Let Me Die a Woman – Kritik
Sexploitation à la Wishman - Teil 1: Doris Wishman macht Gender Trouble.

Wer kennt ihn nicht, oder hat ihn, vielleicht unwillentlich, selbst schon ausgesendet: den senkrecht pendelnden Macho-Blick, mit dem (für gewöhnlich) männliche Augen (für gewöhnlich) weibliche Kurven von Kopf bis Fuß bis Kopf entlanggleiten. Mit längeren Pausen in Hüft- und Brustbereich, versteht sich. Immer wieder ahmt die Kamera in Let Me Die a Woman genau dieses Voyeursgegaffe nach, und so sehen wir zum Beispiel: kastanienbraune, glatte Haare, die zärtlich um die feinen femininen Züge spielen, bis sie sich, knapp über den Schultern, in Spiralen aufwärts zwirbeln; ein Bogenmuster, das von den kleinen, festen Brüsten wiederaufgenommen wird, die über einem hübschen Speckbauch wachen, der halbmondförmig oberhalb der Scham abschließt, in deren struppigem Dunkel sich ein zarter Penis versteckt, zwischen samtenen Innenschenkeln, die si.... Stop, was? Ein PENIS?
„We know deep inside us, we are a man or a woman.“

Wishman kann von diesem kalauernden Schockeffekt nicht genug bekommen, zumindest kann sie sich nicht sattsehen an den Körpern der im Film porträtierten Transsexuellen. Anyway: Die Kamera scannt hier hormonbehandelte, geschlechtsumgewandelte Leiber mit schamlosester Neugierde. Unmöglich, bei diesen direkten, unverwandten Bildern nicht einen männlichen Blick mitzufühlen, die fleischgeile Porno-Brille aufzuziehen, und dann zu schmunzeln, wenn bei der „Entdeckung“ des sichtbaren geschlechtlichen Widerspruchs die Suspense-Streicher auf der Soundspur kreischen: Krass! Horror! Sleaze!

Die „Grande Dame of Sexploitation“ hat, das kommt mit dem Genre, den patriachalen male gaze drauf wie all ihre Kollegen. Damals, in den 1970er Jahren, war die vorgeblich gegenderte Blickanordnung im Kino eines der, wenn nicht das Thema der beginnenden feministischen Filmwissenschaft. Und aus Perspektive mancher etwas radikaleren Emanzipatorinnen muss Wishman wohl lange wie der Teufel gewirkt haben, eine Verräterin, die gegen ihr eigenes Geschlecht an der filmischen Ausbeutung weiblicher Körper mitmischte. Und sicher: Ein Bild ist erst einmal ein Bild. Ein unmotiviert lange aus unverständlicher Nähe gefilmter Frauenarsch ist obszön, selbst wenn einige Wishman-Apologetinnen sie später als Proto-Feministin gefeiert haben.
„But perhaps it’s not so simple.“

Aber Wishman ist eben auch eine Regisseurin, die Filme dreht, in denen sich eine Geheimagentin eine versteckte Kamera in ihre Gigantobrüste implantieren lässt, damit in einer Art Umkehrung von Peeping Tom (1960) die Todeszuckungen der Typen aufgezeichnet werden können, die gerade zwischen ihren Doppel-F-Titten zerquetscht werden (Double Agent 73, 1974). Brachialer kann man die verhasste männliche Schaulust wohl nicht zurückschleudern. Aber nirgendwo hat Wishman diese Spiele mit Blick-Erwartungen und geschlechtlicher Festnagelung so lustvoll betrieben wie in Let Me Die a Woman. Der Form nach als educational documentary getarnt, in der ein ominöser Sexualmediziner namens Dr. Wollman – „doctor, surgeon, psychologist, minister, medical writer“ – seine interessierten Zuschauer per Zeigestock und menschlichen Präsentationsobjekten über die nur scheinbar binäre Sexualordnung aufklärt, ist der Film ein grandios spaßiges Pastiche für die Mitternachtsweiterbildung. Berüchtigt gewordene Szenen wie eine explizit gefilmte Sex-Change-OP oder ein glattmetallner, kegelförmiger Dildo, der in eine künstliche Vagina geschoben wird, disqualifizieren den Film sowieso für irgendwelche ernsthafte Aufklärungsarbeit, an Schulen zum Beispiel, oder bei der CSU. Was insofern bedauerlich ist, als eine solche damals wie heute eigentlich Not tut, auch wenn die Pornowebsites mittlerweile überquellen mit Shemale-Clips jedweder Couleur.
Schau ihr in die Augen!

Aber Wishman opfert Let Me Die a Woman auch nicht gänzlich dem Jux der Mockumentary, allen trashigen Widersprüchlichkeiten und schauerlich billigen Pseudo-Dokumentarismen zum Trotz (Dr. Wollman zum Beispiel liest unleugbar seine gesamten Aussagen von irgendwo schräg neben der Kamera ab). Immer wieder wird spürt man eine ganz ernsthafte, wenn auch vielleicht naive Anteilnahme am Thema anklingen, und selbst die Full-Frontal-Shots wirken weniger entblößend als schlichtweg fasziniert von diesen ungewöhnlichen Kombinationen von Primär- und Sekundärgeschlechtsorganen. Da kann man auch darüber hinweg sehen, dass, jenseits der befreienden Öffnung für anormale sexuelle Ordnungen, Homosexualität immer noch als abstoßend und anrüchig verhandelt wird. Männer, die Männer begehren, scheinen schwerer zu verstehen als Männer, die Frauen werden wollen, um Männer zu begehren. Demgemäß bezieht der Film auch eine dezidierte Position pro Geschlechtsumwandlung, ohne sich darum zu scheren, dass mitnichten alle Operierten hinterher glücklich mit ihrer Entscheidung sind.
Was Let Me Die a Woman aber vor allem eine emanzipatorische Note verleiht, sind die aus den fies gestellten und schepp gefilmten Reinszenierungen herausstechenden Interviewszenen mit einer transsexuellen Puertoricanerin. Sie war – in der schön altertümlichen Diktion des Filmes, bei der es bei aller Geschlechtskomplexität doch immer noch binär zugeht – „a genetic man, but a psychological woman“. Und nun zieht sie sich für Doris Wishman aus, zeigt bereitwillig ihre Schönheit und erzählt mit einem unwiderstehlichen New Yorker Schnarren von ihren Erfahrungen als Gefangene im falschen Körperspiel.

Bei aller Unsicherheit darüber, was echt ist und was fake – eine Ungewissheit, die hier sowohl Form als auch Thema durchdringt – wirken diese mit direktem Sound gedrehten Szenen angenehm real (alles sonst ist, Wishman-typisch, grauenhaft schlecht synchronisiert). Ob sie es letztlich auch sind, steht auf einem anderen Blatt. Das Höschen zieht die Puertoricanerin zumindest nicht aus. Aber diese Zurückhaltung könnte ja auch Wishmans höchste Form der Wertschätzung sein: das (männliche) Gaffen einmal nicht, ob ernsthaft oder spaßeshalber, zu würdigen, sondern schlicht zu ignorieren und stattdessen der Gesprächspartnerin nicht zwischen die Beine, sondern einfach ins Gesicht zu schauen.
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