Lonely Castle in The Mirror – Kritik

Im eigenen Tempo Freundschaften schließen: Ein märchenhaftes Schloss wird zum Zufluchtsort für einige Jugendliche mit Schulangst. Keiichi Hara entwirft in seinem Anime einen Ort der Ruhe, der erst spät vom großen Drama geflutet wird.

Als Kokoro abermals wegen ihrer Schulangst zu Hause bleibt, fängt ihr Spiegel an zu leuchten und zieht sie in ihn hinein. Auf der anderen Seite wartet ein Schloss auf einem Felsen in einem endlos scheinenden Meer. Ein Mädchen mit Wolfsmaske nimmt sie in Empfang und stellt ihr sechs weitere Eingesaugte vor. Diese leiden auch (fast) alle an Schulangst. So ad hoc wie der ganze Auftakt dieses Films funktioniert, erfahren wir auch noch schnell die Regeln des Ortes: Zwischen neun Uhr früh und fünf Uhr nachmittags können die sieben gerne durch den Spiegel kommen und in den Weiten des Schlosses ihre Zeit verbringen. Nur eines gilt es zu beachten: Wer um fünf Uhr noch da ist, wird von einem Wolf gefressen. Dafür gebe es aber auch die Möglichkeit, einen Schlüssel zu finden, der einen Raum öffnet, in dem sich etwas gewünscht werden kann.

Mobbing-Horror

Wer nun von Keiichi Haras Animationsfilm Lonely Castle in The Mirror (Kagami no kojô) eine abenteuerliche Quest erwartet, hat die Rechnung ohne die Figuren gemacht. Erst nach einigen Wochen beschließt Kokoro überhaupt, ihre Hemmungen zu überwinden und zurückzukehren. Nach dem Schlüssel wird kaum bis gar nicht gesucht, stattdessen wird abgehangen und sich langsam, sehr langsam kennengelernt. Wie die Mutter Kokoros akzeptiert, dass ihre Tochter einfach nicht mehr in die Schule geht, gibt das Schloss wie der Film seinen verschlossenen Protagonisten Zeit und Raum, ohne Druck, weit weg von einer Welt voll Missgunst, Anspruch und Unsicherheit.

Kokoros Problem lernen wir kennen. Von einer Gruppe in ihrer Klasse wird sie gemobbt und verfolgt. Auch ihre einzige Freundin wird anscheinend in diese Gruppe integriert. Das alles kulminiert in einer Horrorszene, in der die Schemen einer Horde Jugendlicher durch den Vorhang von Kokoros Gartentür zu sehen sind. Sie verlangen Einlass, um die dort Verängstigte fertigzumachen. Bedrohlich schlägt die Hand der Anführerin immer wieder gegen die Glastür, die kurz vorm Bersten scheint. Für lange Zeit bleibt dies aber eins der wenigen dramatischen Geschehnisse.

Kein perfekter Sehnsuchtsort

Stattdessen lässt der Film der jugendlichen Unentschlossenheit ihren vollen Lauf. Über die anderen lernen wir wenig, außer dass sie sich anderen Menschen kaum öffnen können und dass sie eine Mauer aus behaupteter Abgeklärtheit um sich aufgebaut haben. Nur schleppend lassen die bewertenden und herablassenden Kommentare nach, hinter denen sie sich verschanzen. Sich zu fragen, was es mit diesem Märchenort auf sich hat, ist ein Wagnis, dass sich nur sehr vorsichtig aufgebürdet wird. Stattdessen eben einsilbige, verkrampfte, um den Brei herumredende Jugendliche, die herumsitzen und flanieren. Immer wieder zeigt uns die Einblendung der Monate, wie schnell die Zeit verfliegt, in der nichts Entscheidendes passiert.

Passend dazu das Schloss: Während die Figuren alle noch gezeichnet sein dürften, wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Hintergründe und vor allem die Details des Schlosses am Computer erstellt wurden. Zuweilen sehen die Räume, Türen und (Spiel-)Uhren wie Überbleibsel eines 30 Jahre alten Computerspiels aus, die pro forma hinter die Handelnden gelegt wurden. Der Preis für die absolute Freiheit in einem beschaulichen Gemäuer mit toller Aussicht und eigens auf die eigenen Vorlieben hin eingerichtete Räume ist, dass dieses Märchenhafte irreal und virtuell aussieht. Eben nicht wie ein perfekter Sehnsuchtsort, sondern wie ein erklecklich zusammengeschusterter Nichtort der Ruhe.

Zum Fühlen gezwungen

Selbstredend wird es irgendwann doch noch dramatisch. Die Herkunft der Sieben wirft Rätsel auf. Die Verbindung zwischen ihnen ist doch schicksalsträchtiger als die einfache Schulangst. Der Schlüssel wird doch gesucht. Das, was die Gruppe nur zu gerne ausblendet, holt sie doch noch ein. Sobald die märchenhafte Erklärung gefunden ist, brechen die Dämme und Lonely Castle in the Mirror wird von Handlung und Drama geflutet. Vor allem drängt die Musik in den Vordergrund. Schließlich geht es um die großen Gefühle.

Bezeichnend ist, dass der drucklose, formlose, tapsende Teil des Films der weitaus bessere ist. Womöglich ist es für manche Zuschauer frustrierend, dass sich niemand aufrafft, etwas zu tun, dass hartnäckig nur in den bequemen Couches des Schlosses gesessen wird. Richtung Finale kreischen dann aber Rockgitarren breitbeinig und deplatziert zu einem Vergewaltigungsversuch. Der immer dicker auftragende Score möchte einen förmlich zum Fühlen zwingen. Und Kokoro verschwindet nach dem Twist der Auflösung irgendwo in die Peripherien des Geschehens. Ihre Geschichte wird zur Randnotiz, der emotionale Kern plötzlich ein ganz anderer. So viel bricht über uns herein, so viel Willkürliches, Aufdringliches und Unpassendes, dass man sich plötzlich selbst vor dem Druck der Welt zu einem nichtssagenden Zufluchtsort retten möchte, wo in einem ganz eigenen Tempo Freundschaften geschlossen werden können.

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