in water – Kritik

Berlinale 2023 – Encounters: Hong Sang-soo folgt einem Low-Budget-Filmemacher ohne Idee zu den Dreharbeiten auf einer Insel. In Water betont das Machen, und erschafft Bilder, die man tatsächlich noch nie in einem Hong-Film gesehen hat.

Regie und Drehbuch sowieso, aber auch Kamera, Produktion, Schnitt, Musik und Sound Design: Hong Sang-soo. Was die Arbeitsfelder hinter der Kamera anbelangt, ist Hongs neuer Film, ein in der Sektion Encounters präsentierter Sechzigminüter, fast eine One-Man-Show. Und auch innerhalb des Bildkaders ist In Water ein radikal reduziertes und (dabei nicht mal so sehr konzeptuelles) Kino; eins, das im Grunde nur drei Darsteller:innen, einen Schauplatz am Meer, unscheinbare Interieurs und wenige „Drehbuchkniffe“ braucht, um etwas Bewegendes und zutiefst Persönliches zu erzählen.

Auf ironische Weise ist In Water sogar ein Message-Film: Denn wie so oft in Hongs Œuvre handelt auch er vom Filmemachen bzw. von Filmemachenden, genauer gesagt: von einem jungen Alter Ego: ein Low-Budget-Filmer, der seine Gefühlslage einfängt und sich keine Eitelkeiten erlauben kann. Und der Film scheint auch „sagen“ zu wollen: Erst einmal machen, Produktionsbedingungen egal, alles andere kommt danach. Er selbst spiegelt das mit einer bewussten Low-Fi-Anmutung, was noch am Premierentag bei Letterboxd, und sicher auch andernorts, dazu führt, dass man sich über den „amateurhaften“ Look und die Tatsache beschwert, dass so ein Film in einem Wettbewerbssegment läuft.

Was Neues

Gleich zu Anfang eine Irritation. Nämlich Bilder, die man so in einem Film Hongs noch nie gesehen hat. Das ist erstaunlicher als bei vielen anderen zeitgenössischen Filmemacher:innen, bleibt er seinem einmal etablierten Formrepertoire sonst eigentlich über zig Filme, ja Jahrzehnte hinweg treu; das Gesamtwerk durchzieht eine Art Wiederholungszwang. Tatsächlich herrscht während der ersten längeren Einstellung hier aber eine gewisse Unruhe im Saal. Die Filmbilder – nach mehreren Ausflügen in den Schwarzweißfilm nun auch wieder in Farbe – wirken unscharf, die Untertitel hingegen nicht.

Natürlich ist das, das wird schnell klar, eine ästhetische Setzung und kein Technikproblem. Es sind Milchglasbilder; sie sehen aus, als hätte man im Blockbuster-3D-Kino seine Brille noch nicht aufgesetzt. Gesichtsausdrücke erkennt man kaum, gerade in den Außenaufnahmen zerfließen die Objekt- und Körpergrenzen, Vorder-, Mittel- und Hintergründe weben sich merkwürdig zu Bildteppichen zusammen.

Die Bilder bekommen so eine halbabstrakte Qualität. In den Aufnahmen vom Badestrand samt blauem Himmel und Touri-Promenade kann man, mit ein bisschen Fantasie, etwas von den horizontalen Farbflächenkompositionen Mark Rothkos wiederfinden. Eine andere Einstellung mit einem knallgelben Strauch in der Bildmitte wirkt unschärfebedingt wie ein Impressionismus in Nahansicht. Einmal gibt es auch eine Nahe von Fischen im Wasser – der Berlinale-Ankündigungstext spricht entsprechend (der Filmtitel lässt das nochmal zusätzlich zu) von Aquariumsbildern. Eine schöne Assoziation: Durch eine Scheibe blicken wir auf die Figuren innerhalb eines eng abgesteckten Raums, es hat etwas von einer Observation. Das klingt weit analytischer, als es tatsächlich ist.

Wie immer

Seoung-mo (Shin Seok-ho, der seit 2018 bereits in sieben Hong-Filmen spielte) hat zwei Kommiliton:innen seiner Filmhochschule auf die Insel Jehu gelockt. Sie wirkt tropisch, in einer langen, statischen Einstellung – es gibt auch sonst, bis auf den Schwenk einer Außenaufnahme, in In Water keine merklichen Kamerabewegungen – sitzt das Filmteam inmitten von Palmen beim Essen zusammen. Ihr Gespräch ist erst steif, taut dann etwas auf und dann schließlich kreist es darum, was der junge Mann mit seinem Kurzfilm bezweckt, immerhin hat er hierfür sein ganzes Erspartes zusammengekratzt und die Schauspielerei an den Nagel gehängt. Das Wichtigste sei ihm, und darauf weist in Seoung-mos Charakterzeichnung bislang nichts hin, der Ruhm, den man später hoffentlich ernten werde.

Es ist eine dieser unvermittelten Dialogabsurditäten, die sich auch noch in die schwermütigsten Filme Hongs – und In Water gehört definitiv zu diesen – einnistet. Wie hier gefragt und geantwortet wird, wirkt so, als kennt sich das Dreierteam kaum; es gibt diese unüberwindbare Distanz zwischen ihnen, auch diese verschreckte Höflichkeit, die Annäherungsversuchen in Hongs Filmen häufig im Weg steht. Erst der Soju-Rausch (des für den Hong-Kosmos obligatorischen Trinkgelages) hat das Potenzial, die unter einer dicken Schicht Neurosen und Gesellschaftskonventionen verschüttete Innerlichkeit aller freizulegen.

Dem Kameramann Sang-guk (Ha Seong-guk) und der Jungdarstellerin Kim Nam-hee (Seung-yun) dämmert nicht erst in ihrer Mittagspause mit Seoung-mo, dass er keine wirkliche Idee hat, worauf es bei ihrem gemeinsamen Film hinauslaufen soll. Erst als er kurz darauf am Strand eine Müllsammlerin trifft und sie über ihr Tun ausfragt, kommt ihm die Idee für seinen Film. Es reicht eigentlich, diese Szene im Großen und Ganzen mit Nam-hee und ihm selbst zu reenacten, sie dann mit weiteren vorgefundenen Motiven vom Strand zu verbinden – und ein Finale hinzuzudichten. Wozu mit dem Drehbuchschreiben anfangen, wenn alles, was wahrhaftig ist, schon im Alltag da ist, nur nacherzählt werden muss?

Was fehlt

Hong scheint bei seinen Film-im-Film-Filmen nie wirklich eine bewusst ästhetische oder gar politische Praxis zu porträtieren, sondern stets auf einer „basaleren“ Ebene das Filmemachen als direkten Ausdruck eines persönlichen Bedürfnisses ins Zentrum zu rücken. Eben das Verlangen eines jungen Menschen, sein Denken und Fühlen in etwas für sich und andere Greifbares zu übersetzen. Und zwar bestenfalls frei vom Zweifel, ob das Ergebnis irgendwelchen Standards genügt. Die Hauptsache ist, mit Gleichgesinnten etwas zu machen, das am Ende Bedeutung hat. Die Betonung liegt auf dem Machen. Es gibt keine künstlerischen Vorbilder, keine herangetragenen Theorien, die Entscheidungen quasi absichern.

Filmemachen ist in In Water – und eben auch für Hong, soviel Autoren-„Theorie“ muss schon sein – untrennbar mit der Erfahrung des eigenen Lebens verwoben. Und so fällt dem angehenden Filmemacher auf Jehu nur eine Story ein, die er, vom dramatischen Höhepunkt abgesehen, selbst erlebt hat (wie Hong mittlerweile wohl stark mit Improvisation arbeitet). Und es ist pragmatisch, uneitel: Warum nicht Musik, die man eigentlich einmal für die Exfreundin schrieb (wieder die Melancholie), direkt vom Handy aus dem Off einspielen? Das ist auch der Moment, wo Kim Min-hee, Hongs langjährige Partnerin und Stammdarstellerin (doch) noch in die Welt von In Water hineinkommt. Dieses Mal nicht ins Bild, sondern als Stimme im Song. Das Einzige, was in Hongs mittlerweile dreißigsten Langfilm, der uns so andersartige Bilder zeigt, wirklich mit Blick auf den bisherigen Privatkinokosmos fehlt, ist sein (geliebter wie belächelter) Wackelzoom.

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