Killers of the Flower Moon – Kritik
Neu auf Apple TV+: In klaustrophobischen dreieinhalb Stunden erzählt Killers of the Flower Moon von einer Mordserie an Mitgliedern des Osage-Stammes, die durch Öl zu Reichtum gelangt sind. Dabei zeigt sich Martin Scorsese diesmal eher als stiller Dokumentarist denn als expressiver Filmemacher.

Zu Beginn tanzen Osage im Ölregen. Gott habe sich einen Scherz erlaubt, als er ein riesiges Vorkommen des schwarzen Goldes unter das öde Land gepackt hat, mit dem die Osage Nation nach mehreren Umsiedlungen von den sich ausbreitenden USA abgespeist wurde. Es folgen knappe Informationen über eine äußerst bizarre Situation. Der Pro-Kopf-Reichtum im kleinen Land im Staate Oklahoma wird exorbitant. In einem rassistisch geprägten Land, dessen Geschichte von Marginalisierung der indigenen Bevölkerung geprägt ist, sind es plötzlich die „Rothäute“, die mit ausgestellten Klunkern und feinster Mode ihre weißen Diener und Chauffeure befehligen. Mit Stolz erzählen weiße Ehemänner, dass sie „Vollblut“-Ehefrauen der Osage abbekommen und damit vollen Anspruch auf den Ölreichtum hätten. Mit der Idee, nun „rassisch unreine“ (Enkel-)Kinder zu haben, muss sich zwar vielerorts erst arrangiert werden – wenn die Väter nicht gleich zu berechnen beginnen, wie sich am Tod der Kinder bereichert werden könnte –, aber die Gier siegt doch stets über alle rassistischen Bedenken.
True-Crime-Podcast

Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) kommt nach seinem Dienst im Ersten Weltkrieg nach Osage County. Sein Onkel, „King“ Hale (Robert De Niro), stößt ihn dezent auf die Möglichkeit, Mollie (Lily Gladstone) zu heiraten. Deren Mutter werde bald sterben, und ihren drei Schwestern könnte auch etwas zustoßen, weshalb sich das Vermögen der Familie bald bei ihm befinden werde. Mord und Raubverbrechen gab es bereits, nun eskaliert beides. Mollies Verwandte, angeheuerte Privatdetektive oder nur am Rand mit dem Erbe verbundene Osage, die von Hale mit Lebensversicherungen auf seinen Namen ausgestattet werden, enden bald erschossen oder von Explosionen zerfetzt.
So knapp der Beginn die Ausgangslage skizziert, so knapp – und absurd – wird die Geschichte abgewickelt, als eine Art True-Crime-Podcast in einem Theater, der die wahren Begebenheiten zusammenfasst. Das eigentliche Drama von Killers of the Flower Moon, die Allgegenwart von schamloser Gier und einer bedenkenlos durchgeführten Mordserie, besticht gerade dadurch, wie wenig Platz es in dem dreieinhalbstündigen Epos einnimmt. Die Morde bleiben kurz eingebrachte Schüsse, zuweilen in einer Montage zusammengefasst. Die gedungenen Mörder lassen sich mit dem Hinweis, dass sie doch keinen Weißen, sondern einen „Indianer“ umbringen sollen, blitzschnell von moralischen Bedenken abbringen. Und dass die Morde keine polizeiliche Untersuchung nach sich ziehen, ist auch eine schnell verstandene Randnotiz.
Terror ohne Konsequenzen

Auch Martin Scorsese zeigt sich kaum als der expressive Filmemacher, der er so oft ist. Eine Sequenz von Seelenqualen – verzerrte Silhouetten, die in brennend rotes Sonnenlicht getaucht sind – bleibt einer der seltenen optischen Ausbrüche in einem Film, der ansonsten still dokumentiert. Killers of the Flower Moon ist von langen Einstellungen geprägt, von einer klaren Ordnung und einem Tempo, das alles ohne Überstürzung ausbreitet. Nur der Soundtrack verdeutlicht immer wieder, dass hier gerade etwas mächtig schiefläuft. Wiederholt verfällt er in ein hypnotisches, basslastiges Pochen, das nicht einfach nur Spannung aufbaut und auf einen Ausbruch vorbereitet, der nie kommen wird. Vielmehr wirkt es wie ein langsam in den Traum eindringendes Geräusch, das uns daran erinnert, dass etwas nicht stimmt und wir uns vielleicht mal der Realität stellen müssten.
Der Schrecken und die Unmenschlichkeit stehen in Killers of the Flower Moon klar und deutlich vor uns, sie durchziehen in Form unterschiedlicher Ausdrücke der Gier den kompletten Film. Dass der große Freund der Osage, King Hale, ein Demagoge ist, der sich nur hinter Floskeln verbirgt, kommt einem schnell zu Bewusstsein, auch wenn er lange nur in Anspielungen über seine Bereicherungspläne spricht – es ist wohl eher von Nachteil, dass Scorsese seiner Mafiagestalt und ihrem schleichenden Weg von Allmacht(-sfantasien) zur Impotenz so viel Platz lässt, wo sie dieses Mal doch bald nichts mehr beizutragen hat. Die kalte, unmenschliche Ratio Hales wirkt besser als beständiges Grundrauschen einer Gesellschaft, die die Osage belagert und handlungsunfähig hält, denn als mitgeschleppte Figur, die diese Klarheit eher in Watte packt. Wir bekommen in dem Film einen Terror präsentiert, der ohne Konsequenzen bleibt und ungestört dahinschreitet.
Dieses (Parallel-)Gesellschaftsgemälde erzählt Scorsese wieder mittels eines Ehedramas. Anders als beispielsweise in Casino ist es aber dieses Mal der zentrale Ausdruck des Films. Ernest rechtfertigt sich nämlich vor sich damit, dass er Mollie liebe. Dass er nicht nur schlecht sei. Ob diese Liebe real ist oder er sie sich nur einredet, ist dabei gar nicht entscheidend. Sie ist für ihn wie ein Schleier, mit dem er die Augen vor seinen Taten verschließt. Er verfällt so in eine quälende Passivität und schiebt alle moralischen Fragen auf die Autoritäten ab, denen er sich willfährig zum Werkzeug macht.
Kriechende Vergiftung

Die klaustrophobischen, schmerzhaften dreieinhalb Stunden von Killers of the Flower Moon sind vor allem Ausdruck dessen, dass Ernest sich jeder Positionierung verweigert. Erst das späte Auftauchen des FBI in Form von Jesse Plemons wird den Widerspruch zwischen Ernests Taten und seine beschworenen Liebe an seine Grenzen bringen. Aber auch hier, wenn Ernest langsam zu einer Entscheidung gezwungen wird und DiCaprios Schauspiel den inneren Schmerz seiner Figur, die nicht mehr verdrängen kann, in einer Art verkrampftem Gesichtsfasching ausbrechen lässt, bleibt der Film doch ruhig und klar, verwehrt dem Zuschauer jeden kathartischen Ausweg.
Mollie steht derweil zwischen der reichhaltigen, vom Film auch durchaus ausgiebig präsentierten Kultur der Osage und den Versprechungen der westlichen Zivilisation und ihres Reichtums. Die Ehe mit Ernest ist für sie eine kriechende Vergiftung, weil sie wiederum die Augen davor verschließt, wie offensichtlich er nur hinter ihrem Geld her ist. Die Frage ist, weshalb sie an diesem Kojoten, wie sie ihn selbst nennt, festhält. Sie hofft möglicherweise auf die Liebe, weil sonst der Albtraum, der um sie herrscht, wahr sein könnte.
Neue Kritiken

Amrum

A Letter to David

Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

The Smashing Machine
Trailer zu „Killers of the Flower Moon“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (13 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.