Intrige – Kritik
Antisemitismus hinter akkuraten Schnauzbärten: Den ungeheuerlichen Fall der Dreyfus-Affäre erzählt Roman Polanski mit einem Hang zum Theaterhaften. Der kulissenhafte Stil von Intrige passt zum porträtierten Milieu.

Dem Hauptmann Alfred Dreyfus (Louis Garrel) fühlt man sich in Intrige (J’accuse) nie wirklich nah. Wenn er gleich in der ersten Szene vor den versammelten Offizieren des Landesverrats schuldig gesprochen und seiner militärischen Insignien beraubt wird, sieht man sich diese Demütigung fast unbeteiligt an. Wie Dreyfus da steht – zitternd, pathetisch empört –, wirkt er fast wie eine Karikatur. Vielleicht ist das so, weil sich die ganze Ungeheuerlichkeit dieses historischen Falls erst danach offenbart. Im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts herrscht ein klassenübergreifender Antisemitismus, dem Dreyfus zum Opfer fällt. Er wird als Spion für die Deutschen angeklagt in einem Prozess, der alles andere als fair ist. Selbst bei seiner Verurteilung machen Kollegen noch kichernd Judenwitze.

Um Dreyfus selbst geht es in Roman Polanskis Adaption von Robert Harris’ gleichnamigen Roman allerdings gar nicht. Im Mittelpunkt steht dafür Offizier Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin), der kurz nach diesem Fall den Geheimdienst der Armee leiten soll. Dort wird er in die verschiedenen Bespitzelungsmaßnahmen eingelernt – etwa verschiedene Arten, einen fremden Brief zu öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen –, muss dort aber auch bald feststellen, dass es praktisch keine stichhaltigen Beweise gegen Dreyfus gab.
Keine moralische Erweckungsgeschichte

Von nun an kämpft er für Gerechtigkeit, was ihm jedoch besonders im Militär viel Gegenwind beschert und schließlich im Gerichtssaal endet. Dabei erzählt Intrige keineswegs eine moralische Erweckungsgeschichte. Picquardt macht aus seiner Ablehnung gegenüber Juden von Anfang an keinen Hehl, und der Film gibt keinen Hinweis darauf, dass sich an dieser Einstellung etwas ändert. Was den Offizier antreibt, scheint vielmehr eine Mischung aus Gerechtigkeitssinn und Pedanterie zu sein. Schon durch die ganzen neuen Regeln, die er bei seinem Amtsantritt einführt, wird klar: Dieser Mann will, dass es ordentlich zugeht.
Polanski inszeniert diese Geschichte mit kühler Präzision und einem Hang zum Theaterhaften. Obwohl Intrige teilweise an Originalschauplätzen in Paris gedreht wurde, wirkt er wie schon Der Gott des Gemetzels (Carnage, 2011) und Venus im Pelz (La Vénus à la fourrure, 2013) ein wenig kulissenhaft und statisch. Aber in ein Milieu, in dem das Leben von strengen Hierarchien und Ritualen geprägt ist, in dem man gut sitzende Uniformen und männlich buschige, aber akkurat gestutzte Schnauzbärte trägt, passt diese Steifheit diesmal auch ganz gut hinein.

Polanskis Augenmerk liegt vor allem auf den ziemlich guten Schauspielern, die versuchen, die kontrollierte Fassade zu wahren, während dahinter die Gefühle brodeln. Etwa bei Picquardts Untergebenem Henry (Grégory Gadebois), der ihn später verraten wird. Als er nach einem Rüffel eine phrasenhafte Respektsbekundung ablässt, sieht man in seinen Augen die pure Verachtung. Je mehr Intrige dann zum Krimi wird, in dem das Unrecht aufgedeckt wird, desto mehr fallen auch die Masken. Nachdem die Veröffentlichung von Émile Zolas bekanntem „J’accuse“-Artikel eine äußert direkte und überfällige Anklage ist, wird auch auf der Straße und im Gerichtssaal bald nicht mehr um den heißen Brei herumgeredet.
Repressive Sexualmoral

Aber selbst wenn der Film dichter und emotionaler wird, bleibt er von einer gewissen Sachlichkeit beherrscht. Immer wieder wird der Blick dabei vom Einzelnen auf das große Ganze gelenkt. Auf den wenigen privaten Momenten, die zu sehen sind, lastet etwa eine repressive Sexualmoral. So wie der eigentliche Spion Ferdinand Walsin-Esterházy sich im Verborgenen mit seinem Liebhaber trifft, so kann auch Picquart die Beziehung zu seiner Geliebten Pauline (Emmanuelle Seigner) nur heimlich ausleben. Erst am Schluss keimt die Hoffnung auf ein zwangloseres Leben auf, nachdem Pauline zwar von ihrem Mann verlassen wurde, aber trotzdem keine Lust hat zu heiraten: „Lassen wir es doch einfach so, wie es ist.“

Das Militär scheint das genaue Gegenteil dieser Freiheit zu sein. Dementsprechend dekonstruiert Polanski es als exklusives und selbstgefälliges Männerbündnis. Vermutlich bleibt uns Dreyfus auch deshalb so fremd, weil ihm diese Welt so wahnsinnig viel bedeutet. Während der privilegierte Picquart ein besseres, also nicht korruptes Militär möchte, scheint es dem Außenseiter Dreyfus nur darum zu gehen, überhaupt Anerkennung in dieser Ersatzfamilie zu bekommen. Und wenn sich die beiden Männer am Schluss noch einmal gegenübersitzen, versteht man auch besser, warum. Denn auch wenn dem Juden Dreyfus die Freiheit zugestanden wird, ganz so wie die anderen soll er auch nicht behandelt werden.
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