Monsieur Killerstyle – Kritik

VoD: Quentin Dupieux hat nach dem Reifen aus Rubber einen neuen Gegenstand als Protagonisten gefunden. Mit der Hirschlederjacke glücklich werden heißt es für Jean Dujardin und Adèle Haenel.

Einfach mal mit ’nem Kleidungsstück reden, das Leben nach ihm ausrichten, alle Kontrolle abgeben. Jean Dujardin spielt Georges und steckt vermutlich in einer Lebenskrise. Aber angesichts seiner innigen Liebe für die neue Hirschlederjacke, die er sich für Unsummen leistet, ist nicht alles aus dem Lot. Es geht ihm sogar richtig gut. Monsieur Killerstyle (Le Daim) beginnt mit kühlen Bildern und bleibt ihnen bis zum Ende treu. Die Groteske, die sich vor der Linse abspielt, wird durch ihre Zurückhaltung klarer noch.

Auf einmal Fetischfilmer

Weil Georges zusammen mit dem Exzess in Hirschleder einen kleinen Camcorder geschenkt bekommt, erfindet er sich neu: als Fetischfilmer. Zunächst richtet er den Apparat auf den Stoff, auf dessen braune Textur. Wie elegant die Jacke sein breites Kreuz zur Geltung bringt! Wie selbstbewusst sie über dem Stuhlrücken liegt! Dann schaut Georges durch die Fransen hindurch, als gäbe es eine neue Welt zu entdecken aus der ungewohnten Perspektive. Bald schon ist das Hirschleder nicht mehr nur Objekt, sondern Motor der Geschichte, mit Willen und Ausdruckskraft.

Adèle Haenel hat den scharfen Blick, lässig bewegt sie sich hinter der Bar, in der ihre Figur Denise arbeitet. In dem verlassenen Ort irgendwo in Frankreichs traurigen Berglandschaften ist die Barkeeperin das Gegenstück zu den vielen Geistern, die hier oder dort auftauchen, als Concierge im Hotel, als Passanten, als Herumstreuner. Denise ist da, leibhaftig, und bietet sich als Editorin an für das Filmprojekt, von dem Georges großspurig tönt. Ob er so viel Wirklichkeit verträgt in seinem Egotrip? Für Monsieur Killerstyle ist sie der zweite, der stärkere Motor, nach dem Hirschleder. Hemdsärmelig füttert sie den Wahnsinn und macht die Groteske perfekt.

Alles für die Jacke, im Zweifel mit Gewalt

Die Konstellation ist einfach, der Rahmen schnell abgesteckt. Der auf absurde Settings und groteske Figuren spezialisierte Regisseur Quentin Dupieux (Rubber, 2010; Wrong, 2012; Wrong Cops, 2013) weiß, wie wichtig Minimalismus ist, wenn die Ideen sich entfalten, im Zuschauer Raum nehmen sollen. Weniger ist in der absurden Komödie oft mehr, weil das Irreale nur unsere Bereitschaft braucht, es in ein Verhältnis zu unseren Erfahrungen zu setzen. Gerade unsere zweite Heimat, die mediale Wirklichkeit, kümmert sich gern um den Rest. Dockt an, füllt die Lücken mit Erinnerung und Reflex.

Gleich in der ersten Szene gibt Dupieux einen Vorgeschmack auf den Spaß, den sich die Hirschlederjacke später noch macht: Georges fordert in ihrem Auftrag Wildfremde dazu auf, sich ihrer Jacken zu entledigen, sie in seinen Kofferraum zu packen und zu versprechen: Nie wieder werde ich eine Jacke tragen! Wie lang wird es dauern, bis die ach so schicke Fransenjacke die einzige ist auf dieser Welt? Es ist viel zu tun, im Zweifel mit Gewalt. Georges zögert nicht, warum auch? Die Jacke spricht mit seiner Stimme. Eins folgt aufs andere, Dupieux zieht langsam die Geschwindigkeit an, ohne der Eskalation aber vollends zu erliegen.

Genau die richtige Menge des Wenigen

Ursprünglich hatte Dupieux das Drehbuch auf Englisch geschrieben, in der Wüste angesiedelt und einen großen, dicken Schauspieler im Kopf, der eine viel zu kleine Jacke tragen sollte. Als daraus nichts wurde, adaptierte er den Stoff für Frankreich, fand die Berglandschaft, die ihm selbst nicht vertraut war und die Idee mit dem Hirschlederfetisch. Ganz entscheidend für die Wirkung ist Jean Dujardins Präsenz. Dupieux arbeitet das Wuchtige an ihm heraus, in der enganliegenden, recht kurzen Jacke. Seinen verschmitzten Blick und sein selbstsicheres Auftreten inszeniert Monsieur Killerstyle als Vorstufe zum Wahnsinn.

Dupieux lässt nichts dem unheimlichen, gespenstischen Potenzial des Films im Weg stehen und übersetzt das Verrückte auch in die räumliche Inszenierung. Vor allem spielt Monsieur Killerstyle mit widersprüchlichen Eindrücken von Dujardins Körper im Bild. Mal ist er dominant, dann ganz klein. Unter der Dusche ist sein Oberkörper massiv, in den vielen Szenen im Auto ist er beinahe körperlos, nur ein Kopf oder nicht einmal das. Oft verbannt der Film Dujardin gänzlich ins Off, hinter den Camcorder.

Das Hirschleder übernimmt die Kontrolle und Georges gibt sich ihm mit Freude hin. Natürlich lässt sich Dupieux’ Material-vs.-Mensch-Konstellation metaphorisch und gesellschaftskritisch lesen. Nur würde das der kindischen Komponente, dem spielerischen Vergnügen am Nonsens auf keinen Fall gerecht. Eher bietet Monsieur Killerstyle eine alternative Wirklichkeit zum Testen an, in der wir unseren Fetischen fürs Dinghafte folgen. Loslassen, abgeben, glauben. Dafür braucht es nicht viel und Dupieux liefert genau die richtige Menge des Wenigen.

Der Film steht bis 17.11.2022 in der Arte-Mediathek.

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