Ivo – Kritik

VoD: In ihrem Film über eine ambulante Palliativpflegerin buchstabiert sich Regisseurin Eva Trobisch formal noch immer sehr frei durch die Berliner Schule - und hat den Hang zum gleichen Musikgeschmack.

Gleitet die Protagonistin in Eva Trobischs Debüt Alles ist gut (2018) noch von Szene zu Szene, ist Ivo vor allem ein fahrender Film geworden. Die palliative Pflege, um die es geht, wird dabei nicht ausschließlich auf ihre rechtlichen und moralischen Aspekte fokussiert, sondern vor allem durch die Patienten erzählt. Ivo (Minna Wündrich) fährt durch den Ballungsraum Nordrhein-Westfalen mit seinen Autobahntangenten und Atomkraftwerken, Windrädern und Weinbergen. Das Auto ist dabei Lebenszentrum geworden, vereint Rückzugsort und ist Ausgangspunkt für alle Aktionen. Es ist Kino, weil man Ivo nie tanken sieht, aber der Anspruch, die Arbeitswirklichkeit in ihrer Komplexität und Hektik auch im Erzähltempo darzustellen, bleibt hoch.

Ruhepunkt bietet Ivos Freundschaft mit Sol (Pia Hierzegger), die an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) leidet und zunehmend in ihren motorischen Fähigkeiten eingeschränkt ist. Ihr Leben spielt sich zwischen Aquarium und Taubeng’schichten ab. Obwohl sich ihr Mann (Lukas Turtur) um sie kümmert, überlegt sie, eine Version des unterstützten Suizids zu wählen. Mit Sol im Zentrum baut der Film ein kleines Universum aus Mikrodramen auf, die auch als Sozialdramen funktionieren. Man sieht verschiedene gesellschaftliche Schichten und Haushalte, verschiedene Ehen- und Beziehungsentwürfe. Das Szenenbild von Julia Maria Baumann erzählt dabei parallel mit und unterstreicht unter anderem die Minderwertigkeitskomplexe eines Sohnes mit einer Geweihwand oder eine erdrückte Ehefrau in einem Raum voller Blumen, die ihr den Sauerstoff wegatmen.

Trobisch buchstabiert sich formal noch immer sehr frei durch die Berliner Schule. Ein Film, der sich nicht bemüht, Bilder zu finden, aber immer Bilder hat, wenn er droht, zu sehr zu verflachen. Die Kamera erschließt sich die Wohnungen manchmal in längeren Aufnahmen, manchmal in knappen Schnitten, bleibt aber immer handgehalten. Trobisch arbeitet fast nur mit diegetischem Sound, widersteht aber dem Impuls, den Film zu einer Radioshow zu machen. Der Hang zu einem unfassbar kitschigen Musikgeschmack, der sich auch durch die Filme Petzolds und Schanelecs zieht, schleppt sich aber auch hier in die Credits. Ein kleiner Film, trotz des sich ausbreitenden Radius, der immer wieder zu Hause ankommt, wo Ivos Tochter längst eigenständig geworden ist, den Haushalt schmeißt und für ihre USA-Reise plant. Ein harter Film, denn auch wenn die Sonne untergeht, hört sich die Welt nicht auf zu drehen, und so trauert man in das Leben und landet doch wieder in dem Auto, wo man noch weinen kann.

Der Film steht bis 26.07.2026 in der ZDF-Mediathek

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Kommentare


Christoph Hochhäusler

Florian Weigl schreibt "Der Hang zu einem unfassbar kitschigen Musikgeschmack, der sich auch durch die Filme Petzolds und Schanelecs zieht, schleppt sich aber auch hier in die Credits." Das kann ich nicht nachvollziehen. Zum einen, weil Musikeinsatz und -auswahl in den Filmen von Petzold, Schanelec und Trobisch sehr verschieden sind, zum anderen, weil der Autor keine Kriterien formuliert, was "unfassbar kitschig" jenseits eines Geschmacksurteils bedeuten könnte.


Florian Weigl

Hey Christoph. Ich glaube, das hast du schon richtig nachvollzogen. Ist nicht auf die jeweilige Arbeit mit Musik, sondern vor allem sanft polemisch auf die Musikauswahl bezogen, die mich in ihrem Sound und ihrer Idee von Pop besonders in den jeweils letzten Filmen (Roter Himmel und Musik) nervt, wobei sie in den jeweiligen Film selbst durchaus funktioniert.






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