The Untamed – Kritik

VoD: Wo Arthouse war, soll Es werden. Amat Escalante platziert in The Untamed ein paar riesige Tentakel in einem Wald und lässt sie Menschen befriedigen.

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Angel macht in der Regel einen auf dicke Hose, macht sich in einer Szene aber auch in die Hose und schießt sich am Ende sogar ins eigene Bein. Wenn The Untamed etwas ist, dann ein Film des Unterleibs, selbst das außerirdische Monster in seinem Zentrum ist ein einziger Unterleib, Ansammlung von Tentakeln ohne Körperstamm, nur Weichteile.

Verstört und beseelt

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Dieses Monster tritt nur selten in Erscheinung in Amat Escalantes neuem Film, es geht dem mexikanischen Regisseur nicht um Schock, nicht um Genre, nicht um Fantasy. Höchstens um Fantasien, aber um unsere menschlichen, um Fantasien von fremden Körpern etwa, durch den sich der eigene Körper vervollständigt, um Sexualität als großes Versprechen – und um die entfremdete Realität, in der dieses uneingelöst bleibt. Das Monster ist also ein „Es“, nicht nur geschlechtsneutral, sondern auch metaphysisch, verdrängte Natur, primitive Energie. Es wartet irgendwo im Wald, wird seltsam betreut von einem älteren Ehepaar, das wiederum jüngere Menschen empfängt, die sich von den Tentakeln dann begatten lassen, danach verstört sind, aber auch beseelt, so etwas noch nie erlebt haben. Manchmal bezahlen sie wohl auch mit dem Tod.

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Worauf Escalante damit nun hauptsächlich hinauswill, ist meistens nicht so ganz klar, und diese Unklarheit ist manchmal eine durchaus anregende Unbestimmtheit, manchmal eine etwas nervige Unsicherheit. Dort wo das Monster einst per Meteorit auf unserem Planeten landete, sehen wir einmal diverse Tiere so richtig rammeln, ein Krater der sexuellen Befreiung, ein Ur-Wald. Die Gegenwelt zu dieser „wilden Region“ (La región salvaje lautet der spanische Originaltitel) ist damit einerseits als conditio humana bestimmt, wo’s Es eben mit ’nem Ich auskommen muss, andererseits geht es The Untamed dann schon auch um den harten Katholizismus im mexikanischen Bundesstaat Guanajuato, um Homophobie und Misogynie, um soziokulturellen Kontext.

Trouble im Schritt

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Es kommen also Figuren ins Spiel, in erster Linie zwei Frauen, Alejandra (Ruth Ramos) und Veronica (Simone Bucio), die eine kennt das Monster sehr gut, und die andere wird sie noch kennenlernen. Vor allem aber liegt Veronicas Bruder Fabián (Eden Villavicencio) irgendwann nackt und halbtot unweit des Waldes, und Veronica findet heraus, dass ihr Mann Ángel (Jesús Meza) ein Verhältnis mit diesem Bruder hatte, seine homophoben Kommentare nur Selbstschutz und Selbsthass waren. Es gab Streit zwischen den Männern, deshalb landet Ángel hauptverdächtig bald im Knast, Veronica lernt Alejandra kennen, und bald das Haus im Wald.

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Hauptproblem: Dass die Konflikte aus dem Arthouse-Lehrbuch stammen, können die Tentakel aus dem Weltall nicht kaschieren. Was nicht heißen soll, dass dies kein gelungener Film wäre. The Untamed ist besser als Escalantes einstiger Cannes-Erfolg Heli weil er trotz seines krassen Aufhängers weniger effekthascherisch daherkommt und weil er doch irgendwie ein ernsthaftes Interesse am Trouble im Schritt zeigt, sein problematisches Leitmotiv der nicht artikulierten Bedürfnisse bei anhaltend animalischen Trieben zumindest durchhält, Bilder, Sätze, Bewegungen dafür findet. Und so machen sich die Menschen also in die Hose, als Kind (Veronica und Ángels kleiner Sohn) oder im Suff (Ángel selbst), lassen erst laufen, wenn es nicht mehr geht, behaupten, nicht zu müssen, aber müssen doch eigentlich die ganze Zeit.

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Das Müssen ist andererseits auch das Problem des Films, die Lust ist Drang und nicht Begehren. Man denkt bei der Begegnung zwischen unzufriedener Frau und Tentakeln nicht zuletzt an Nicolette Krebitz’ tollen Wild (2014) mit seinem Wolf, und der Unterschied zwischen beiden Filmen ist dann vielleicht nicht nur der zwischen Metaphysik und dem Fantastischen, zwischen Monster und Tier, sondern auch zwischen Triebstruktur und Wunschmaschinen, und das Kino ist als Medium der Bewegung nun mal eher Letzteren zugetan.

Der Film steht bis 13.08.2021 in der Arte-Mediathek.

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