It Felt Like Love – Kritik
Wenn sich Erfahrungen nicht einstellen, erfindet man welche. In ihrem Debütfilm spitzt Eliza Hittman ein klassisches Coming-of-Age-Motiv zu.

Ein weiblicher Rücken von hinten, eine Hand nestelt am Bikini, wir sind ganz nah dran. Ein jugendlicher Kuss im Meer, ein weiterer später im Pool. Chiara (Giovanna Salimeni) und Patrick (Jesse Cordasco) in inniger Umarmung, zarte Haut im Wasser. Eine junge Liebe, gefilmt wie in der Eiskremwerbung, draufgehalten. Im Vordergrund aber noch ein Hinterkopf, verschwommen, unscharf, weil auf einer für die Werbung weder ästhetisch noch inhaltlich relevanten Ebene. Die Ahnung eines Beobachters. Eine Beobachterin: Lila (Gina Piersanti). Ihr Blick ist es, der die fragwürdige Ins-Bild-Setzung dieser Teenagerliebe motiviert, weil die ihr dargeboten wird wie eine Ware im Schaufenster, die sie sich nicht leisten kann. Chiara ist Lilas Freundin, vielleicht sogar ihre beste, aber was nützt das in einer Zeit, in der ganze Universen von Erfahrungen zwischen zwei jungen Mädchen liegen können.
Werdendes im kindlichen Blick

Gleich zu Beginn von Eliza Hittmans Debüt It Felt Like Love macht sich diese Kluft bemerkbar: Lila trägt keinen Bikini, wie Chiara das tut, sondern einen Badeanzug, der eisern ihren Kindkörper zusammenhält, anstatt die erotischen Reize eines teenage girl zu betonen. Chiara braungebrannt, Lilas blasses Gesicht voller Sonnenschutz; ein Gesicht, das noch keinen Platz hat in der Welt der zärtlichen Berührungen, das nach einer Mimik sucht, die ihm Zugang verschafft; ein Blick, aus dem Kindliches ebenso spricht wie Werdendes. Noch aber scheint überhaupt niemand auf den Gedanken zu kommen, es bei Lila mit einer werdenden Frau zu tun zu haben. Auf die Jungs-Frage, ob Chiara schon mal mit ihrer besten Freundin rumgemacht hätte, antwortet die, Lila sei die Einzige, mit der sie das nicht getan hätte. Und eine ganze Jungs-Gruppe findet wenig später kaum etwas dabei, in Lilas Anwesenheit Pornos zu schauen. Lila muss dann schon richtig schocken, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ein Körper aus Lügen

Zurück zu Lilas Blick auf Chiara und Patrick, denn in ihm verschränken sich zwei zentrale Stimmungen der Adoleszenz: Begierde und Melancholie. Patricks Körper – Sean Porters sinnliche Kamera objektiviert, fetischisiert auch die männliche Haut immer wieder – steht für Lilas ganz konkrete Lust auf Berührungen, die in It Felt Like Love nicht auf bloßes Nacheifern-Wollen reduziert bleibt. Chiaras Körper dann ist der Körper des Coming-of-Age-Films, der schmerzlich präsent ist und doch abwesend, weil er nicht Lilas eigener ist, sondern nur Platzhalter für das, was sein müsste und was sein soll; für das, was angeblich so normal ist und deshalb umso bedeutsamer, je länger es nicht eintritt. Ein dritter Körper (Lila selbst hat noch keinen, sie ist ganz Blick, weil Körper in diesem Film nur durch Blicke entstehen und niemand sie ansieht) verspricht einen Zugang zu dieser Welt: Der ältere Sammy (Ronen Rubinstein) läuft am Strand entlang. Lila wird ihn besuchen, ihn anrufen, sich ihm aufdrängen. In einer fast Malick-artigen Sequenz werden sie durchs hohe Gras laufen und sich umschleichen. Dann wird Sammy fragen: Willst du eigentlich irgendwas von mir?

Was Lila will, das erfahren wir nicht durch das, was sie als Wünsche äußert, sondern durch das, was sie behauptet bereits bekommen zu haben; durch den fiktiven Körper, den sie sich selbst erschafft. It Felt Like Love spitzt jenen Drang zum pretending zu, der in Filmen rund ums Aufwachsen zum guten Ton gehört: keine Notlügen gegenüber den Eltern, um ungestört Erfahrungen sammeln zu können, sondern Erfahrungslügen, um mitreden zu können. Das Aufschnappen von geheimnisvollen Äußerungen und ihr Weiterverkauf als selbstbewusste Aussagen. „This boy went down on me“, erzählt Lila dem deutlich jüngeren und doch ziemlich reif tuenden Nachbarsjungen, „it was good, but he needs practice.“ Das hat sie von Chiara gehört. So geht das weiter. Ein Besuch beim Frauenarzt nach einem erdachten Ereignis verankert diese in der Sprache geschaffene Teenage-Persona schließlich in der materiellen Welt.
Nähe und fehlende Distanz

Nicht nur wenn Chiara, Patrick und Lila einmal zu dritt im Bett liegen – zwei von ihnen knutschen, eine stellt sich schlafend –, fühlt man sich an Catherine Breillats Meine Schwester (À ma soeur, 2001) erinnert, sondern auch, weil Hittman vor den mitunter drastischen Konsequenzen von Lilas verzweifelter Suche nicht zurückschreckt – diese freilich nicht mit Breillats Schocker-Attitüde, sondern auf bescheidenere, intimere, weniger pessimistische Weise zeigt. Auch in den Momenten, in denen It Felt Like Love sich kritisch mit gegenwärtigen Sex- und Geschlechterdiskursen auseinandersetzt, weicht die Kamera nicht zurück, verzichtet auch hier auf jegliche Tiefenschärfe, beschränkt sich weiterhin darauf, in Lilas Blick zu versinken und aus diesem wieder hinauszuströmen. Diese Nähe auf Bildebene – die der Film seiner Protagonistin schenkt, weil diese sie so dringlich ersehnt – verschränkt sich bisweilen mit einer fehlenden Distanz Hittmans zu ihrem Material; die sinnliche Kamera erscheint zwar als befreite und neugierige, entspringt aber doch einem Drehbuch, das von vornherein sehr genau weiß, was es will. Das Gefühl der narrativen Festgelegtheit passt dann aber wieder ganz gut zu einem Film, der Freiheit eher im eigenen Blick auf die Adoleszenz sucht als in dieser selbst vermutet.
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