Isle of Dogs – Kritik

Wes Anderson bringt im fernen Japan mit strenger Ästhetik, gegen den Willen eines Diktators und doch vorbei an den Untiefen der politischen Allegorie zusammen, was zusammen gehört: den besten Freund und die dazugehörigen Menschen.

Wenn Wes Anderson ein Bild gestaltet, herrscht manischer Ordnungszwang. Jedes noch so kleine Requisit ist millimetergenau in das Ebenmaß der Bildkomposition eingebaut, jedes architektonische Detail perfekt axialsymmetrisch ausgerichtet. Wollte man es Wes Anderson leichtmachen, würde man ihn einen Propaganda-Parteitag aufnehmen lassen. Wollte man es ihm schwermachen, wäre eine Müllhalde wohl eine angemessene Herausforderung. In seinem Animationsfilm Isle of Dogs stellt sich der obsessive Gleichmaß-Regisseur beiden Herausforderungen.

Dynastie der Hundehasser

Bevor Anderson sich ihnen aber stellen kann, muss zunächst eine andere natürliche Ordnung zerstört werden, muss getrennt werden, was zusammengehört. Mensch und Hund müssen getrennt werden. Dazu erfindet Anderson eine japanische Dynastie von Hundehassern, die die Jahrhunderte alte Symbiose zwischen Mensch und Hund zerstören will. Der korrupte Bürgermeister Kobayashi (Stimme: Kunichi Nomura, als der Anderson-typische egozentrische, charismatische, diesmal aber kaum sichtbare Patriarch) ist der letzte Thronfolger dieser Dynastie und treibt in einer modernen japanischen Metropole die Verbannung aller, angeblich fiese Krankheiten verbreitenden Hunde voran.

Seinen Willen demonstriert Kobayashi, indem er Spots (Liev Schreiber), den Wachhund seines Adoptivkinds, als ersten Hund auf die Müllinsel verbannt, die er später zu einem Straflager ausbauen wird. Mit seiner Konzentration auf die in alle Richtungen bunt übersprudelnde Form entzieht sich Isle of Dogs, ähnlich wie Grand Budapest Hotel (2014), gleich zu Beginn der offensichtlichen Lesart als politische Allegorie.

Ein ästhetischer Spielplatz

Im Herzen bleibt Isle of Dogs also ein Abenteuer, das der junge Atari mit einem prominenten Quintett verstoßener, verwahrloster Hunde erlebt: Der Gossip-Boy Duke (Jeff Goldblum), der bissige Streuner Chief (Bryan Cranston), das Baseball-Maskottchen Boss (Bill Murray), King (Bob Balaban) und der demokratische Beinahe-Anführer Rex (Edward Norton) führen den tapferen Waisen, mit sporadischer Hilfe der Showhündin Nutmeg (Scarlett Johansson), über die von verlassenen Industrieanlagen, stillgelegten Kraftwerken und toxischen Kanälen überzogenen Insel.

Anderson vermengt dazu japanische Farbholzschnitte – Hokusais Große Welle vor Kanagawa überschwemmt als umgestaltetes Propagandabild eine Gruppe schiffbrüchiger Hunde –, Kabuki-Theater und Jidai-Geki-Motive mit den aus seinem Œuvre bekannten Zentralperspektiven, Splitscreens und symmetrischen Kadern. Als Sinnbild für die Erzählstruktur steht ein verlassener Vergnügungspark, der auf einem Arm der Müllinsel liegt, den es für die Abenteurer zu überqueren gilt. Während die Hunde darauf drängen, möglichst schnell zum Zielpunkt zu kommen, kann Atari der Verlockung der Attraktion nicht widerstehen, klettert die Leiter hinauf und gleitet den spaßigen Umweg herunter. Andersons Rutschbahn nimmt ganz ähnliche Umwege: Zeitsprünge, Flashbacks und Exkursionen fragmentieren das Abenteuer und die parallele Erzählung der Metropolregion, in der die Menschen die Hauptrolle spielen. Drei Jahre später, sechs Monate zuvor, 24 Stunden später, 12 Stunden zuvor: Der Plot wirbelt umher, um sich doch immer, getrieben von Alexandre Desplats rhythmischen Nippon-Röhrentrommeln, in die Bahnen der strikten Kontrolle des Regisseurs leiten zu lassen.

Wie bereits in Der fantastische Mr. Fox (Fantastic Mr. Fox, 2009) bewegt sich alles in ruppiger, bewusst altmodisch gestalteter Stop-Motion. Das zerzauste Hundehaar zottelt auch im Stillstand durch die Handabdrücke der Puppenspieler, die in der Harryhausen’esken Bewegung immer wieder zu sehen sind. Andersons nostalgische Handarbeit gestaltet dabei Affekte und Actionszenen gleichermaßen kreativ. Rudelkämpfe finden in den aus Comics bekannten Staubwirbeln statt, die hier aus Schaumstoff und Watte geformt sind, während die Tränen von Mensch und Tier als durchsichtige Folie die Wangen hinunterrollen. So ist Isle of Dogs wiedermal eine Komödie, die einen schweren und melancholischen Unterton mitbringt. Mehr noch als in anderen Filmen Andersons bahnt sich diese ihren Weg in den Vordergrund. Am schönsten entspinnt sich das, als Spots auf ein Rudel von durch Tierversuche malträtierten Hunden trifft, die ihm vom Tod ihres Alphatiers erzählen und beim Sprechen immer wieder in ein kollektives Heulen verfallen, das beide Spielarten des Films wunderbar in sich vereint.

Whatever happened to men’s best friend?

Überhaupt ist der resolute Kontrollwille Anderson im Film stets die Schnittstelle zwischen den Gegensätzen. Seine strenge Komposition wendet er auf die bunte, mechanische und mannigfaltig detaillierte Müllinsel ebenso an wie auf die graue, starre und symmetrische Struktur der Hundehasser-Metropole. Was könnte einen schöneren Kontrast für den Kontrollfreak schaffen als eine Müllhalde? Und wo könnte seine Ästhetik besser aufgehoben sein als bei der Propagandainszenierung eines Diktators?

Natürlich ist die strikte Ästhetik damit auch die Brücke zwischen Mensch und Hund, die voneinander getrennt wurden, obwohl sie natürlich füreinander geschaffen sind. Die Menschen sprechen ein zumindest für ein westliches Publikum unverständliches und nicht untertiteltes Japanisch, während das Hundegebell allseits durch Sprache ersetzt wird. Natürlich favorisiert der Film die geprügelten Underdogs. „Whatever happened to men’s best friend?“, ist ein Mantra des Quintetts um Atari. Die einzigen, die es jenseits der Insel verstehen, sind (auch hier muss man sagen: wie immer) die Kinder. Für sie ist die Welt ohne den besten Freund des Menschen eben nicht vollständig, auch oder gerade weil sie die politischen Zusammenhänge nicht verstehen oder bei der Recherche für die revolutionäre Schülerzeitung manchmal den Faden verlieren. Doch genau das ist das Wunderbare an Isle of Dogs. Eine neue Rutschbahn wartet schon im nächsten, perfekt symmetrischen Bildausschnitt.

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