Loft – Kritik
Wo langsam verblutende Proleten aus Dantes Inferno zitieren: Das Loft in Eckhart Schmidts New-Wave-Neon-Kammerspiel ist ein Ort destruktiver Machtverhältnisse, an dem selbst die Liebe keinen Ausweg bietet.

Zweimal erscheint der Titel zu Beginn. Zuerst in den an Carpenters Halloween (1978) gemahnenden orangefarbenen Credits auf schwarzem Grund. Dann in leinwandfüllenden roten Lettern an eine weiße Wand plakatiert. Davor ziehen Rauchschwaden durchs Bild, und ein Voice-over berichtet von der Verheerung der Welt durch einen Krieg aller gegen alle. Noch bevor der Film wirklich begonnen hat, ruft Loft damit gleich zwei verschiedene Traditionslinien des zeitgenössischen B-Movies auf: die florierenden amerikanischen Teenie-Slasher und die billigen kleinen Endzeit-Reißer, wie sie das 1984 schon im Niedergang befindliche italienische Genrekino gerne als eine Art Schwundprodukt hervorbrachte.
Sadistische Spiele mit „Kunstscheißern“

Dann folgen wir dem Protagonist*innenpaar, Raoul (Andreas Jung) und Raphaela (Rebecca Winter) auf eine Vernissage im titelgebenden Loft, das sie und der Film bis zum Ende nicht wieder verlassen werden. Die agile Kamera klebt dabei förmlich an den Figuren, die sich, angetrieben von wummernden und klirrenden Synthie-Sounds, rast- ziel- und atemlos zwischen den Menschen und den Gemälden, die wie surrealistische Albdrücke wirken, durch den in infernalisches Rot getauchten Raum bewegen, in dem von Anfang an destruktive Machtverhältnisse schonungslos ausagiert werden. Eine mit einer Leine an einem Pfeiler festgemachte Frau begrüßt die Eintretenden mit einer Schimpftirade: „Arschlöcher“, „Kunstscheißer“.

Raoul will den schnellen Sex, zu dem er Rebecca in einer Ecke, nur notdürftig von den Blicken der anderen Besucher*innen geschützt, regelrecht nötigt. Sie hingegen sehnt sich nach einer Sicherheit, die er ihr nicht geben kann oder will, wirft ihm sarkastisch vor, dass er keine eigenen Ambitionen habe, sich bloß von seinen Eltern aushalten lasse. Die Gastgeber*innen der Ausstellung erweisen sich unterdessen als eine anarchistische Gang, die bald anfängt, sadistische Spiele mit ihren Mittelklasse-Gästen zu spielen – dabei aber bald feststellen müssen, dass sie sich mit den Falschen angelegt haben.
Nur darauf warten, die Bestie zu wecken

Denn eine dritte Quelle, aus der Eckhart Schmidts albtraumhaft delirierendes und zunehmend blutrünstiges New-Wave-Neonlicht-Kammerspiel schöpft, ist ein nihilistisches Narrativ bestimmter Italo-Thriller der 1970er und frühen 80er Jahre, das sich aus – wenn nicht zwangsläufig linker, so doch politischer – Verzweiflung am Zustand der Welt zu speisen scheint. Aus dem ohnehin nicht gerade für seine Sanftmut bekannten europäischen Genrekino ihrer Zeit stechen Filme wie Aldo Lados Night Train – Der letzte Zug in der Nacht (1974), Pasquale Festa Campaniles Hitch-Hike – Wenn du krepierst, lebe ich (1977) oder Rugero Deodatos Der Schlitzer (1980) als besonders garstig hervor: Angelehnt an amerikanische Vorbilder von Sam Peckinpah oder Wes Craven, erzählen sie vom blutrünstigen Zusammenstoß zwischen bürgerlichen Hauptfiguren mit einem – mal ländlichen, mal großstädtischen – Subproletariat. Die zivilisatorische Schicht, die den modernen Menschen vor der reißenden archaischen Bestie trennt, die in ihm schlummert, ist hier dünn und zerbrechlich wie Brillenglas. Vom Ende der Filme her stellt es sich dar, als hätten die Figuren aus der Mittel- und Oberschicht nur darauf gewartet, dass sie aufgeweckt wird, dass ihnen die Gewalt ihrer Gegner erlaubt, dem eigenen Zerstörungstrieb freien Lauf zu lassen, ein Ventil zu öffnen, mit dem sie den Druck ablassen können, der aus ihrer Entfremdung von sich selbst und voneinander entsteht.
Flucht in Kinematografien fremder Länder

So sind es in Loft gerade die vermeintlichen Proleten, die, noch wenn sie langsam verblutend am Boden liegen, Klassiker der Weltliteratur rezitieren, namentlich die Inschrift am Tor zu Dantes Inferno. Mögen die Machtverhältnisse, die Schmidt schonungslos darlegt, auch zunächst entlang der Linien von Geschlecht und Klassenzugehörigkeit verlaufen, so werden die Grenzen dabei doch zunehmend durchlässig, ohne dass sich den Figuren dadurch eine Möglichkeit zu Befreiung oder Emanzipation auftun würde. Und wenn einem Regisseur wie Schmidt das, was heute gerne als „politisch korrekt“ gelabelt wird, von jeher herzlich egal war, so ermöglicht ihm gerade das, umso brutaler von den destruktiven Mechanismen der Macht zu erzählen: Wo Feminist*innen etwa heute danach streben, das sogenannte Up-Skirting verbieten zu lassen, lässt eine Szene des Films keinerlei Zweifel daran, dass der ungewollte (fotografisch fixierte) Blick unter den Rock einer Frau Gewalt ist.

Wer in der alten BRD von bestimmten sozialen und emotionalen Realitäten erzählen, sich dem Lebensgefühl einer Zeit auf eine Weise nähern wollte, die sich der Vorliebe der hiesigen Kulturindustrie für klar definierte Themen und einfache Botschaften radikal entzieht, der, so scheint es, konnte das nur, indem er in die Kinematografien fremder Länder floh. Und Schmidt erweist sich hier als Meister darin, sein wohl eher winziges Budget nicht nur voll auszukosten, sondern aus der Not eine Tugend zu machen, indem er dem Minimalismus des Settings den ausufernden Exzess der filmischen Mittel entgegensetzt. Mit nichts als seinen Darsteller*innen, verschiedenfarbigem Licht, dem dräuenden Score und mehr und mehr Kunstblut kreiert er eine atemlos verdichtete Atmosphäre absoluter Ausweglosigkeit.
Zurück in die Lampe des Projektors

Beim gleichzeitig blutrünstigsten und düster poetischsten Mord des Films ersticht Raphaela einen ihrer Widersacher mit der riesigen Scherbe eines Spiegels, in der er seinen eigenen Tod mitansehen kann: ein finaler Akt der Selbsterkenntnis, in dem der Vergehende erst eigentlich wird. Denn ist der Klassenfeind am Ende nicht nur tot, sondern sehr buchstäblich ausgelöscht, dann ist er dabei doch in ein Jenseits der Bilder gelangt, das hier vielleicht das realweltliche Außen durch den reinen Kinoraum des Lofts ersetzt. Raoul und Raphaela dagegen bleibt letztlich nur die Erkenntnis, dass ihnen auch die Liebe keinen Ausweg bietet, sie nicht zueinander führen kann. Es gibt für sie kein Erwachen aus diesem von den Geistern des Kinos bevölkerten Fiebertraum, keinen Weg nach draußen, sondern immer nur noch tiefer hinein in die Hölle des kollektiven Unbewussten. In einem für einen Film der „No Future-Generation“ nur konsequenten Regress führt uns Schmidt vielleicht schließlich zurück in die Lampe des Projektors. Dorthin, von wo die industriell gefertigten Träume der Populärkultur das gleißend weiße Licht der Welt erblicken, aus dem es in der letzten Einstellung raunt: „Wir kommen immer wieder.“
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