonesien arbeitet und aufgrund des Todes seiner Mutter in die Schweiz zurückgekehrt ist, verweist auf eine Welt jenseits hiesiger Beschränkungen und figuriert fortan als Projektionsfläche für Margaux’ Sehnsüchte nach Freiheit und Liebe, die sie bislang versuchte im Kino zu stillen.
Das Kino taugt hier allerdings nur bis zu einem gewissen Grad als Gegenort und hat überdies die Anziehungskraft verloren, die es vor fast einem Jahrhundert gehabt haben mag, als Georg Wilhelm Papsts Abenteuerfilm L’atlantide (1932) seine Premiere feierte. Denn als Margaux, nach kurzer Irritation ob der unbesetzten Kasse, den Saal des örtlichen Programmkinos betritt, findet sie sich dort in Gesellschaft eines einzigen Mannes wieder, womöglich des Kinobetreibers persönlich. Und obgleich der kinematografische Ausflug in das untergegangene Königreich Atlantis ihren Weltschmerz kurzfristig lindern kann, so muss Margaux nach einer unliebsamen Begegnung mit Carole (Mélanie Doutey), der neuen Partnerin ihres Vaters, konstatieren, dass der Eskapismus, den ihr das Refugium Kino verspricht, festen Öffnungszeiten unterliegt.
Grüße aus dem Paradies

Begierig, über den Istzustand ihres Lebens hinwegzusehen, lehnt Margaux die sie determinierenden Umstände reflexhaft ab – so auch in jenem ersten Gespräch mit Carole: Nach ihren Plänen gefragt, erwidert sie der irritiert dreinblickenden Freundin ihres Vaters impulsartig, sie werde bald nach Indonesien gehen. Zu diesem Zeitpunkt bereits hinlänglich mit Margaux und ihren Impulshandlungen vertraut, überrascht uns diese Antwort weitaus weniger als die unbedarfte Carole. Es ist ein Moment, der an eine der Eingangsszenen erinnert, in der Margaux auf die Urlaubsnachricht einer Freundin aus Italien („Bisous d’Italie“) mit einem Foto antwortet, das sie just in diesem Moment vom Fernsehprogramm macht, in dem wir, durch das Handydisplay, einen sonnendurchfluteten Bambus-Bungalow vor dem Meer erkennen. Dem fügt sie lediglich an: Grüße aus dem Paradies. Es ist eine Lüge, die sich zweifellos später als eine solche herausstellen wird, doch Margaux ist bereit, die unvermeidliche Zukunft für den Moment zu suspendieren; für einen Augenblick, in dem sie sich wie der hungrige, über eine Antilope herfallende Löwe in Henri Rousseaus Gemälde inszenieren kann, das wir im Kinderheim hängen sehen: eine hungrige Löwin, die, gleichwohl gewahr des bevorstehenden Sonnenuntergangs, sich einzig dem ihr sich bietenden Moment hinzugeben bereit ist.
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