In the Earth – Kritik

Nowe Horyzonty Filmfestival: Knorrige Äste im Neonlicht. In seinem neuen Film In the Earth durchflutet Ben Wheatley den Wald mit Stroboskop-Effekten und beleuchtet das geheime Leben der Pilze – erst mit Horror, dann mit Humor.

Der Blauwal ist ein Zwerg dagegen: Das größte Lebewesen der Erde ist ein Pilz – ein Hallimasch im US-Bundesstaat Oregon, der 600 Tonnen wiegen und neun Quadratkilometer umfassen soll, was in etwa den Dimensionen des Berliner Stadtteils Kreuzberg entspricht. Wie alle Lebewesen wollen Pilze wachsen und sich vermehren, müssen dazu erst einmal überleben und haben zu diesem Zweck Mechanismen zur Selbstverteidigung entwickelt. Zur Freude des britischen Regisseurs Ben Wheatley gehören zu diesen Mechanismen auch Nervengifte. Die Visualisierung eines psychedelischen Pilz-Rausches in Wheatleys A Field in England (2013) gehört zu den schönsten Drogentrips der jüngeren Filmgeschichte. In seinem neuen Film In the Earth präsentiert Wheatley nicht nur einen weiteren Pilztrip – er macht Pilze gleich zum Protagonisten, einem größtenteils unsichtbaren allerdings.

Fruchtbarer, furchtbarer Wald

Der sichtbare Protagonist ist Martin (Joel Lowery), ein junger Wissenschaftler, dessen Eltern gerade an Covid verstorben sind, und der sich zur Ablenkung tief in den Wald zurückzieht, um dort mit seiner Mentorin Dr. Wendle (Hayley Squires) ungewöhnlich fruchtbaren Boden zu erforschen. Seine Kollegin Alma (Ellora Torchia) begleitet ihn auf dem mehrtägigen Marsch zur Forschungsstation. In der ersten Zeltnacht dringen furchtbare Schreie durch den Wald, der laut alten Sagen verflucht sein soll. In der zweiten Nacht begegnen Martin und Alma möglicherweise einer Reinkarnation der Blair Witch – und das ist erst der Anfang ihrer Torturen.

Insbesondere im letzten Drittel gelingen Wheatley großartige Bilder des von Neonlicht und Stroboskop-Effekten durchfluteten nächtlichen Waldes. Hier dräuen knorrige Äste, dort wabert unheilvoller Nebel, mal pusten Pilze chemische Substanzen in die Luft, mal steht ein nur als Schatten sichtbarer Axtmörder im Gegenlicht. Nicht zu vergessen die pilzbedingten Halluzinations-Sequenzen: Zu düsteren, sphärischen Elektroklängen zucken abstrakte Formen, Farbwolken oder grausige Erinnerungsfetzen über die Leinwand. Und doch hinterlässt all diese visuelle Kreativität den Eindruck einer verwässerten Kopie: Der Drogentrip erreicht nie die Intensität des Trips in A Field in England, auch bei den Naturaufnahmen zeigt sich Wheatley weniger geduldig und detailverliebt als in der Vergangenheit.

Die Komik sabotiert den Horror

Doch das größte Problem von In the Earth ist das unebene Skript, das erst mit grimmigem Body Horror aufwartet, um dann zunehmend in eine Komik umzuschlagen, die nicht immer intendiert wirkt. Der Humor der zweiten Hälfte sabotiert den Schrecken der ersten: Vor lauter Lachen kann man die Horror-Elemente kaum noch ernst nehmen.

Und als der Film schließlich offenbart, warum die abgeschiedene Waldlandschaft voller Licht- und Tontechnik steckt, kann man sich des Verdachts nicht erwehren, das Drehbuch sei durch eine Mischung aus Pilzkonsum und Corona-Langeweile entstanden: Wheatley serviert eine wirr-esoterische These von einer animistischen Selbstverteidigung der Natur gegen die Menschheit, die er aber keinesfalls ernsthaft vertritt, sondern lediglich als Sprungbrett für seine visuelle Fantasie gebraucht.

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