Lancelot, Ritter der Königin – Kritik
In entgöttlichten Räumen: 1974 sorgte Robert Bressons Verfremdung der Artuslegende Lancelot, Ritter der Königin in Cannes für Zündstoff. Jetzt ist der Film auf DVD und Blu-ray erschienen – und lässt über Weltenden jenseits der spektakulären Apokalypsen nachdenken.

Als der drittletzte Spielfilm des französischen Großmeisters Robert Bresson Lancelot, Ritter der Königin (Lancelot du Lac) auf dem Festival in Cannes 1974 gezeigt wird, titelt man in einer Zeitschrift: „Le Festival de Cannes est-il à l’agonie?“ Die Auswahlkommission hatte sich zunächst geweigert, den Film für den Wettbewerb zuzulassen. Am Ende gewann der Film den FIPRESCI-Preis. Bresson war zu diesem Zeitpunkt keine unbekannte Figur mehr, man wusste, dass man weder mit einem beschwingten Nouvelle-Vague-Experimentalfilm à la Godard noch mit einem monumentalen Heldenepos in Hollywood-Manier rechnen konnte. Warum also diese Reaktion?
Mythos und Verfremdung

In der Tat kündigte sich der Film, den Bresson über 20 Jahre lang vorbereitet hatte, als ein untypisches Werk im Oeuvre des Regisseurs an – nicht zuletzt weil der für gewöhnlich mit Laienschauspielern arbeitende Filmemacher zunächst Burt Lancaster für die Rolle des Lancelot erwog und der Film eine Art Mittelalter-Actionfilm zu werden schien. Und tatsächlich enthielt der Film nicht nur klirrende Rüstungen, sondern auch einige Actionsequenzen, präsentierte sich außerdem in einer leuchtenden Farbigkeit, wie sie für den vorzugsweise mit Schwarzweiß arbeitenden Bresson ungewöhnlich war.

Und trotzdem – oder genau deswegen – versetzte Lancelot, Ritter der Königin dem Genre des Mittelalterfilms einen schmerzhaften Hieb, stieß den prachtvollen Ritter von seinem fantastischen Pferd und ließ den Mythos wie eine leere Blechrüstung auf den Boden krachen. Durch die Verwendung der typischen Elemente des Genres (Turnier in der Mitte des Films, diverse Kämpfe zwischen ungleichen Armeen, Hofintrigen, tragischer Tod des Helden) schafft Bresson die nötige Nähe für eine tiefgreifende Verfremdung. Die tritt ein, weil diese Elemente in jene totale Leidenschaftslosigkeit integriert werden, für die Bresson berühmt geworden ist.
Unmenschliche Menschen

Lancelot, Ritter der Königin ist aber nicht bloß eine entmythisierte Fassung der Artuslegende. Vielmehr wird hier das Dramatische aus dem Mythos herausgefiltert. Man könnte allenfalls die erste und die letzte Sequenz als dramatische Momente verstehen, in der Ritter blutig abgeschlachtet werden. Das geschieht jedoch derart explizit, und ganz ohne sich darum zu bemühen, die technischen Mittel der Erzeugung zu verbergen, dass es sich schon im Bereich des Splatters bewegt. Das Blut spritzt deutlich aus einer montierten Pumpe heraus. Zugleich fehlen wesentliche Handlungsmomente, um das Geschehen immersiv nachzuempfinden, man sieht vor allem fallende Ritter nach einer tödlichen Verwundung.
Abwesenheit ist aber nicht nur in diesen Szenen ein wichtiges Merkmal. In zahlreichen Gesprächsszenen fehlen in den Gesichtern jegliche Gefühle, und manchmal auch die Gesichter selbst. Die Ritter bewegen sich seltsam mechanisch von einer Stelle zur anderen, als wären sie Blechpuppen, und vollführen Bewegungen, die man rituell nennen könnte, wären sie nicht so nüchtern und zweckgebunden.

Die Kamera scheint sich nicht so sehr für die Handelnden zu interessieren als vielmehr für ihre schweren Eisenschuhe, die Augen ihrer Pferde und die Lanzenspitzen. Die Gespräche sind tonlose Träger bedeutungsschwerer Inhalte und werden fast gänzlich ohne jeden Einsatz von Mimik geführt. Gilles Deleuze sah darin eine filmische Umsetzung der freien indirekten Rede. Zweifellos wird Bresson mit diesem entpersonalisierten Stil der Sprache des Mythos gerecht, in der die Sprechenden nie wirklich autonom Sprechende sind, sondern die Erzählung durch sie hindurch spricht. Zugleich wird das Menschliche, das sich immer durch Gesichter und Stimmen als Leidenschaft ausdrückt und sich alles andere unterwirft, in eine Totalität des Mythischen aufgelöst und in einen quasi-gleichberechtigten Zusammenhang audiovisueller Zeichen eingefügt.
Gottes Rückzug

In Lancelot, Ritter der Königin fehlen also die Leidenschaften, wie auch jegliche Magie, die für die Artuslegende doch so konstitutiv ist. Man erschließt aus einem Dialog zwischen Lancelot und Guenièvre, dass sich diese Erzählung des Niedergangs letztlich um die Abwesenheit Gottes dreht, den Lancelot und seine Ritter „haben“ wollten: Sie haben den Gral gesucht, ihn aber nicht bekommen. Ebenso scheitert Lancelot in seinem Schwur, den Ehebruch mit Guenièvre zu beenden, und Artus’ Hoffnung auf ein Zeichen Gottes ist auch vergeblich: Am Ende wird er durch eine Verschwörung des feigen Mordred vom Thron gestürzt, Lancelot und seine Ritter sterben durch hinterhältige Pfeile. Die Zeit der Helden ist vorbei.

Fast jede Szene des Films ist ein Vorübergehen, ein Ankommen und ein Weggehen. Was bleibt, sind Räume – entgöttlichte, entmenschlichte Räume. Es geht also in Lancelot, Ritter der Königin um nicht weniger als um das Ende einer Welt; vielleicht der Welt, die wir Mittelalter nennen. War es dieser Pessimismus des Niedergangs, der Cannes 1974 beunruhigte? Der heutige Zeitpunkt scheint jedenfalls auch nicht ungeeignet, um sich von diesem Film beunruhigen zu lassen und über Weltenden nachzudenken, die jenseits der spektakulären Apokalypsen stattfinden.
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