Jet Generation – Kritik

Für sein Spielfilmdebüt lässt Eckhart Schmidt ein mysteriöses Model aus Paris in München einfliegen. Sie fängt sich Liebe ein wie eine Krankheit. Der fragile Neo-Noir-Plot kollabiert komplett.

In einer Boeing 727 kommt sie an. Noch während die Titelsequenz läuft, tritt sie auf die Runway, die blonden Haare noch zum Pferdeschwanz gebunden, und schaut sich um, mit einem Blick, der gleichzeitig neugierig, zielgerichtet und verloren ist. Genau wie alle Bewegungen, die Dginn Moeller, die Hauptdarstellerin von Jet Generation, vor der Kamera vollführt, gleichzeitig schlafwandlerisch und klar definiert sind.

Ein Mysterium der Filmgeschichte

Dginn Moeller ist ein Mysterium der Filmgeschichte. (Allein der Name! Das Missverhältnis zwischen dem alltäglichen Nach- und dem exaltierten Vornamen vor allem …) In den 1960ern arbeitet sie als Model in Paris, per Google lassen sich ein paar Aufnahmen auftreiben. Eckhart Schmidt lässt sie für sein Featuredebüt ins deutsche Kino einfliegen. Diesen einen Film, Jet Generation, dominiert sie von der ersten bis zur letzten Minute. Am Ende des Films fliegt sie wieder davon, und seither fehlt von ihr, inner- wie außerhalb des Kinos, jede Spur. Ein wenig ist Dginn Moeller wie Iris Berben, das „Mädchen von den Sternen“ in Rudolf Thomes Supergirl. Oder wie die gleichfalls außerirdischen Nymphen, die in Schmidts eigenem Atlantis dem Wasser entsteigen, sich einige Männer von der Erde pflücken und dann wieder zu ihrem Heimatplanet entschwinden.

Geheimnisvolle Frauen, die die Welt verzaubern, eben weil sie nicht ganz Teil von ihr sind ... Die unsichtbare Distanz, die sie von unserer Welt trennt, macht diese Frauen, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er für die Dauer eines Films in München auftauchen und dann gleich wieder verschwinden, umgekehrt auch verletzlich. Es fehlt ihnen die Immunität. Sie fangen sich die Liebe ein wie eine Krankheit. Wenn sie angesteckt werden, platzt die Schale ihrer Coolness, sie blühen kurz auf, um anschließend rasch zu verwelken. Das sind Männerfantasien, klar, aber warum auch nicht? Männer mit Fantasie sind Männern ohne Fantasie fast immer vorzuziehen.

Mäandernde Amour fou

Dginn Moeller spielt Caroll Buchheim, eine Amerikanerin auf der Suche nach ihrem Bruder, der in München verschollen ist. Was sie machen würde, wenn sie ihn findet, wissen wir nicht. Tatsächlich bricht sie die Suche just in dem Moment ab, in dem das Ziel in Reichweite gerät: Der arrogante, elastische Modefotograf Raoul (Roger Fritz) hat offensichtlich etwas mit dem Verschwinden von Carolls Bruders zu tun. Doch wenn sie ihm das erste Mal gegenübersteht, kann sie ihn nur wie gelähmt anblicken. Der ohnehin fragile Neo-Noir-Plot kollabiert komplett, im Folgenden schmiegt sich der Film ganz der mäandernden Amour fou von Caroll und Raul an. Ihrer bedingungslosen, aber bis zuletzt sonderbar unkörperlichen, vergeistigten Hingabe, seinen wütenden Ausweichmanövern durch die Betten diverser Models. Nebenbei entspinnt sich um Raouls süß verbiesterten Assistenten Chris (ganz toll: Jürgen Draeger) ein verkapptes schwules Melodram. Das ergibt in der Summe einen großartig sicken Film. Der Soundtrack von David Llewellyn – in seinem psychedelischen Flirren genauso wunderbar exaltiert wie die Aufmachung der Models, die um Raoul herumschwirren – hatte dem von Anfang an zugearbeitet. Ein mehrmals auftauchendes Motiv setzt mit einer aufsteigenden Folge von kleinen und großen Terzen ein, einem Crescendo, das einem ungebundenen, krankhaften Affekt ähnelt: ein musikalischer Fieberschub.

Glamour und Rätselhaftigkeit

Doch selbst im Aggregatzustand der Liebe ist Dginn Moeller opaker, passiver, gewissermaßen noch außerirdischer als die anderen extraterrestrischen jungen Frauen der Münchenfilme. Bald nach ihrer ersten Begegnung mit Raoul öffnet sie ihr Haar, und der vorher vielseitig interessierte Blick rastet auf den Geliebten ein; aber ihre Schale bricht nur einmal auf, ganz kurz, während ihres ersten Dates mit dem Fotografen, beim Tanzen. Ein plötzlich völlig offenes, gelöstes, mädchenhaftes Lächeln in Großaufnahme, wenn dann der Song einsetzt, formen ihre Lippen die Worte nach: „Met you / let you / make the first move“. Sie tanzt fröhlich und ein wenig übereifrig, strahlt übers ganze Gesicht, drängt ihren angespitztem Mund in Richtung von Fritz’ Lippen, reibt dann aber nur ihre Nase an seiner. Komplett verwandelt wirkt sie in dieser Szene, es ist, als wäre plötzlich ein Vorhang gefallen und wir blickten auf die echte Dginn Moeller, die eine Nacht lang einfach nur gemeinsam mit Roger Fritz Spaß haben möchte im München der späten 1960er, ganz ohne Mysterien und Liebestragik.


Kurz darauf bricht in der Disco eine Prügelei aus, die nichts mit der Geschichte des Films zu tun hat und dem Anschein nach einfach zufällig mit eingefangen wurde. Immer wieder gibt es solche Momente in Jet Generation, mehr oder weniger dokumentarische Fundstücke aus der großstädtischen Alltagswelt, die in den inszenierten Plot hineinragen, das Geschehen dabei allerdings keineswegs erden oder auch nur verorten, sondern eher weiter verzaubern, mit Glamour und Rätselhaftigkeit anreichern. Was hat es zum Beispiel mit der ziemlich langen Szene auf sich, in der ein Flugzeug über einer Wiese Flugblätter (?) abwirft, die dort von einer recht großen Menschenmenge gejagt werden? Jet Generation ist ein Film, der seine Geheimnisse, genau wie seine Hauptdarstellerin die ihren, nicht so ohne Weiteres preisgibt.

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