Infinity Pool – Kritik

Gefangen im Ich. Brandon Cronenberg baut mit Infinity Pool filmische Zonen der Unsicherheit konsequent aus. Eine üppige neue Heimkinoveröffentlichung mit vielen Specials würdigt die technische Raffinesse des Psycho-Horror-Thrillers.

Das maritime Urlaubsresort, in dem das Paar Em (Cleopatra Coleman) und James Foster (Alexander Skarsgård) residiert, wirkt ebenso stylisch wie isoliert. Von Beginn an betont Karim Hussains Kamera das Schöne – luxuriöse, geräumige Außenanlagen, Himmel küsst azurblaues Wasser – wie auch das Triste: Das fiktive Pa Qlqa erinnert mit seinem nächtlichen Ausgehverbot an gar nicht mal so fiktive, künstlich-mikrokosmische Urlaubsziele. Die Kamera bewegt sich geradezu hypnotisch: „Spiral Walk“, der unheilvoll dröhnende Eröffnungstrack des Ambientmusikers Tim Hecker, untermalt die langsam kreisenden, schwindelerregenden Ansichten Pa Qlqas. Die Erzählwelt ist von Beginn an aus den Fugen in Infinity Pool.

Wie im vielbeachteten Vorgänger Possessor (2020) werden in Infinity Pool sichtbare Räume zu Bausteinen eines übergeordneten filmischen Vorstellungsraums. Diesen hält Regisseur Brandon Cronenberg mit dem Bewusstsein seiner Hauptfiguren synchron, wir Zuschauer wissen immer genauso viel bzw. wenig wie sie. An die Stelle der Auftragskillerin des Vorgängerfilms, deren Geist in immer neue menschliche Hüllen schlüpfte, tritt in Infinity Pool der ideenlose Schriftsteller James, für den ein tödlicher Unfall zu einer Reihe von Grenzerfahrungen und -überschreitungen führt. Ein Sumpf tut sich auf aus Hedonismus und Gewalt.

Seelisch-körperlicher Höllentrip

Die innerlich erkalteten Fosters finden in einem anderen Urlauberpaar, den Bauers, ihren lebendigen Gegenpart. Vor allem die geheimnisvolle Gabi (Mia Goth) wirkt wie die Botin einer aufregenden, stimulierenden Welt. Die gemeinsame Flucht aus dem Resort, untermalt von Kulinarik und einem spontanen, expliziten Höhepunkt, endet fatal. Erschreckender als der plötzliche Unfalltod eines Passanten ist die Entscheidung der Touristen, fremdes Leben für das eigene Wohl zu missachten. Cronenberg nutzt diese schmerzhafte Ignoranz und Inhumanität als Aufhänger für den folgenden seelisch-körperlichen Höllentrip.

James Foster muss seiner Duplizierung zustimmen, seiner eigenen Hinrichtung beiwohnen, um weiterleben zu dürfen in einer nun äußerst unsicheren Welt: gefangen zwischen der Beobachtung durch die Polizei, die Duplikat-Hinrichtungen von Touristen organisiert, und seinen Miturlaubern, mit denen er immer heftigere Trips erlebt. Auch er wird sich verlieren in Altered States, wie William Hurts Figur in Ken Russells gleichnamigem Film aus dem Jahr 1980. Wiederholt wird er vergessen, und wir mit ihm, wer er wirklich ist. Die Entgrenzung findet im Titelmotiv des Infinity Pools seine Entsprechung: Dessen realweltliche Funktion, das erholsame Verschwimmen von Luft und Wasser, wird pervertiert und gewaltsam auf den Zustand der Hauptfigur übertragen. Dabei lässt Cronenberg ebenso wie Russell beeindruckende handgemachte Effekte ohne Zuhilfenahme von Computertricks („in camera“) kreieren; doch weil der Sohn, anders als Vater David, keinen Spaß versteht, wird der Gewaltpegel zusätzlich in unangenehme Höhen geschraubt.

Immer tiefere Spiralbewegung

Wie bereits Possessor soll auch Brandon Cronenbergs neuer Film wehtun, erneut geht der Regisseur mit einer sperrigen Dramaturgie Risiken ein. Anstelle des klar codierten Farbschemas des Vorgängers – Primärfarbenräume reflektierten die Zustandsebenen des infiltrierenden Bewusstseins – verschwimmen die Bildwelten in Infinity Pool zu einer kaum zu decodierenden Melange aus Farben, fotografischen Effekten, Kunstblut und Dunkelheit. In seinen surrealen Momenten gerät der Film zur Maskerade, wirkt verspielt und irritierend zugleich. Brandon Cronenbergs Filme sind immer dann am spannendsten, wenn sie Zonen der Unsicherheit und vage Zustände erkunden. Die immer tiefere Spiralbewegung mit ihren Wiederholungs- und Duplikationsmomenten in Infinity Pool ist in dieser Hinsicht kaum zu überbieten.

Cronenberg visualisiert in Infinity Pool Identitätssuche als Alptraumversion des westlichen Eskapismus und Kapitalismus. Scheinbar unendlich kann man sich in diesem fast schon biblischen Horrordrama von seinen Sünden freikaufen, trotz wiederholtem Brudermord am eigenen Ebenbild. Der von Thomas Kretschmann verkörperte Polizist fungiert denn auch weniger als Repräsentant einer totalitären Regierung als vielmehr als Portier zum Unterbewusstsein, als Botschafter der Angst davor, dem eigenen Tod eben dann besonders nahe zu sein, wenn man ihm zu entgehen versucht. Cronenberg bietet auch in seinem neuen Film keine Katharsis, dafür immer schmerzlichere Bilder des Gefangenseins im Ich. Here to Stay

Erstklassige Aufbereitung fürs Heimkino

Im Kino erwartungsgemäß ein Flop, würdigt erst die neue Heimkinoveröffentlichung (Turbine Medien) Cronenbergs albtraumhafte Vision, die wie der Vorgängerfilm insbesondere auf technischer Ebene punktet. Karim Hussains atmosphärische, lichtspielhafte Bilder bieten an allen Ecken interessante Details, und erst das neue, von Kameramann und Regisseur freigegebene 4K-UHD-Master präsentiert Infinity Pool angemessen fürs Heimkino. Die bisherige Blu-ray (Universal) wies kein optimales Encoding auf, wobei Details sichtbar verloren gingen. Infinity Pool wurde mit verschiedenen Kameras in 2K-Auflösung gedreht, das Quellen- bzw. Master-Format war also zunächst kein 4K. Eine künstlerische Entscheidung der Macher, denn Stylist Cronenberg beabsichtigte einen mitunter weicheren, nebulösen Look, der mit zu starken Kontrasten nicht umsetzbar gewesen wäre. Das Digital Intermediate (DI) fürs Kino war am Ende zwar 4K, jedoch als ein intendierter Blow-up des 2K-Masters während der Postproduktion; dies bestätigte mir Karim Hussain per Chat. Letztlich gelingt es erst der UHD, superhochauflösende 2K- bis 4K-Formate fürs Heimkino zu vermitteln. Die neue 4K-UHD von Infinity Pool, hierzulande gar weltexklusiv mit Dolby Vision, ist in dieser Hinsicht das Maß der Dinge.

Selbst die auf 1080p komprimierte Blu-ray-Disc profitiert vom neuen 4K-Heimkinomaster und übertrifft die bisherige Blu-ray erkennbar. Für Nutzer ohne 4K-Equipment eine willkommene Option. Nicht zu überhören ist der neue Ton: Turbine stellt nicht nur erstmals eine unkomprimierte deutsche DTS-HD Master Audio 5.1-Spur zur Verfügung (die bisherige Blu-ray bot diese nur im Originalton, während die deutsche Sprachfassung etwas an Dynamik verlor), sondern packt jeweils komplett neu erstellte Dolby Atmos-Tonspuren hinzu. Diese, wie üblich Dolby True HD 7.1-kompatibel, bilden das detailreiche Sound-Design und den dynamischen Score perfekt ab. Die Dialoge sind stets klar, Dynamik und Räumlichkeit des Tons sehr beeindruckend, dabei immer stimmungsdienlich. Die neuen bzw. verbesserten Tonspuren sind allesamt auch auf der verbesserten Blu-ray enthalten.

Beide Scheiben, UHD und Blu-ray, sind mit Ausnahme der unterschiedlichen Bildqualität inhaltsgleich und Teil eines hervorragend gestalteten und verarbeiteten Mediabooks, das in vier Cover-Varianten erhältlich ist. Die audiovisuellen Extras – hier bot die bisherige Blu-ray überhaupt nichts – sind neben der technischen Verbesserung des Hauptfilms das Hauptargument für diese neue Veröffentlichung. Enthalten sind ein spielfilmlanger Audiokommentar mit Regisseur, Kameramann und Produzent, der detailliert den filmischen Prozess von der Idee bis zur Umsetzung beschreibt. Hinzu kommen drei Making of-Featurettes (Film allgemein, Make-up-Effekte, Licht-Effekte) mit einer Gesamtdauer von 40 Minuten, ein Interview mit Alexander Skarsgård und Mia Goth (10 Min.), Design-Galerie (5 Min.) sowie der sehr interessante, zehnminütige Kurzfilm Please Speak Continuously and Describe Your Experiences as They Come to You (2019) Brandon Cronenbergs, der als ästhetischer Vorbote von Possessor gelten darf und bisher nur auf dessen englischsprachiger Veröffentlichung als Bonus enthalten war. Alle Specials sind wahlweise deutsch und englisch untertitelt.

Abgerundet wird das haptisch ansprechende Mediabook mit einem 48-seitigen Booklet, das sich in zwei Teile gliedert. Die erste Hälfte enthält Tobias Hohmanns Text „Unbequeme Visionen“ von, der sich umfassend mit der Entstehungsgeschichte des Films auseinandersetzt und auch die bisherige Karriere des Regisseurs berücksichtigt. Die zweite Hälfte beginnt mit einem kurzen verschriftlichten Interview mit Szenenbildnerin Zosia Mackenzie (3 Seiten) und bietet auf den folgenden 14 Seiten eine Bildergalerie ihrer Arbeit für Infinity Pool, wobei zu betonen ist, dass für den fiktiven Staat Li Tolqan und das dortige Resort Pa Qlqa eine ganze Reihe von (Corporate) Designs entworfen wurden, von Logos, Outfits und Menükarten bis zu Banknoten und einer Staatsflagge. Das Booklet ist durchgängig mit zumeist schwarzweißen Set-Fotos der Dreharbeiten illustriert, die Druckqualität insgesamt sehr gut. Die limitierten Mediabook-Editionen liegen mit 35 Euro im preislichen Mittelfeld, bieten dafür Referenzqualität hinsichtlich Technik und Ausstattung.

Erwerben kann man die Veröffentlichung unter anderem hier.

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