Das Imperium – Kritik

Mutterschiffe ohne Kanonen und Krieg der Sterne in der französischen Provinz: Bruno Dumonts Das Imperium ist ein Flickenteppich der Einfälle, auf dem das Science Fiction-Genre regelrecht kaputtgespielt wird.

Am Ende ist alles demoliert, fehl am Platz, verwüstet: ein zerdeppertes Polizeiauto mit nicht weniger depperten Polizisten darin, ein paar Kühe mitten auf der Straße, ein paar abgedeckte Häuser und überall Müll. Was ist passiert? Bruno Dumont hat Science-Fiction gespielt. Mehr noch: Er hat Science-Fiction regelrecht kaputtgespielt. Und dabei alles auseinanderfallen lassen, was er sich gerade noch aufgebaut hatte: die ultimative Endschlacht zwischen Gut und Böse im Weltraum, der Krieg der Welten zwischen zwei Alienrassen, die um die Vorherrschaft über Erde und Menschheit kämpfen, das Shakespeareske Anbandeln zweier eigentlich verfeindeter Individuen und natürlich all der Dumont’sche Körperquatsch, der dazwischen passiert. Und als würde dieses vorletzte Bild von The Empire (L’empire) noch nicht genug von der kindlichen Spielerei zeugen, zeigt Dumont nochmal jenes Kind, um das sich hier alles gedreht hat. Den ganzen Film hat es nur zugesehen, doch im Angesicht des Durcheinanders, darf es sich nochmal quietschend in die Kamera freuen und sagen: „Das war’s!“

Alle Reden übers Wetter. Die Aliens nicht.

Aber vielleicht nochmal von vorn, obwohl das unter Umständen nicht viel mehr Klarheit in diesen wirren Film hereinbringt. Dumont beginnt dort, wo er eigentlich immer beginnt: in den Dünen und Feldern der nordfranzösischen Provinz, wo dieses Mal nicht degenerierte Adelige (Die feine Gesellschaft, 2016) oder französische Nationalheldinnen (Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc, 2017; Jeanne d’Arc, 2019) vor- und aufgeführt werden. Stattdessen gibt es zwei verfeindete Alienrassen namens Nuller und Einser. Nuller bestehen aus bösem schwarzem Schleim und Einser sind helle Lichtstrahlen, aber beide mit der Fähigkeit, menschliche Körper zu übernehmen. Und dann gibt da noch ein Kind der Nuller, eine Art Auserwählten, der Margat genannt wird. Ihm gehören die bereits erwähnten letzten Worte des Films und er wird mit absurd simplen Methoden zwischen den Aliens hin und her entführt.

Das ist ohnehin oft der Humor-Modus von The Empire. Die Diskrepanz zwischen einem weltbewegenden Sternenkrieg um das Schicksal der Menschheit und einem französischen Dorf, deren Bewohner sich lieber über das Wetter unterhalten. Deswegen ist es nur konsequent, wenn mit den etablierten Schauspielerinnen Anamaria Vartolomei und Lyna Khoudri zwei ungewohnt normschöne Körper in Dumonts Kino treten. Weil Dumont ohnehin mehr über seine Spielleitung der Körper kommuniziert, gibt es eben auch einen Gegensatz zu den hier wieder auftretenden Laiendarstellern allerlei ungewohnter Physiognomien.

Kastrierte Mutterschiffe

Wer in The Empire allerdings hauptsächlich eine Star-Wars-Parodie erkennt, schlägt fehl. Klar gibt es Lichtschwerter, ein Imperium, manch ein Raumschiff sieht aus wie eine Mischung aus Millennial Falcon und TIE Fighter, die Dünen sind ein kleines bisschen Tatooine und die Wiesen ein wenig Naboo. Letztlich bleibt die französische Provinz aber immer französische Provinz und Dumont bleibt Dumont. Will heißen, dass die Dinge mehr für sich stehen als auf ein Vorbild verweisen, das es zu dekonstruieren gilt. Es steckt nicht mehr im Lichtschwerttraining zwischen den Einsern Jane (Anamaria Vartolomei) und Rudy (Julien Manier) als die ungelenke Bewegung selbst. Und Imperator Belzébuth (Fabrice Luchini) ist, wenn überhaupt, näher an Lord Helmchen als Lord Vader. Vor allem aber soll sein pompöses Kostüm samt Kniestiefeln und bescheuerter Kopfbedeckung aus Luchinis Körper eine dauerhaft durch den Film wandernde Albernheit machen.

Dieses Dumont’sche Körperspiel ist gewohnt virtuos, den überraschenden Wechsel von Einfällen aber kenne ich eher aus der gesamten Filmografie als dass er im einzelnen Werk stattfinden würde. So ist The Empire ein Flickenteppich der Ideen geworden. Nicht unbeholfen wirkt das, eher befreiend, weil das Genre alles grundiert und zusammenhält, und deshalb durchprobiert werden kann, was gerade so in den Sinn kommt. Also fängt es mit den beiden verfeindeten Alienrassen von Nullern und Einsern an, die, ehe sie in ihrer ausgestellten Binarität ein Kommentar auf die Genretropen von Gut und Böse werden könnten, zunehmend banaler werden. Denn dann kommt mal kurz Sex, Eifersucht und Beziehungsdrama ins Spiel, was wiederum durch die Ankunft zweier Mutterschiffe und die Vorbereitung auf eine epische Weltraumschlacht unterbrochen wird. Aber ehe letzteres wirklich passiert, schüttelt und rührt ein Schwarzes Loch nochmal alles durcheinander und schon landen wir im chaotischen Schlussbild, das nichts mehr davon übriglässt. Dazwischen offenbaren zwei hoch entwickelte Mutterschiffe, dass sie keine Schusswaffen besitzen und sich nur rammen können, und Imperator Belzébuth darf sich an einer absurden Darbietung seines privaten Jazztanzorchesters erfreuen.

Diskursive Emanzipation vom Diskurs

Es ist nicht so, dass The Empire nicht mit allerlei Symbolik gesättigt wäre, die sich nur zu gut in Diskursen verwerten ließe. Aber wenn es eine konsequente Bewegung des Films gibt, liegt sie in der Entleerung jeder Bedeutung, die über ihn hinaus gehen würde. Warum die beiden Mutterschiffe aussehen wie Notre Dame und Versailles ist so belanglos wie irgendeine Rede um die Natürlichkeit von bedingungsloser Lust als Kennzeichen der menschlichen Rasse. Letzteres klingt zumindest kurz in der Affäre zwischen Jane und Jony (Brandon Vlieghe) an. In Zeiten, wo der politische Einsatz eines Films gerne mal anhand der guten oder schlechten Botschaften, der klugen oder weniger klugen Gedanken, der fehlenden oder anwesenden Reflexionsebenen, der vorhandenen oder nicht vorhandenen Korrektheit von Darstellungen analysiert wird, ist Dumonts Kino wohltuend. Nicht weil er mit Dummheit, Grobheit, Unkorrektheit dagegen kokettieren würde. Auch nicht, weil The Empire weniger Thesenfilm ist als andere. Sondern weil er mit seiner infantilen, in sich verweilenden Spielerei für eine Emanzipation der filmischen Form eintritt, wie es nur wenige tun.

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