Language Lessons – Kritik
Natalie Morales hat ein paar Webcams aufgestellt und damit die Videochats einer Spanischlehrerin mit ihrem Schüler gefilmt. Kurzum: Hier passiert fast nichts, und das sieht auch noch mau aus – doch Language Lessons ist eine der schönsten Überraschungen der diesjährigen Berlinale.

Sein eingerostetes Spanisch ist Adam (Indie-Star Mark Duplass) ziemlich „embarazado“, erklärt er seiner neuen Lehrerin Cariño (Regisseurin Natalie Morales) in der ersten Unterrichtseinheit. Leider ist „embarazado“ ein sogenannter false friend und bedeutet nicht etwa „peinlich“, sondern „schwanger“, was Cariño herzlich lachen lässt. Überhaupt ist die Stimmung ziemlich gelöst zwischen den beiden – dabei war Adam eben noch wenig begeistert, dass sein reicher Ehemann Will (Desean Terry) ihm zum Geburtstag gleich 100 Stunden Spanischunterricht geschenkt hat. Doch die Chemie zwischen Adam und der jungen Costa-Ricanerin stimmt von Anfang an, man frotzelt warm miteinander und Adam lernt quasi nebenbei Spanisch.
Kaum hat man sich als Zuschauer daran gewöhnt, dass diese aufblühende Freundschaft ausschließlich über Videochats gezeigt wird – also in verrauschten, mitunter wackligen oder buffernden Bildern –, da reißt einem der Film den Boden unter den Füßen weg. Aus den geplanten Language Lessons wird plötzlich Psychotherapie, ja Überlebenshilfe. Und die professionelle Lehrerin-Schüler-Hierarchie wandelt sich zu einem fürsorglichen Miteinander, bei dem erst einseitig und schließlich beidseitig zwischenmenschliche Trennwände einreißen und Adam und Cariño sich ungeschützt in all ihrer Verletzlichkeit begegnen.
Die Ästhetik des Lockdowns
Die Corona-Pandemie kommt in Language Lessons nicht vor – doch ohne Lockdown, ohne Langeweile und Reisebeschränkungen, hätten Morales und Duplass dieses Drehbuch wohl nicht geschrieben und erst recht nicht komplett über Videochats inszeniert. Natürlich gab es auch schon vor Covid-19 Filme, die vollständig oder größtenteils auf Computer- und Handy-Bildschirmen spielten, doch hier handelt es sich weniger um ein technisches Experiment als um eine Spiegelung der klaustrophobischen Kammerspiel-Bildsprache dieser von Zoom und Skype geprägten Zeit.
Ab und zu bricht der Film ein wenig aus der Logik der Videokommunikation aus, zeigt uns Bilder von Adam, die Cariño nicht sehen kann – und vice versa: etwa wenn sie bereits aufgelegt hat, wir Adam aber weiterhin beobachten können, oder wenn Cariño Videonachrichten aufnimmt, diese aber letztlich doch nicht abschickt.
Platonische Rom-Com
Einmal bleibt Cariños Kamera übrigens ganz aus – die Internetverbindung sei gerade schlecht, erklärt sie. Plötzlich aber aktiviert sie die Kamera versehentlich und so bekommt Adam die Blutergüsse in ihrem Gesicht zu sehen, bevor Cariño das Bild panisch wieder abschaltet. Aus dieser Szene entspinnt sich ein kluges Spiel mit den race- und genderpolitischen sowie finanziellen Hierarchien zwischen ihr und ihm, Auftragnehmer und Auftraggeber, armer Latina und reichem Weißen. Immer wieder nimmt der Film dieses Thema auf und unterläuft dabei reflexartige Annahmen und Erwartungen, insbesondere wenn Adam versucht, freundschaftliche Großzügigkeit nicht in patriarchales beziehungsweise koloniales Gönnertum (oder „white-guilt whitewashing“) kippen zu lassen.
Die größte Stärke dieses Films aber ist seine emotionale Aufrichtigkeit. Was in anderen Händen leicht zum Kitsch hätte werden können, entwickelt sich hier dank der natürlichen Chemie zwischen Morales und Duplass zu einer wunderbaren, platonischen Rom-Com, deren Authentizität durch die ungeschönte Webcam-Ästhetik noch bestärkt wird. Vielleicht ist die Pandemie ja nicht nur eine Zeit der zerbrechenden Bindungen, sondern auch der neu entstehenden.
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