Jesus Egon Christus – Kritik
Eine Gratwanderung zwischen Psychose und Erlösung in nur 50 Minuten. Jesus Egon Christus ist ein ziemlich einzigartiger Film, der nicht nur aus der sonst so braven Perspektive Deutsches Kino herausragt.

Egon hat’s an den Nerven. Er stottert, wiederholt zwanghaft Sätze, steht unter Strom, manchmal kloppt er sich nervös an den Kopf, fantasiert sich Sachen zusammen, spricht von sich in der dritten Person, bringt seine Mitmenschen zur Weißglut, erzählt einen Witz über sein kleines Zimmer, das so klein ist, dass die Mäuse einen Buckel haben, und eine Frau mit Zahnlücken lacht dann doch.
Jesus, der Zauberer

Egons Mitmenschen in diesem Film haben’s nicht viel leichter: der harte Schachcrack Ben, Tattoos mit abgewandeltem Hakenkreuz und mit Anarcho-A zieren seinen Körper; Angelo, der Hüne mit dem osteuropäischen Akzent; oder Jenny, die im Kindesalter vom Vater missbraucht wurde, jetzt wortkarg, aber ihr eigenes Kind will sie Rainbow nennen, wenn es ein Mädchen wird, nach dem Lied mit der Sehnsucht. Diese Biografien fügen sich als geflüsterte Inserts in die, nun ja, Handlung eines Films, der eine seltene, vielleicht viel zu seltene Laufzeit von 50 Minuten hat und auch sonst seinesgleichen sucht. Man sollte ja sparsam umgehen mit solchen Floskeln, aber Jesus Egon Christus ist ein einzigartiger Film, ragt nicht nur aus der sonst so braven Perspektive Deutsches Kino heraus.
Eher als eine Handlung besitzt der Film von David und Saša Vajda ein Setting: eine evangelikale Lebenshilfe-Einrichtung in der brandenburgischen Provinz. Hier sind die Outcasts aus der Stadt gelandet, die Junkies, die Gefallenen, die, die’s an den Nerven haben. Von einem eher generische Predigten haltenden Prediger werden sie zu Gott geleitet und bekommen ihr Methadon. Egon ist neu in der Gruppe, in der ersten Szene wird ihm der Kopf geschoren, dann bringt er den Laden durcheinander. Denn Egon ist ein echter Häretiker, erklärt Jesu Wunder zu Zaubertricks. Mal wendet er sich direkt an den Messias – ob er nicht eigentlich „Rettungsboote an den Füßen“ hatte, als er übers Wasser lief –, mal nutzt er das Erleuchtungspathos strategisch aus: „Jesus hat gesagt, Egon muss nicht duschen.“ Die Psychose als letzte und ultimative Bastion gegen die Erlösung.
Körper und Filter

Jesus Egon Christus reiht Situationen aneinander, die Kamera ist beweglich, nimmt die Figuren manchmal aber auch in bressonianisch anmutende Porträts. Was ist hier eigentlich los? Wer sind diese Leute? Ihre verlebten Körper, ihre Neurosen, das sind in der Regel Authentizitätsmarker, bürgen für die Unmittelbarkeit des Realen. Aber das scheint hier gar nicht Programm: die Schauspielernamen im Abspann, die Inszeniertheit des Geschehens, die Dramaturgie des Zusammenbruchs. Alles dann doch wieder voller Filter, voller Medien.
Ein einzigartiger Film, mit dem ich nicht allein bleiben will, über den ich mehr wissen will. Der digitale Griff zum Presseheft offenbart: Über zwei Jahre lang haben die Vajda-Brüder in Berliner Methadonkliniken und Fixerstuben „recherchiert und gecastet“, gedreht wurde in „360-Grad-Sets“, mit Drehbuch, aber viel Improvisation. Diese Leute spielen sich wohl nicht selbst, aber ein Leben, das sie kennen. Nur einer nicht: Egon heißt im echten Leben Paul Arámbula, hat lange Haare und ist Musiker. Was ein Typ.

Wie falsch das alles hätte werden können, aber hier wird nicht verziert oder eingesperrt, hier gibt’s keine Hoffnung und keine Hoffnungslosigkeit, nur Einsamkeit und, notgedrungen, Gemeinschaft. Die schönste Gratwanderung: Dem Wahnsinn wohnt wirklich eine Wahrheit inne, nur eben nicht die einzige.
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