La lapidation De Saint Étienne – Kritik

Ein alter Mann will nicht im Abseits sterben.

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Unter sämtlichen Hinrichtungsarten ist die Steinigung wohl die grausamste. Der Prozess des Sterbens wird hier quälend in die Länge gezogen. Jeder Stein verletzt, ist jedoch nur einer unter vielen. Abstoßend ist die Steinigung aber noch aus einem anderen Grund: Weil hier ein Volk, das sich in moralischer Überlegenheit wähnt, zum grausamen Richter wird.

Warum der in Frankreich gedrehte Debütfilm des katalanischen Regisseurs Pere Vilà i Barceló nach der Steinigung des heiligen Étienne – im Deutschen Stephanus – benannt ist, erschließt sich, trotz der Namensgleichheit des Protagonisten, erst nach und nach. In der ersten Szene sehen wir einen alten Mann namens Étienne (Lou Castel), der beim Arzt ein Hörgerät bekommt. Diese Gerät wird in der Folge zur Verbindung zwischen ihm und seiner Umwelt. Einer Umwelt, wohlgemerkt, die ihm zutiefst feindlich gegenübersteht. Étienne ist ein resignierter Zeitgenosse, der niemandem schadet, wie er in seiner dunklen, verwahrlosten Wohnung langsam vor sich hinsiecht. Doch gerade dieser offen zur Schau gestellte Verfallsprozess sorgt für wütende Reaktionen in der Nachbarschaft, aber auch in der eigenen Familie. Kein Wunder also, dass Étienne beginnt, immer wieder sein Hörgerät abzunehmen, um sich von dieser Welt auszustöpseln.

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Ganz nachvollziehen lässt sich die Heftigkeit der Ablehnung auf den ersten Blick nicht, auch wenn Étienne zweifellos ein eigensinniger, nicht besonders sensibler Mann ist, der nur noch seinem eigenen Rhythmus folgt. In blassen digitalen Videobildern tastet sich Vilà i Barceló durch eine labyrinthartige Wohnung, in der die Fenster mit Röntgenbildern zugeklebt sind. In ihnen vermutet Étienne seine verstorbene Frau. Stoisch geht er seinen täglichen Ritualen nach: Er isst, wechselt die Tüten an seinem künstlichen Darmausgang und widmet sich dem Restaurieren von Heiligenfiguren.

Sein Ensemble reduziert La lapidation de Saint Étienne auf lediglich drei Figuren und hauptsächlich einen Schauplatz. Dadurch funktioniert er wie ein finsteres Kammerspiel über geschundene Seelen. Einer der nicht willkommenen Besucher in Étiennes Wohnung ist sein Bruder, der das genaue Gegenteil darstellt und zeigt, dass man als Mann im fortgeschrittenen Alter auch gepflegt aussehen und einem geordneten Lebenswandel nachgehen kann. Und dann gibt es noch eine Tochter, die man getrost ein herzloses und hysterisches Miststück nennen kann. Wenn sie mit ihrem Vater spricht, schreit sie eine Suada an Beleidigungen heraus und versucht ihn wenig subtil aus der Wohnung zu ekeln. Es ist nur ein kurzer Augenblick, in dem man zu ahnen glaubt, dass sich hinter dieser verachtenswerten Person ein Mensch befindet, der einmal stark verletzt wurde. Doch die Vorgeschichten lässt der Film außen vor und widmet sich stattdessen einer Gegenwart, in der die Liebe kaum mehr Platz hat.

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Es ist regelrecht unangenehm, mitanzusehen, wie viel Hass die bloße Anwesenheit eines alten ungepflegten Mannes bei seinen Mitmenschen hervorrufen kann. Und das nur, weil er sich weigert, in ein Altersheim zu ziehen, um dort, abseits vom Blick der Anderen, langsam zu verwesen. Étienne will stattdessen in ihrer Mitte sterben, ihnen den Verfall vor den Latz knallen, den Müll, den Schmutz, den Gestank nach Pisse. Es ist nicht einfach, zwischen Seniorenwindeln und bevormundenden Pflegern seine Selbstachtung zu wahren. Vilà i Barcelós Protagonist versucht es aber, um jeden Preis, auch wenn er sich damit nur selbst zerstört. Wenn seine Märtyrerwerdung von sakraler Synthesizermusik begleitet wird, verleiht das dem Film eine manchmal etwas unangenehme Schwere. Dem steht jedoch eine Nüchternheit gegenüber, die jegliche Idealisierung scheut. Es ist ein ebenso bedrückender wie berührender Moment, wenn Étienne nach einem Sturz bewegungslos und schmerzerfüllt in seiner eigenen Scheiße liegt und sich immer noch beharrlich weigert, nachzugeben.

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Gespielt wird dieser sture Widerstandskämpfer von Lou Castel, einem Veteranen des europäischen Autorenkinos, der sich mit Rollen unter Regisseuren wie Pasolini, Fassbinder, Bellocchio oder Visconti einen Namen gemacht hat. Seine uneitle Darstellung bekommt auch deshalb eine besondere Dringlichkeit, weil Castel selbst schon die siebzig überschritten hat. Damit dürfte Étienne für ihn mehr sein als nur eine exotische Rolle, die mit dem eigenen Leben nichts zu tun hat. Eher schon eine unangenehme Konfrontation mit einer möglichen Zukunft, einer Lebensphase, in der man im schlimmsten Fall nur Ablehnung und Ekel erfährt und immer weiter muss, obwohl man schon lange nicht mehr will. Wenn man Castel dabei zusieht, wie er alles daran setzt, nicht weggesperrt zu werden, nur um es den anderen bequemer zu machen, brennt sich dieses Bild ins Gedächtnis.

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