Licht – Kritik

Die Last des Sehens und die Freiheit des Nicht-Sehen-Müssens – Barbara Alberts Licht blickt ins Antlitz der blinden Pianistin Maria Paradis. Was sie alles am eigenen Leib über gesellschaftliche Zwänge erfährt, hebelt der Film dabei immer wieder aus.

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Tränenunterlaufen, rot umrandet und in ihren Bewegungen vollkommen voneinander entkoppelt blicken die Augen der jungen Pianistin Maria Paradis (Maria Dragus) in die Kamera. Nur ist es eindeutig kein Blick, der in den nervös umherzuckenden Pupillen aufleuchtet, kein zusammenhängendes Seherlebnis, das sich in der Erscheinung der weit auseinandergespreizten Augäpfel äußert – es ist allein die Blindheit selbst, die uns aus diesem Antlitz heraus anschaut. Die entzündeten Lider, das extreme Schielen und die verschwitzt glänzende Haut verdichten sich zu einem Bild des Schmerzes und der Verschlossenheit, doch dieser offen zur Schau gestellte Schmerz soll nicht zum Mitleid anregen, keine Entbehrung und keinen Mangel vorführen. Im Gegenteil: Die Inszenierung des Schmerzes wird hier zu einer konfrontativen Geste. Versunken in ihr Klavierspiel, in die flinken, schwebenden Bewegungen ihrer Hände, streckt Maria Paradis der Außenwelt ihr Gesicht als eine Barriere entgegen; ihr Antlitz ist nicht dazu da, anderen Zugang zu ihrem inneren Erleben zu gewähren, sondern um diesen Zugang demonstrativ zu verweigern. Maria zieht sich zurück hinter die Kluft, die zwischen den Vorstellungen der Sehenden und der Lebenswelt der Blinden besteht – und dieses Rückzugsgebiet, so macht die Offenheit ihrer verzerrten Gesichtszüge deutlich, ist auch um den Preis intensiven körperlichen Leids nicht zu teuer erkauft.

Eine Intensität, die Licht schnell abhandenkommt

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Die Nahaufnahme der erblindeten Pianistin am Anfang von Barbara Alberts Licht ist von einer beinahe aggressiven Intensität geprägt – die sich im weiteren Verlauf des Films leider ziemlich schnell verflüchtigt. Dabei ist die dramaturgische Konstellation zunächst gerade in ihrer schematischen Einfachheit durchaus prägnant: Maria Paradis ist zwar als Pianistin ein anerkanntes Ausnahmetalent, aber durch ihre Blindheit von der Teilhabe am bürgerlichen Leben ausgeschlossen. Auf Betreiben ihrer Eltern wird sie bei dem durch die Theorie des animalischen Magnetismus bekannt gewordenen Arzt Franz Anton Mesmer (Devid Striesow) in Behandlung gegeben – doch als die Behandlung erste Erfolge zeigt, stellt sich heraus, dass mit dem Erwachen ihres Augenlichts Marias musikalisches Talent mehr und mehr verloren geht und ihr Klavierspiel in die Mittelmäßigkeit abzugleiten droht. Nun will sich Licht nicht einfach an dem durch diese Ausgangsituation nahegelegten Konflikt zwischen einer mit Einsamkeit bezahlten Einzigartigkeit und einer durch Anpassung erkauften Zugehörigkeit abarbeiten; Alberts Film will nicht einfach ein klassisches Außenseiter- und Künstler(innen)drama sein. Doch zugleich scheint Licht nicht so recht zu wissen, womit er die von ihm verworfenen Bedeutungsmuster ersetzen will – er wabert zwischen psychologischem Drama, politischer Polemik und barockem Ausstattungsexzess, ohne aber diese unterschiedlichen Register je wirklich auszugestalten oder auf produktive Weise aufeinanderprallen zu lassen.

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So werden zum Beispiel die Repräsentanten der etablierten bürgerlichen Gesellschaft ausnahmslos als grobe Karikaturen inszeniert: Der Vater Marias (Lukas Miko) redet dann in Gockel-Manier davon, dass sich Talent natürlich nur über die männlichen Samenzellen vererbe; ein Patient Mesmers begrabscht ungeniert und mit breitem Grinsen die machtlose Dienstmagd, und eine bürgerliche Bekannte Marias reagiert auf den Unfalltod des verkrüppelten Sohns der Köchin nur mit den Worten: „Jetzt ist’s hin, die Missgeburt!“ Diese Überzeichnungen sind nun nicht an sich ein Problem, im Gegenteil: Konsequenter betrieben und bis ins Groteske gesteigert, hätten sie durchaus eine polemische Energie entfalten können. Zum Problem werden sie, sobald sich der Film wieder dem individuellen Schicksal Marias zuwendet und das Dilemma zwischen Einsamkeit und Anpassung plötzlich gar keines mehr ist – denn einer derartigen Gemeinschaft, die ihre Dumpfheit und Bösartigkeit nicht einmal hinter einer scheinheiligen Fassade verbirgt, kann niemand ernsthaft angehören wollen. Auch die Wiederkehr von Marias Sehkraft wird in Licht mal als bloß äußerliches Eintreten in das gesellschaftliche Konstrukt von Sehen und Gesehen-Werden inszeniert und mal als grundlegende Verwandlung von Marias innerer Erlebniswelt – doch unter keinem dieser Blickwinkel entfaltet dieser Heilungsprozess eine innere Dramaturgie oder eine unvermutete Komplexität, bis schließlich irgendwann die gegenläufigen Perspektiven einander nicht bereichern, sondern nur wechselseitig aufweichen.

Ein Mangel an Zynismus

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Man weiß bis zuletzt nicht so recht – und der Film selbst scheint es auch nicht zu wissen –, was an dieser Geschichte nun genau das Interessante sein soll. Dabei gibt es in Licht durchaus ab und zu Anklänge einer strengeren und unerbittlichen Lesart der Ereignisse, einer Lesart, nach der eine einfühlsame Erkundung von Marias inneren Wünschen und Bedürfnissen von vornherein als ein hoffnungsloses Unterfangen erscheint, da sie, egal was sie tun oder welche Ziele sie verfolgen mag, immer schon in einen fremden Verwertungszusammenhang eingebettet ist: Als blinde Virtuosin ist sie dem Vater ein Werkzeug zum gesellschaftlichen Distinktionsgewinn, als unmusikalische Sehende für Mesmer ein Mittel, in die streng abgeschottete Welt des Wiener Adels und Großbürgertums einzubrechen. Die Teilnahmslosigkeit, mit der Maria dem zentralen Dilemma ihres Lebens begegnet, wäre dann erklärbar als Folge der Einsicht, dass sämtliche Lebensziele, die ihr in diesem sozialen Gefüge zur Auswahl stehen, nur unterschiedliche Formen des äußeren Zwangs sind. Doch diese im Keim präsente Sichtweise wird im Laufe des Films immer wieder ausgehebelt, nicht zuletzt durch eine Texttafel am Ende: „Erneut erblindet, begann sie zu komponieren“, heißt es da, wodurch das Erblinden dann doch wieder nur als ein Triumph des Individuums erscheint. Für den kühlen Blick, den das Material immer wieder zu fordern scheint, fehlt es Licht an formaler Strenge, an unbeirrbarem Zorn – oder vielleicht ganz einfach an einem gesunden Maß Zynismus.

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