Joker 2: Folie à Deux – Kritik
Regisseur Todd Phillips entzieht sich der Sequel-Eskalationslogik: Joker 2: Folie à Deux ist ein sich erwachsen gebendes und ziemlich zähes Gerichtsdrama geworden. Nur wenn Joaquin Phoenix und Lady Gaga singen, ist für einen Moment alles anders.

Wir müssen blinzeln und uns ein wenig die Augen reiben. War Joker von Todd Phillips 2019 wirklich dieser große Skandalfilm? Erinnern wir uns: Der Film erhielt den Goldenen Löwen in Venedig, was für eine Adaption von Superheldencomics unerhört schien. Prächtige Vorschusslorbeeren also, die Erwartungen waren groß – und auch die Befürchtungen. Es folgten wochenlange Debatten, die sich um die Gefährlichkeit dieses Streifens drehten. Der Joker, Intimfeind Batmans und vielgestaltiges Idol rechter Internetkulturen, mit einem eigenen Film, der ihn zum amoklaufenden Helden, ja vielleicht Märtyrer aller Incels hochstilisiere. Für den empathischen Blick auf seine geplagte und gewalttätige Hauptfigur prägte der Literaturwissenschaftler Adrian Daub den passenden Begriff „Verständnispornografie“. Dass dem Kino in Zeiten der TikTok-Radikalisierung eine solche Wirkmacht zugesprochen wurde, überrascht. Nun erscheint die Fortsetzung. Keine großen Aufreger diesmal, keine laut publizierte Angst vor dem Film. Mehr als eine Entspannung des gesellschaftlichen Klimas drückt sich darin vermutlich die Erkenntnis aus, dass bei Joker heißer gekocht als gegessen wurde.
Sehr performativ erwachsen

Joker 2: Folie à Deux behält den dreckigen Realismus New Hollywoods größtenteils bei, tritt aber als ein halbes Musical auf und flieht dabei musikalisch eher in die 1940er- und 50er Jahre. Arthur Fleck (das Alter Ego des Jokers oder umgekehrt, das gerade ist hier der Witz; wieder verkörpert von Joaquin Phoenix) ist, nachdem er im Verlauf des ersten Teils sechs Menschen getötet hat, in Arkham eingesperrt, das in dieser Adaption mehr Gefängnis als Psychiatrie ist. Im Niedrigsicherheitstrakt gibt es eine Chorgruppe, in die Arthur vom kumpelhaft-bedrohlichen Wärter Jackie (Brendan Gleeson) eingeschleust wird. Dort singt auch Harleen Quinzel alias Harley Quinn (Lady Gaga), eine fanatische Verehrerin des Jokers, dieses mörderischen Medienevents, die vom biestigen Sidekick des Jokers zu einer nicht ganz fassbaren Gestalt zwischen ergebener Geliebter und ambitionierter Demagogin avanciert.
Was steht nun an? Gefängnisausbruch, Gewalt und Chaos, Liebestod, könnte man meinen. Man muss diesem zweiten Teil zugutehalten, dass er sich herkömmlicher Sequel-Eskalationslogik entzieht. Wir bekommen es stattdessen mit einem zähen Gerichtsdrama zu tun, das hauptsächlich um die Frage kreist: Ist Arthur Fleck zur Tatzeit unzurechnungsfähig gewesen, da er und der Joker zwei separate Persönlichkeiten sind? Das ist so öde, wie es klingt, und dabei sehr performativ erwachsen.
In den Himmel der Musik

Doch da ist ja jetzt Musik. Die ist schön, es sind überwiegend Musical-Oldies wie Get Happy, das wir von Judy Garland kennen, The Joker von Anthony Newley. In eher kleinen, intimen Einlagen singen Joaquin Phoenix und Lady Gaga, dann bricht ein starkes Theaterlicht ein in die Welt, und alles ist anders, für einen Moment. Überhaupt ist das der interessanteste Gedanke des Films: Eskapismus in die Fiktion oder durch die Fiktion? In einer Szene sehen sich die Arkham-Insassen Singing in the Rain (1952) an und Harley versucht, Arthur zur Flucht zu überreden, während alle abgelenkt sind. Der jedoch ist ebenfalls gebannt vom Film, will diesen Moment der Flucht in die Musik genießen. Kurzentschlossen legt Harley Feuer hinterm Projektor, und im Chaos stürmen beide aus der Anstalt, dazu spielt eine imaginäre Band. Das ist eine gar nicht dumme Variation des Kinoinfernos aus Inglourious Basterds (2009): Wie dort wird erst die Flucht aus dem Eskapismus real.
„Fühlt meinen Schmerz!“

Ansonsten sollen wir uns viel mit Jokers Psyche beschäftigen. Die Mutter war grausam, die Gesellschaft gleichgültig, alles geht vor die Hunde. Wo der erste Film noch seine sozioökonomischen Andeutungen hatte – marode Sozialsysteme, Yuppie-Überheblichkeiten, Batmans Vater Thomas Wayne mal nicht als Philanthrop, sondern Teil der Superreichenclique –, dreht Joker 2: Folie à Deux sich nur noch um das Einzelschicksal. Bisweilen sehen wir eine gesichtslose, aufständische Masse, die für Jokers Freilassung protestiert. Die schafft bedeutungsschwangere Bilder, aber ist wohl eher Teil der neuerlichen Selbstreferenzialität. Die bekannten Posen, in die der Joker sich im Zigarettenqualm wirft, sind jetzt nur noch genau das: Posen. Auch die Debatten um den ersten Film greift Phillips auf. In Gotham City wurde ein Fernsehfilm über den Joker produziert, von dem manche sagen, er sei ein Meisterwerk, andere halten ihn für großen Müll. Angesichts dieser Debatten ruft Arthur Fleck uns zu: „Sprecht nicht über mich, sondern hört mir zu, fühlt meinen Schmerz!“ Da ist es nur konsequent, wenn die Zeitdiagnose diesmal völlig ausbleibt und wir mit Arthur Fleck ganz auf du und du gehen sollen. Der Kernkonflikt ist dieser: Lieber als halbtoter Verlierer Arthur leben und sich mit Mühe in die Mitte der Gesellschaft zurückmanövrieren lassen – oder als Joker noch einmal auf den Putz hauen und so das Mädchen kriegen.

Das betonte Unterlaufen von Erwartungen, eine Eröffnung mit einem Joker-Cartoon im Stil der 1950er, hin und wieder eine wirklich gelungene, kraftvolle Szene und auch die tragische Auflösung der Frage nach der Flucht: Man kann Todd Phillips zugutehalten, dass er sich im populären Comicfilm erneut um etwas bemüht, was dort nicht selbstverständlich ist. Hier versucht einer, wieder zum Kino zu kommen, zu Reife, geschmackvoller Mäßigung, gesellschaftlicher Relevanz, ausgedehnter Zeitlichkeit, intensivem Schauspiel. Das all das so sehr gewollt und so sehr verfehlt wird, ist regelrecht tragischer anzusehen als der geschundene Joker.
Neue Kritiken
 
    Monster: Die Geschichte von Ed Gein
 
    Dracula - Die Auferstehung
 
    Frankenstein
 
    Danke für nichts
Trailer zu „Joker 2: Folie à Deux“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (10 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.














