Köln 75 – Kritik
In Ido Fluks Köln 75 geht es um Keith Jarretts legendären Jazzauftritt und die junge Konzertveranstalterin Vera Brandes, die ihn gegen alle Widerstände möglich machte. Leider tritt der Jazz aus Gründen in den Hintergrund in diesem zwar mitreißend, aber allzu gängig inszenierten Film.

Vera Brandes (Mala Emde) ist zum Leidwesen ihrer Eltern (Vater: Ulrich Tukur) bereits als Jugendliche Veranstalterin von Jazz-Konzerten geworden. Im Jahr 1975 – sie ist 18 Jahre alt – hat sie alles auf eine Karte gesetzt. Entweder der Auftritt von Keith Jarrett in der Kölner Oper spielt die 10.000 DM ein, die sie sich von ihrer Mutter geliehen hat, oder sie muss doch eine herkömmliche Karriere als Zahnärztin verfolgen. Also rührt sie die Werbetrommel. Im Studio eines Radiosenders versucht sie, den Moderator zu überreden, dass er das Konzert ankündigt. Dieser ist aber der Meinung, dass Jazz Schnee von gestern ist und niemanden interessiert. Worauf sie kontert, dass das, was Keith Jarrett spielt kein Jazz ist, sondern ein Abenteuer. Eine Improvisation, die nie weiß, wo es hingehen wird. Jazz also, entgegnet er ihr. Absolute Musik, die alles sein kann, beharrt sie.
Die Geschichte gibt Vera Brandes recht: Das Konzert wird zur Legende, der Mitschnitt wird zum bis heute bestverkauften Album eines Solo-Klavier-Auftritts. Leider hat Köln 75 ein schmerzhaftes Handicap: Keith Jarrett hat dem Projekt und dem Regisseur Ido Fluk die Musikrechte verweigert, so dass es keinen Originalsound des damaligen Konzerts zu hören gibt; die Jarrett-Kompositionen, die in dem Film vorkommen, mussten von dem polnischen Musiker Hubert Walkowski eingespielt werden. Und selbst wenn Jarrett schließlich sein Konzert gibt, hören wir nicht ihn, sondern Nina Simones To Love Somebody, um wenigstens so die Ergriffenheit des Moments zu vermitteln.
Ewig improvisieren…

So wird die Patina jener Zeit im Aufbruch zwar mit vielem erzeugt, nicht aber mit dem Jazz, der Brandes so am Herzen liegt. Stattdessen gehört besonders der Beginn von Köln 75 einem Potpourri an Musikstilen, namentlich den treibenden Rhythmen von Krautrockbands wie Can, Neu! oder Floh de Cologne. Wenn wir doch einmal Jazz zu hören bekommen, dann ist das immer durch die Handlung motiviert – Brandes ist bei den Berliner Jazz Tagen, also wird sie zwischen Archivaufnahmen eines Auftritts von Miles Davis geschnitten, und dort hört sie auch das erste Mal Keith Jarrett (John Magaro/Hubert Walkowski) und ist verzaubert.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man mutmaßen, dass es ein geschickter Werbeschachzug für das Album sei, es so zum Mysterium zu machen. Dem ein oder anderen Zuschauer wird es so oder so nach dem Film unter den Fingern brennen, es mal (wieder) zu hören. Unabhängig davon geht es dem Film aber einfach um einen ganz anderen Jazz: Im Mittelpunkt stehen zwei Leute, die ewig improvisieren müssen, weil die Umstände gegen sie arbeiten, weil das, was ihnen geboten wird, nicht reicht, weil sie nach etwas Eigenem suchen, statt sich den Standards zu beugen, die ihnen ihre Lebenswelt anbietet.
Vera Brandes sehen wir dabei, wie sie ihre Rolle als Veranstalterin einstudiert, wie sie sich ausprobiert, wie sie im Spiel etwas findet, das sie sein kann und will. Sie ist Tochter eines Nachkriegsdeutschlands, das auf den Ruinen einer einstmaligen Identität neu aufgebaut wird. Sie kämpft im Angesicht von Männern, die sie nicht ernst nehmen, um Selbstbestimmung.
… und das Nichts couragiert füllen

Keith Jarretts Bandarbeit in diversen Quartetten jener Zeit wird bei der Darstellung seiner Seite der Geschichte völlig ausgeklammert. Stattdessen wird uns ein Mann gezeigt, der allein am Klavier sitzt und das Nichts couragiert füllt. Er grübelt, ist mit den Nerven herunter, sein Rücken versagt ihm den Dienst, und alles nur damit er allein und ungebunden mit seinem Tourmanager und Vertrauten (Alexander Scheer) existieren kann – fernab von dem Standard seiner vorherigen Karriere als gefeierter Keyboarder der Miles Davis Group. Was heißt, dass er ohne Schlaf und Komfort, fern der Jazzmetropole New York, in einem Miniauto durch Europa hin und her fährt.
Beider Leben ist ein ewiges Improvisieren. Das kulminiert in dem titelgebenden Köln-Konzert 75, bei dem im Vorfeld alles schief geht. Für die Finanzierung muss Brandes in die Höhle des Löwen: zu ihrem Vater. Statt des angeforderten Bösendorfer Grand Imperial steht ein defekter Übungsflügel auf der Bühne der Oper. Es ist nach Dienstschluss, niemand kann oder will vor Ort helfen. Etwaige Ersatzflügel sind nicht transportfähig, die Reparatur und Stimmung muss parallel zur Aufführung von Alban Bergs Lulu bewerkstelligt werden. Und Jarrett will unter solchen Bedingungen erst gar nicht auftreten. Der Film ist im Grunde eine einzige Suche, um doch noch irgendwie einen Weg zu finden.
Köln 75 ist ein atemloser, energiegeladener Film, der gerne die vierte Wand durchbricht, um den Zuschauer direkt anzusprechen und diverse Kontexte zu vermitteln. Ein Film, der seine Infos und Anliegen auch mal plump in Dialogen unterbringt − und damit die durchaus vorhandene Stimmung etwas ruiniert − aber bei deren Vermittlung auch nach kreativen Wegen sucht. So ist das Ergebnis auf der einen Seite immer wieder mitreißend. Andererseits ist Köln 75 mit seinem ganz netten Cast aber dermaßen standardisiert – gängige Konflikte werden gängig erzählt – dass der Film seiner durchgehenden Beschwörung, etwas müsse gewagt werden, selber oftmals nicht gehorcht.
Neue Kritiken

Kleine Dinge wie diese

Yen and Ai-Lee

Die Möllner Briefe

The Negotiator
Trailer zu „Köln 75“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (6 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.