Die Erscheinung – Kritik

Glaubt, oder glaubt eben nicht, beides geht in Ordnung: Xavier Giannolis L'Apparition - Die Erscheinung über eine Marienerscheinung in einer französischen Alpenstadt ist ein überbordender Film aus Fakten, Betrug und falschen Spuren.

Der Reporter Jacques Mayano (Vincent Lindon) hat einen Freund verloren. Christophe war Kriegsfotograf und sammelte mit seinen Bildern in gefährlichen Gebieten dieser Welt Beweise der Ungerechtigkeit. Er starb bei einer Explosion im irakischen Mossul, aber die Bombe hätte genauso Jacques treffen können. Deswegen leidet der am Leben Gebliebene an Schmerzen und Schuldgefühlen. Haben Sie noch Ihre Angstzustände, fragt der Arzt. Ja, die hat er auch. Zurück in Frankreich klebt Jacques die Fenster seiner Wohnung mit Pappe zu. Ein Wohnzimmer wie jedes andere, mit einem Fernseher, Bücherregalen, eingerahmten Bildern an den Wänden – und dann mit Pappe beklebt. Jacques ist eine jener vom Krieg traumatisierten Figuren, von denen es im Kino wieder mehr gibt. .

Wunder sind heikel

Die Geschichte kommt in Gang mit einem Telefonanruf – Die Erscheinung ist ganz sicher kein Film, der sich mit dramaturgischen Feinheiten hervortun möchte. Jacques wird in den Vatikan gerufen, dort werde seine Arbeit sehr geschätzt. Er soll sich dem gemischten Team anschließen, das im Auftrag der katholischen Kirche ein ominöses Ereignis untersucht. In einer kleinen französischen Alpenstadt berichtet nämlich die 19-jährige Anna, dass ihr Maria, die Mutter Gottes, erschienen sei. Als Beweis gibt es einen Blutlaken. Ja, auch für den Klerus sind Wunder vor allem schwierig und heikel. Die Kirche ist lieber vorsichtig, denn wie bei der Mehrheit solcher Vorfälle handelt es sich auch hierbei höchstwahrscheinlich um einen Betrug. Im Archiv des Vatikans bekommt Jacques eine Einführung ins Thema. Protokolle, Akten, Archivaufnahmen – alle vermeintlichen Erscheinungen wurden über Jahrhunderte akribisch dokumentiert.

Eine Marienerscheinung, und dann noch ein Blutlaken – die Welt der christlichen Reliquien ist ein faszinierendes Sujet. Blut, Asche, vielleicht ein Fingernagel, Haare oder Kleider einer oder eines Heiligen sind als Gegenstände religiöser Verehrung außerordentlich wertvoll. Das Seltsame an diesem Beweismaterial des Glaubens ist, dass es, um als solches anerkannt zu werden, den Glauben natürlich wiederum voraussetzt. Emmanuel Carrère hat einmal geschrieben, die Agnostiker glauben, aber die Gläubigen wissen es genau (als autofiktionaler Autor weiß er seinerseits, wovon er spricht). Auch mit Marienerscheinungen verhält es sich so: Die Wahrheit findet man nicht am Ort der vermeintlichen Erscheinung, sondern woanders und jede für sich. Für das Dinghafte an der Religion hat der Regisseur Xavier Giannoli (Chanson d’Amour, Superstar) auf jeden Fall viel übrig.

Eine ständig wachsende crazy wall

Die Situation vor Ort läuft indessen aus dem Ruder. Massenhaft angereiste Pilger stören die öffentliche Ordnung, Merchandise-Artikel mit Annas frommem Abbild – Kerzen, Plakate, T-Shirts, Schneekugeln – verkaufen sich hervorragend. Auftritt Annas (Galatéa Bellugi): eine Seherin wie bestellt, blass, fragil, große Augen. „Zur Auswahl stand, Frisörin oder Heilige zu werden“, sagt jemand aus der Untersuchungskommission, denn die junge Frau wuchs als Waisenkind in Pflegefamilien und Heimen auf. Dennoch ist der Film nicht sozialkritisch angelegt. Das Büro, in dem sich die Kommission rasch und routiniert installiert, ist vielmehr mit Paraphernalien des Kriminalgenres ausgestattet: volle Schreibtische, Kaffeetassen, eine ständig wachsende crazy wall. In gewollter Redundanz werden in nahen Einstellungen andauernd sämtliche Hinweise präsentiert: Fotos, wieder Fotos, Zeitungsartikel, Dokumente. In Die Erscheinung kommen Dinge auffällig mehrfach vor, von Tongestaltung bis Montage ist alles sehr dramatisch.

Epiphanie des Suchenden

Giannolis Leinwandbegegnung des Sublimen mit dem Profanen ist streckenweise eine abenteuerliche Synthese. So gibt es hier einen polyglotten Priester Anton Meyer (Anatole Taubmann), der eine E-Zigarette raucht, ein Interview mit Anna vor billigen Pappkulissen aufnimmt und im Übrigen sehr exaltiert daherkommt: „Alle Internetverbindungen stehen!“ Und auch viele andere Figuren und Settings muten überzeichnet, irgendwie deplatziert, irgendwo verschoben und seltsam verfremdet an. Die Idee zum Film soll aus einem kurzen Zeitungsartikel entstanden sein, Rubrik Vermischtes, erzählt der Regisseur. Dabei ist Die Erscheinung ein voluminöser Film, der viele Fässer aufmacht und viele Handlungsstränge andeutet, die er, kaum eingeführt, schon wieder verwirft.

Allzu vordergründig sind die großzügig gestreuten Hinweise, als dass sich die Auflösung hinter einem davon tatsächlich verbergen könnte. Am Schluss lässt Die Erscheinung alle seine Tricksterfiguren, seine geheimnisvollen Briefe, falschen Spuren und dramatischen Kunstgriffe fallen und liegen. Es ist so, als wollte uns der Film sagen: Glaubt, oder glaubt eben nicht, beides geht in Ordnung. Die Lösung für das Rätsel ist – so ist der logische Dreh – doch immer im Innern des Suchenden. Die persönliche Epiphanie eines faktisch orientierten Journalisten ist am Ende ein profanes dramaturgisches Klischee. Eine Erlösung, so kann man’s auch sehen.

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Kommentare


Wolfgang Geisler

Alles ist möglich, nix ist fix....






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