Llevame en tus brazos - Schließe mich in deine Arme – Kritik
Twists wie in griechischen Dramen: Schließe mich in deine Arme (1954) ist ein klassisch mexikanischer Rumbera, ein atemloses Melodram, in dem eine Frau ins Unglück gestürzt wird, von dort aber die Flucht nach vorn antritt und zum Filmstar aufsteigt.

Wenn eine Frau das erste Mal ihrem Liebhaber ihre Tugend schenke, könne kein Gold der Welt ihr die Unschuld wiedergeben. So postuliert zumindest ein Song, der in Schließe mich in deine Arme (Llévame en tus brazos, 1954) mehrmals bei Tanzveranstaltungen gespielt wird. Flotter Rhythmus, eine eingängige Melodie, eine moralische Warnung im melancholischen Gewand: Die Musik versucht, die Enge des Alltags zu verlassen, die Probleme vergessen zu machen und einem Rausch der Bewegung zu verfallen, während der Text reflexartig die Einschränkung mitliefert, dass die, die sich da fallen lassen, nicht übertreiben sollen. Aber eben nur die Frauen, weil sie unrettbar verloren sind, sollten sie sich den Genüssen des Sex vor der Ehe hingeben.
Liebreiz und Trotz

Mehr als den Tanz zu diesem Song braucht es nicht, um den Konflikt zu verstehen, der sich am Grund der Rumberas findet, einem speziell mexikanischen Genre, das in den 1940er und 1950er Jahren auf seinem Zenit stand und zu dem auch Schließe mich in deine Arme gehört. Meist sind es knallige, atemlose Melodramen, in denen von gefallenen Frauen und Prostituierten erzählt wird. Durch eine zutiefst ungerechte Gesellschaft und durch Männer, die ihren Vorteil gnadenlos ausnutzen, werden sie nach engen moralischen Standards entehrt – und doch kämpfen sie, die Frauen, mit erhobenem Haupt gegen ihr Schicksal an. Von der Anlage sind die Filme oft cautionary tales, doch mit ihrer damals ungewohnten Sättigung mit sozialer Realität, mit ihrer Insistenz auf Erotik und glamouröse, sexualisierte Hauptfiguren, sowie mit dem Rumba und genussfreudigen Tanznummern wurden sie etwas viel Komplizierteres, weniger Ernstes.

Im Mittelpunkt des Films von Regisseur Julio Bracho steht nun Rita. Gespielt wird sie von Ninón Sevilla, einem der größten Stars des Genres. Bekannt war Sevilla für ihre eleganten und verschlungenen Frisuren. Aber sie bräuchte die teilweise wahnwitzigen Haararrangements gar nicht, um zum Mittelpunkt des Films zu werden. Schon ihr Auftreten ist voller Widersprüche. Ihr Gesicht ist kindlich, schön, weich. Eine Stupsnase in der Mitte. Ihr Lächeln ist verschüchtert bis mitreißend. Ihr Kinn trägt sie aber oft merklich hoch, und ihre Bewegungen sind bei aller Eleganz erstaunlich hart und hölzern. Liebreiz und Trotz, Schwäche und Stärke, sie ist trotz ihrer meist simpel angelegten Rollen oft kaum zu fassen.
Ist der Ruf erst ruiniert…

Während der beiden Tanzveranstaltungen, zu denen das anfänglich erwähnte Lied zu hören ist, wird Rita also ins Unglück gestürzt. Bei der ersten erfährt sie, dass ein reicher Industrieller ihren Vater erpresst. Entweder er schicke eine seiner Töchter in seinen Haushalt oder das Boot würde einkassiert, mit dem die Familie ihr karges Auskommen bestreitet. Also opfert sie sich und geht. Kurz darauf – niemand glaubt, dass sie wirklich nur als Magd arbeitet – verstößt sie ihr Verlobter und jemand nutzt aus, dass sie durch Schmerz und Alkohol nicht mehr Herr ihrer Sinne ist. Doch Rita, ganz nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“, tritt die Flucht nach vorne an. Vom Tanzmädchen in kleinen Bars steigt sie zum Filmstar auf.

Ritas Schicksal ist damit aber nur unzureichend eingefangen. Den Rumberas ist nämlich eigen, dass sie selten konzentriert und geradlinig ablaufen. Auch auf der Handlungsebene suchen sie nach dem Exzess. Unentwegt streben die Geschichten zu Twists wie in griechischen Dramen, und das Geschehen verharrt nur für wenige Minuten beim gleichen Konflikt, bevor wieder alles ganz anders wird. Während Rita folglich versucht, mit ihrem unschuldigen Sündenfall zu leben, wird sie in die Ermordung eines reichen Mannes durch einen Erbschleicher verstrickt, sie rennt durch ein brennendes Feld, um vor einem Vergewaltiger zu entfliehen und sich vom Ekel vor sich selbst zu reinigen, sie wird von einer Ehefrau angefleht, ihren Mann als Liebhaber aufzugeben, weil seine Großzügigkeit ihr gegenüber ihn und seine politische Karriere zugrunde richtet. Immer in neuen Konstellationen reißen Tugend und Verderben an ihr.
Surreale Atmosphäre, expressiver Stil

Wer Filme wie Entfesselte Moral (Aventurera, 1954) gesehen hat, weiß, in welche fiebrige Höhen sich diese Filme hochzuschaukeln verstehen. Im Gegensatz zum Wahnwitz des Films von Alberto Gouts ist Schließe mich in deine Arme aber geradezu zahm und ruhig. Nie schlagen Emotionen in Raserei um, eher werden die Schicksalsschläge hingenommen, als dass sie das Blut kochen lassen. Das ist wahrscheinlich der größter Schwachpunkt des Films. Mit einer verträumten Atmosphäre und einem entsprechenden Stil versucht er diesen aufzuwiegen.

Die Atmosphäre entsteht durch die seltsame Lebenswelt. Dort bleibt Rita selbst als Filmstar vom Geld eines Mannes und der von ihm bezahlten Wohnung abhängig. Das Geschehen und seine Darstellung grenzen zuweilen ans Surreale. Auch weil diese Lebenswelt und selbst die Symbolik von Macht, Reinheit und Luxusprostitution in einem ständigen Wandel gefangen sind, der alles wenig solide erscheinen lässt. Mitunter wirkt es, als wäre das Erwachen nur eine Frage der Zeit.

Der Stil des Films liegt am ehesten in der Hand von Gabriel Figueroa, der auch bei John Fords Befehl des Gewissens (The Fugitive, 1947) oder Luis Buñuels Die Vergessenen (Los Olvidados, 1950) für die Kamera verantwortlich war. Expressiv fängt er den Kampf Ritas ein. In Licht und Aufbau einzelner Einstellungen lässt sich dabei mehr über die komplexen Machtverhältnisse erfahren, als es das Drehbuch mit Worten vermitteln könnte. Zum Höhepunkt von Schließe mich in deine Arme sind Rita und ihr ehemaliger Verlobter für vier Stunden in einen Raum eingesperrt. Auf wenige Minuten ist dieser Zeitraum kondensiert, kaum etwas geschieht, und trotzdem zeigen sich in Licht und Positionierung von Kamera und Schauspielern mehr Grabenkämpfe und Wandlungen als im daran nicht gerade armen Rest des Films. Vor allem sind die Bilder dabei so stilsicher, dass sie sich einem direkt einbrennen. Schade ist nur, dass die digitale Restaurierung des Kameranegativs zwangsläufig etwas kalt gerät und einen nur erahnen lässt, wie schön ein analoges Positiv aussehen würde.
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