Venezianische Freundschaft – Kritik
Zwischen Allianzen in der Diaspora und interkultureller Kommunikation.

Bei Titel und Inhaltsangabe schrillen erst mal die Alarmglocken: Seit dem bahnbrechenden Erfolg von Ziemlich beste Freunde (2011) verdächtigt man ähnlich daherkommende Projekte doch schnell der Nachahmung jenes Multikulti-Verständnis-Rezepts, das Differenzen und Machtverhältnisse gern in wohligem, weil entpolitisiertem Humanismus auflöst. Zumindest der deutsche Verleih von Venezianische Freundschaft scheint mit der mal wieder recht eigenen Titelübersetzung auf eben diesen Zug aufspringen zu wollen. Befreunden werden sich hier die chinesische Arbeitsmigrantin Shun Li (Zhao Tao, bekannt aus vielen Filmen von Jia Zhang-ke) und der Fischer Bepi (Rade Šerbedžija), beide mehr oder weniger gefangen in der Lagune von Venedig.
Doch der Schein trügt. Zum einen ist Andrea Segres Film im gleichen Jahr produziert worden wie der französische Toleranzhit, kommt hierzulande nur verspätet ins Kino, zum anderen verweigert sich schon der Originaltitel Io sono Li dem Optimismus interkultureller Kommunikation. Nicht allgemein Menschliches, sondern konkret Individuelles soll hier verhandelt werden. Li schuldet der chinesischen Mafia Geld für Reise und Aufenthaltsgenehmigung, nach Abzahlung soll ihr die Wiedervereinigung mit dem in der Heimat weilenden achtjährigen Sohn gestattet werden. Als besonders produktive Arbeiterin wird sie zu Beginn von Venezianische Freundschaft von einer Näherinnen-Fabrik in Rom nach Venetien versetzt, um dort in einem Café die vor allem aus älteren Fischern bestehende Stammklientel zu bedienen.

Schon dieses Setting eignet sich kaum für voreilige Feelgood-Stimmung: Eine Gondel bekommen wir hier erst zu sehen, als ein Hochwasser die Gassen überflutet, ansonsten triste Hafenatmosphäre, immer gleiche Läden und Lokale, graues Pflaster – ein Anti-Venedig (wie viele solcher Räume im Kino noch unerschlossen sind!). Auch Segres Film wird immer wieder überflutet und mitgerissen von den unterschiedlichsten Strömungen. Trotz seines genauen Blicks, seines ernsthaften Interesses für diasporische Schicksale wie dem Lis ist er vor allem in der ersten Hälfte nicht frei von überdeutlichen Einstellungen und melodramatischen Klischees: Leidvolle Briefe in die Heimat; zwei strunzdumme Machos, die der Kellnerin auf die Nerven gehen; der oft zu simple Rückgriff auf das visuelle Leitmotiv brennender Kerzen auf dem Wasser, mit dem in China an einen antiken Dichter erinnert wird. Und dass Li zu ihrem Glück nicht mehr zu fehlen scheint als die Nähe ihres Sohnes, das ist doch eine etwas problematische Verkürzung migrantischer Realitäten.
Doch es gibt eben auch diese anderen Strömungen, die durch Venezianische Freundschaft fließen und die den humanistischen Appellen und Emphasen der Toleranz entfliehen. Auch und gerade das Verhältnis zwischen Li und Bepi ist vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat. Denn Bepi selbst flüchtete einst aus den Ruinen von Titos Jugoslawien nach Venetien, die Verständigung zwischen dem mittlerweile assimilierten Exilanten und der unweigerlich als fremd wahrgenommenen Chinesin beruht weniger auf der Erkenntnis gemeinsamer Prinzipien als auf dem Gemeinsamen der jeweils singulären Erfahrungen. Und als Li dem aufgrund seiner Reimwut gern „Poet“ genannten Bepi schließlich das vertrackte Ausbeutungsverhältnis schildert, mit dem sie zur Sklavenarbeit im Café gezwungen wird, da bringen die politischen Erschütterungen jenen filmischen Raum wieder aus der Balance, in dem wir eben noch die Augenhöhe zwischen zwei Menschen genossen haben.

Auch der italienische Rassismus erschöpft sich bei Segre nicht in der Skandalisierung anachronistischer Vorurteile, ist vielmehr nicht von ganz materiellen Machtverhältnissen zu trennen. Finden die Fischer-Senioren die neue Fachkraft aus dem fernen Osten noch ganz putzig, solange sie hinter der Theke steht, lachen mit ihr über die schwierige Aussprache der noch neuen Sprache, so wird durch die titelgebende Freundschaft aus lustigem Multikulti schnell ein ernstes Problem. Nach ersten Gerüchten über eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen Li und Bepi fantasieren die Italiener hinter vorgehaltener Hand nun über eine chinesische Invasion; und für die ausbeuterischen Landsleute Lis ist diese Situation geschäftsgefährdend genug, um das ungewöhnliche Verhältnis unter Drohungen zu verbieten. Die Freundschaft ist in diesen Szenen nicht mehr Grundlage einer melodramatischen Erzählung, sondern wird zum filmischen Vektor, in dem soziale Abhängigkeit und rassistische Anfeindung in ihrer komplexen Verschränktheit zum Vorschein kommen.
So changiert Venezianische Freundschaft zwischen dem eher schlichten Rückgriff auf Universalien – in inhaltlichen Klischees wie in dramaturgischen Konventionen – und einem genauen Blick für Konkretes und Politisches. Die in ihrer Bildsprache oft schlichten, in dieser Schlichtheit immer wieder auch wunderschönen Bilder schwanken so in ihrem Wirkungsgrad, mal verstärken sie eine allzu menschelnde Botschaft, mal entziehen sie sich der vorschnellen filmischen Heilung.

Im Kino ist das Menschsein manchmal so schön einfach, oft genug zu einfach. Diesem faulen Zauber zu widerstehen, ohne die visuelle Kraft des Filmemachens zugunsten von Betroffenheit und biederem Sozialrealismus ganz aufzugeben, das wäre die Herausforderung politischen Filmemachens in unserer heilen, weil vom krisenresistenten Management der lustigen interkulturellen Differenzen geleiteten Diversity-Welt, in der die Magie des Kinos nur die nötige humanistische Selbstversicherung liefert.
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