La Nana - Die Perle – Kritik

Zwischen Kammerspiel und Home-Movie. Lakonisch erzählt der mehrfach preisgekrönte chilenische Film vom Wandel eines Hausmädchens.

La Nana 3

Ganz zu Beginn sitzt Raquel, „la Nana“, das Dienstmädchen, wie immer zum Essen in der Küche, während die Familie im Salon speist. Sie kaut langsam, lässt ihren müden Blick langsam durch den Raum wandern. Das Kratzen des Bestecks auf dem Teller kündet von ihrem Seelenzustand. Dann trifft ihr Blick den des Zuschauers. Sie hält inne, ihr Blick wirkt wie versteinert.

Seit über 20 Jahren arbeitet Raquel innerhalb der Mauern des Hauses einer bürgerlichen Familie in Santiago de Chile. Sie versorgt ihre „Patrones“, wäscht, kocht und kümmert sich um die Kinder. Auch wenn sie längst mit dem Haushalt überfordert ist und an chronischer Migräne leidet, verteidigt sie verbissen und stolz ihren Status als festen Teil dieser Familie, der sie vermeintlich angehört. Als die Familie Raquel Hilfskräfte zur Seite stellt, beginnt sie, ihre Konkurrentinnen immer wieder auszusperren und zu terrorisieren, bis sie die Flucht ergreifen. Erst in der Begegnung mit dem dritten Dienstmädchen, der lebhaften Lucy, beginnt sich Raquel langsam zu öffnen und das Leben außerhalb der Familie wahrzunehmen.

La Nana 1

Das Kammerspiel ist durchlässig für die chilenische Realität. Tatsächlich leben und arbeiten noch immer Dienstmädchen in den Häusern vieler wohlhabender Familien in Santiago – vor allem Mädchen aus dem ärmeren Nachbarland Peru –, die meist schlecht oder gar nicht bezahlt werden. 500.000 „Nanas“ gibt es in Chile. In den abgeschirmten Räumen der Oberschicht wird das Ungleichgewicht einer Gesellschaft, die zwischen Modernität und vergangen geglaubten feudalen Strukturen schwankt, wie auf einer Bühne greifbar.

Sebastián Silva, der seine eigenen, familiären Erfahrungen verarbeitet, vermeidet didaktische Ansätze und vermittelt die soziale Thematik vielmehr mit beiläufiger Leichtigkeit. Er konzentriert sich ganz auf eine psychologische Beschreibung der Nana, jenseits von Stereotypen. Raquel, verkörpert von der brillanten Theaterschauspielerin Catalina Saavedra, ist kein feenhaftes, blütenreines Mädchen, das eine reine Opferrolle spielt. Sie ist ein widerspenstiger Charakterkopf, ein Drachen von einer Frau, in der sich immer wieder tiefe Abgründe auftun. Ihr Blick allein trägt den Film, nuancenreich und unberechenbar wechselt er zwischen versteinerter Erschöpfung und lebhafter, offener Neugier. Kleinste Veränderungen der Mimik erzeugen im Zuschauer schleichend eine innere Unruhe, die ständige Erwartung, dass die häusliche Harmonie in jedem Moment ins Abgründige kippen könnte.

La Nana 2

Die Form verstärkt diese Wirkung: La Nana wirkt weniger wie ein theatrales und statisches Kammerspiel, sondern vielmehr wie ein Home-Movie. Die nervöse Handkamera ist in ständiger Bewegung, folgt Gesten und Blicken präzise in Groß- und Detailaufnahmen, deutet an, suggeriert. Kurze Einstellungen genügen, um von der engen Beziehung zwischen dem Hausmädchen und dem Sohn der Familie zu erzählen, und von der kühlen Ablehnung der Tochter. Skizzenhaft und ohne dramatisches Beiwerk wird die Zerrissenheit Raquels beschrieben, die sich als Teil einer fremden Familie begreift und immer stärker wahrzunehmen beginnt, dass sie selbst eher Gefangene als Vertraute ist. Trotz der von der Kamera unterstützten klaustrophobischen Enge des Raums liegen Welten zwischen ihr und dem bürgerlichen Mikrokosmos der Familie.

La Nana ist eines der kraftvollsten Zeugnisse einer aufstrebenden Filmkultur. Während jedoch im zeitgenössischen chilenischen Kino meist in stilisierter Form in Szene gesetzt wird, ist La Nana eine Ausnahme. Selten hat man einen Film gesehen, der eine präzise, realistische Form so gelungen mit beißendem Humor verwebt und dabei gleichzeitig die sozialen Differenzen einer Gesellschaft im Umbruch durchscheinen lässt.

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