Killing – Kritik

Filmfestival Rotterdam 2019: „Ein Schwert, mit dem man nicht tötet, ist nutzlos.“ In Killing werden die Leute von Gewalt befallen wie von einer Krankheit. Statt in Cyberpunk-Wüsten begibt sich Shinya Tsukamoto in die japanische Provinz des 19. Jahrhunderts und findet die Kräfte der Zerstörung vor allem im Menschen selbst.

Shinya Tsukamotos neuer Film beginnt mit einem funkensprühenden Feuer und endet mit einem langen Schrei. Auch dazwischen beweist der japanische Regisseur ein Faible fürs Einfache und zugleich Expressive. Handlung und Figuren sind eher grob skizziert, was jedoch weniger für Tsukamotos ungenaue Arbeitsweise als für seinen Glauben ans Archaische steht. Das gilt selbst für den Titel, der zwar denkbar allgemein klingt, dabei aber doch sehr präzise beschreibt, worum es hier 80 Minuten lang im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn geht: Killing.

Rückzug in die Natur

Am Anfang steht eine Schöpfungsgeschichte. Die zeigt jedoch nicht die Geburt eines (oder des) Menschen, sondern wie aus glühendem Eisen ein Schwert geschlagen wird. Langsam verwandelt sich der quadratische Klotz zu einem silbern schimmernden, phallischen Gebilde. Doch auch nachdem es eigentlich fertig ist, findet es seine wirkliche Vollendung erst, wenn es mit dem Menschen verwächst, oder wie es später einmal sinngemäß heißt: „Ein Schwert, mit dem man nicht tötet, ist nutzlos.“

Lange Zeit hat sich Tsukamoto in seinem Werk – am bekanntesten in seinem Underground-Hit Tetsuo, the Iron Man (1989) – auf die soziale Entfremdung in urbanen Wüsten konzentriert, auf Menschen, die mit Maschinen verschmelzen, und dunkle innere Kräfte, die sich in der Zerstörung entladen. Killing ist dagegen nach Fires on the Plain (2014) nun schon sein zweiter Film in Folge, der vor historischer Kulisse spielt und sich in die Natur zurückzieht. Aber an Tsukamotos finsteren Visionen ändert das nicht viel. Denn das Beunruhigende hat sich schon früher weniger aus den industriellen Landschaften entwickelt, als aus dem Menschen selbst.

Killing ist in einer kleinen Provinzgemeinde im 19. Jahrhundert angesiedelt. Der angehende Samurai Mokunoshin (Sôsuke Ikematsu) hat sich dort vorübergehend bei Bauern niedergelassen, mit dem jungen Ichisuke (Ryusei Maeda) angefreundet und ist auf dem besten Weg, mit dessen Schwester Yu (Yu Aoi) anzubandeln. Seine romantische Vorstellung vom Samuraileben ist von Abenteuerlust geprägt. Wenn die Jungs mit Holzschwertern für richtige Kämpfe trainieren, dann ist das vor allem ein Spiel unter Kindern.

Kreislauf der Barbarei

Als jedoch ein älterer Samurai (Tsukamoto) auftaucht, um Mokunoshin für ein Gefecht in Edo/Tokio zu rekrutieren, und kurz darauf auch noch eine Gruppe animalisch wirkender Samurais mit zerfetzten Kleidern und dreckigen Gesichtern ihr Lager in der Gegend aufschlägt, lässt das Unheil nicht lange auf sich warten. Klassenunterschiede, männliches Geprotze und traditionelle Vorstellungen von Stolz und Ehre gehen eine giftige Mischung miteinander ein, die bald zu einem Massaker führt.

Killing erzählt davon, wie die Brutalität, die jeder Mensch in sich trägt, nach außen dringt und wie dadurch ein Kreislauf der Barbarei entsteht, bei dem auf jeden Akt der Gewalt nur ein weiterer Vergeltungsschlag folgen kann. Es ist wie eine Krankheit, die die Leute hier befällt – und Mokunoshin, der plötzlich die wahre Natur der Gewalt erkennt, der Einzige, der sich ihr entziehen will. Tatsächlich ist Tsukamoto thematisch wieder nah an seinen Cyberpunk-Anfängen, wenn er Mokunoshin das Schwert zunächst wie einen Fetisch vergöttern lässt, mit dem er vielleicht auch seine sexuelle Unsicherheit kompensiert. Später merkt er, dass die Samurais wie Killermaschinen sind, und aus seiner Weigerung, selbst einmal das Schwert zu erheben, spricht auch die Angst vor einer bedrohlichen Mutation.

„Looks like a student movie.“

Bis heute dreht Tsukamoto an den Rändern der japanischen Filmindustrie. Der Preis, den er dafür bezahlen muss, ist unter anderem das niedrige Budget seiner Projekte – was sich in der früheren, analogen Stop-Motion-Ästhetik noch etwas charmanter verpacken ließ als heute. Man braucht ein bisschen, um sich an die harte digitale Ästhetik zu gewöhnen, die den Bildern die Erhabenheit austreibt und alles ganz nackt aussehen lässt. Nach dem Kinobesuch sagt ein Zuschauer: „It looks like a student movie.“ Wahrscheinlich bezieht sich dieses Urteil auf jene Momente, in denen deutlich wird, wie etwas gemacht ist; etwa eine Kamerafahrt, die offensichtlich aus einem fahrenden Auto heraus aufgenommen wurde. Dass der ein oder andere Killing seinen zeitweiligen Do-It-Yourself-Look vorwirft, hat letztlich aber vielleicht doch eher damit zu tun, dass Tsukamoto diesmal einen Samuraifilm gedreht hat und sich damit in ein Genre vorwagt, von dem man größere Budgets und ausgefeiltere Choreografien gewohnt ist.

Nun ist es aber nicht so, als würde Tsukamoto diesem Ideal überhaupt nahekommen wollen. Zwischen wenigen Gore-Akzenten bleiben die ebenfalls eher spärlich gesäten Gefechte mit ihren schnellen Schnitten und mechanischen Soundeffekten betont unübersichtlich, erreichen aber gerade dadurch eine sehr starke körperliche Intensität. Statt der Brutalität etwas Virtuoses zu verleihen, inszeniert Killing sie wie eine alles überwältigende, fast übersinnliche Macht, von der auch die Kamera infiziert wird. So wie die Leiber untereinander verschmelzen oder auch das Fleisch mit der Waffe, so sucht auch sie immer wieder die unmittelbare Nähe, wirft sich ins Feuer, ins Gras oder auch auf angsterfüllte Gesichter. Das Archaische, das Tsukamoto in solchen Momenten beschwört, ist dabei kein Rückgriff auf Klischees, sondern ein Vertrauen darauf, dass keines dieser Elemente so richtig in ein mythologisches oder psychologisches Muster passen will, sondern vor allem als ungebändigte, nicht immer erklärbare Naturgewalt wirken kann.

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