Lara – Kritik
Jan-Ole Gerster folgt einer der Welt entrückten Pianistin durch einen Tag im Leben der Hauptstadt. Der Vergleich zum Vorgänger Oh Boy drängt sich auf, aber Lara will deutlich tiefer bohren.

Lara (Corinna Harfouch) fühlt sich der Hochkultur zugehörig. Früher war sie begabte Pianistin, so wie nun ihr Sohn Viktor (Tom Schilling). Die Bars, die sie besucht, sind holzvertäfelt, von schummrig-gemütlichem Licht erfüllt. Dort trifft sie auch mal Menschen wie ihren früheren, hochangesehenen Musikprofessor. Berlins Bar- und Café-Interieurs haben in Jan-Ole Gersters neuem Film Lara ihre so viel beschworene Arm-aber-sexy-Atmosphäre verloren, sehen in ihrer sophistication eher wie Paris aus. Aber außerhalb davon ist Laras Eleganz verloren. Ihr auffälliger rot-oranger Mantel, das neue, schwarze, enge Spitzenkleid darunter sowie der stete Gang auf hohen Schuhen sind für den Film auch Mittel, von ihrer Deplatziertheit zu erzählen. Zwar ist Lara immer Zentrum des Bildes, aber ihrer Umgebung ist sie entrückt. Sie wird uns im Laufe des Films bekannter, der Welt aber scheint sie stets fremd zu bleiben. Einmal wird sie mechanisch durch ein Rolltreppenbild bewegt, das an die surreale Gestaltung M. C. Eschers erinnert – lediglich durch ein Schaufenster mit akkurat und aufwendig hergerichteten Diät-Torten gefilmt, passt sie mit der großen, schutzschildartigen Sonnenbrille irgendwie ins Bild.
Oh Boy’sches Berlin

Natürlich liegen die Vergleiche zu Gersters melancholisch-ironischem Oh Boy auf der Hand, und das will der Film auch gar nicht verhindern, allein schon weil die formellen Parallelen zu dicht aneinander verlaufen. Auch Lara spielt sich wieder an einem einzigen Tag in Berlin ab. Lara feiert ihren sechzigsten Geburtstag, wobei von Feiern nicht die Rede sein kann. Später erfahren wir, dass Viktor am Abend ein großes Konzert mit eigenen Kompositionen geben soll. Als inzwischen pensionierte Abteilungsleiterin aus der Stadtverwaltung, wacht sie am Beginn des Films morgens auf, schaut aus dem Fenster ihrer Wohnung im fünften Stock, klettert mit einem Stuhl auf die Fensterbank und vermutlich hält sie nur das plötzliche Klingeln vom Springen ab. Laras Grundton kann mehr mit der Melancholie als mit der Ironie des Vorgängers anfangen.

Und auch das Berlin-Leben des Films kann sich dem Vergleich zum Vorgänger nicht entziehen. Seine Vorliebe für leicht schrullige Stadtbewohner hat Gerster zwar zugunsten der melancholischen Grundstimmung deutlich zurückgestellt, aber an einigen Stellen blitzt sie dann doch durch. Etwa in Form von kumpelhaft lockeren Polizisten, die bei einer Wohnungsdurchsuchung auch mal ein wenig Klavier spielen oder ehemalige Arbeitskolleginnen, die ihre Chefin nie mochten und darauf etwas zu offensichtlich anspielen. Da entstehen dann Dialoge, die Lara sichtbar herausfordern, ihr immer wieder eine Reaktion abverlangen, sie dazu bringen, den apathisch-strengen Modus, in der sie sich die meiste Zeit befindet, doch mal zu verlassen oder ihn als Schutz gegen das Außen sogar zu forcieren.
Mühsam klingende Psyche

Viel eher geht es Gerster um die Psyche seiner Hauptfigur. So richtig wird die aber nicht greifbar, weil das starre, undurchdringbare Antlitz auch jeden Zugriff des Zuschauers verweigert. Das macht den Film mitunter mühsam. In seiner Figurenführung ist Lara oft ziemlich willkürlich und scheint das durch psychologisierende Gespräche ausgleichen zu wollen. Bemüht verweisen diese dann auf die Vorgeschichte zu diesem einen Tag in Laras Leben. Da trifft sie einen Jungen, der mit seinem Smartphone spielt, während er auf seinen Lehrer an der Musikschule wartet. Sie gibt ihm kurzerhand eine strenge Klavierstunde, die vor allem auf leichter Erniedrigung, Druck und Hierarchie fußt und an dessen Ende sie ihm empfiehlt, es doch lieber mit Trompete zu probieren, bevor er seine Eltern blamiert. Diese Szene ersetzt scheinbar clever ein paar Rückblenden zur mütterlichen Musikausbildung Viktors und Laras eigenen Klavierstunden. Die effiziente Erzählökonomie, die hier am Werk ist, kommt aber vor allem bemüht daher.
Übertönendes Motiv

Einmal sitzt Lara mit Viktor im Garten ihrer Mutter und lobt ihn für eine elegante und gleichzeitig harmonische Komposition. Der vom Urteil der Mutter abhängig gewordene Sohn freut sich, hat einiges an Selbstvertrauen für den Abend getankt. Doch das kann Lara nicht stehen lassen. In Harfouchs Gesicht zeichnet sich in feinen Nuancen der Umschwung von Unterstützung zu Eifersucht ab, und dann teilt sie ihm doch noch mit, dass einige Stellen vor allem ziemlich gefällig seien. Eine Szene, die einiges an Erzählkraft entfalten könnte, der aber schon vorher der Wind aus Segeln genommen wird, wenn Laras Mutter das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ausbuchstabiert: Mal lässt sie ihn laufen, um ihn dann doch wieder zurückzupfeifen. Dieses angespannte Verhältnis zum Sohn ist Laras am hellsten klingendes, alles übertönendes Motiv. Die Spannung wird sich, so viel darf gesagt sein, in einem psychisch-musikalischen Ausbruch entladen. Der konsequente Schluss macht den Film zu einer insgesamt wenigstens harmonischen, aber nicht unbedingt zu einer eleganten und schon gar nicht zu einer gewagten Komposition.
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