In My Room – Kritik

VoD: Postapokalyptisches Deutschland. Ulrich Köhler hat mit In My Room einen Film über Inneres, Bau und Heimat gedreht – und über Männer, die ihr Land lieben.

Zum Leben verdammt ist der Mann. Schlaftabletten wirken schnell, aber die Kotze ist schneller. So muss er dann doch wieder aufwachen, der arme Armin (Hans Löw), der tags zuvor an einem traurig-verregneten Morgen (leicht verkatert auf dem nach hinten gelehnten Fahrersitz seines Autos) die Augen öffnete und niemanden mehr vorfand: die Lider auf Halbmast, ein trunkener Gang, getrocknete Bröckchen im Gesicht. Keine Menschen, kein Strom, kein Wasser, kein Licht. Stattdessen eine Dusche aus der Sprudelflasche und das ein oder andere klitzekleine Selbstgespräch über die Beschissenheit der Situation: „Fuck!“

Die Filme der Berliner Schule (mindestens die Filme der jüngsten Zeit) sind mehrheitlich aus Deutschland rausgefahren, um von draußen wieder reinschauen zu können – auf ein Deutschland im europäischen Verbund: Deutschland und Rumänien (Toni Erdmann von Maren Ade), Deutschland und Bulgarien (Western von Valeska Griesebach), Deutschland und Norwegen (Helle Nächte von Thomas Arslan), Deutschland und Griechenland (Der traumhafte Weg von Angela Schanelec), Deutschland und Frankreich (Transit von Christian Petzold) usw. In Zeiten der Leitkulturdiskurse, der Kruzifixverordnungen, der Montagspromenaden kein Wunder: deutsche Identität – was ist das? Die Frage will man nicht mögen, aber gestellt ist sie. Deutscher Humor, deutsches Überlegenheitsgefühl, deutsche Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, deutsche Generationenkonflikte? Ein freigefegter Blick auf Deutschland von etwas weiter weg, so lassen sich all diese Filme womöglich in einen Bezug miteinander bringen. Ulrich Köhler macht es nun etwas anders: Er fegt mit In My Room nämlich nicht nur den Blick, sondern gleich ganz Deutschland frei – sogar, wie wir später merken, den ganzen Planeten.

Die Oma schenkt dem Enkel eine Welt

Armin ist Kameramann für das ZDF. In der Eröffnungsszene filmt er Thomas Oppermann und Sarah Wagenknecht, allerdings ohne das Entscheidende aufzuzeichnen. Blöder Fehler, kann ja mal passieren, denkt sich der Armin, während der Redakteur in die Luft geht. Die Merkel hat Armin auch schon mal gefilmt, damals hat immerhin alles geklappt. Mit dem Mädchen aus dem Club klappt es wiederum nicht so gut; die lässt ihn nämlich nach einem wirklich saublöden Spruch präkoital und leicht bierbäuchig vor seiner Badezimmertüre stehen und meint mantelanziehend, dass es wohl doch besser sei, nach Hause zu gehen. Und dann, ein paar Schnitte später, erzählt ihm ausgerechnet der eigene Vater (und das auch noch im Angesicht der sterbenden Oma auf dem Pflegebett) von seinem neuen Sexglück mit der Lilo, die zudem ausgezeichnet fleischlos kochen kann. Armin ist in der Krise und er ist vor allem ziemlich schlecht gelaunt. Niemand scheint das wirklich zu registrieren, am allerwenigsten wohl er selbst. Nur die Oma (denn die Oma kriegt noch alles mit, meint die Lilo) scheint es zu merken und reißt wohl deshalb sterbend die ganze Menschheit mit sich ins Nichts. Eine ganze Welt für sich alleine – das ist das Geschenk der Oma an den Enkel, bevor sie geht.

Eine Grand-Theft-Auto-Fantasie

Eine Welt als Spielwiese; als Spielwiese für den Mann. Die tollste Szene des Films zeigt Armin an der italienischen Grenze das Auto wechseln. Raus aus der Mercedes-B-Klasse älteren Baujahres und rein in einen Grenzpolizeisportwagen, der vermutlich für eventuelle und wilde Autobahnverfolgungsjagden gedacht war. Dann sehen wir frontal auf die Straße durch die Windschutzscheibe. Der Motor heult und dreht auf, hochtourig rast der Flitzer eine Dorfstraße nach unten, vorbei an allerlei Hindernissen, die die abhanden gekommene Menschheit liegengelassen hat – gewissermaßen als Parcours: umgekippte Motorräder, Blechschrott, querstehende Lastwägen. Nirgends sonst wird der Simulationscharakter dieses Films so explizit wie hier – eine reine Grand-Theft-Auto-Fantasie. Raumbeherrschungsekstase.

Der Mann liebt die Welt

Die Welt ist an einem Nullpunkt und das ist fabelhaft so. Der Mann kann wieder ran, kann wieder machen, kann wieder zivilisieren und industrialisieren, das Vieh vermehren, das Wasserkraftwerk bauen, er kann Leitungen legen, Stichsägen reparieren, Pferde reiten. Kein anderer Mann macht ihn mehr zur Schnecke, weil er keine Kamera bedienen kann, kein anderer Mann hat ein erfolgreicheres Sexleben mehr. Bald und gottseidank bekommt der Armin auch noch eine Eva (die nicht Eva, sondern Kirsi (Elena Radonicich) heißt) an die Seite gestellt. Kirsi pflegt den fiebernden Armin gesund, kocht ihm, dem Leidverschwitzten, ein Hühnersüppchen, dann schlafen sie miteinander, mehrmals, einmal auch ohne Kondom, denn der Mann produziert nicht nur, er reproduziert sich auch. Der Mann – Armins zweiter saublöder Spruch – liebt die Welt; es ist schließlich seine.

In My Room ist wie der quasi-angegeilte Fiebertraum des deutschen, mikrowellenpragmatischen Einfamilienhausmittelstandes. Lange genug verbringt Köhler unter dem großmütterlichen Dach in einem Siedlungsgebiet im Kreis Herford in Nordrhein-Westfalen, um diesen Traum als Ungrund dieser Welt herauszustellen. Ein Partyboot schlurft über einen Fluss. Darauf Lichterketten und Schnapsnasen, dahinter die Deutschlandflagge. Selbstverständlich ist dieser Film (das erste Gesicht ist das Gesicht von Thomas Oppermann) ein Film über Deutschland. Armin ist nach der Apokalypse dorthin zurückgekehrt, wo er aufwuchs, wo er zuhause ist. Von hier möchte er nicht mehr weggehen, sagt er einmal zu Kirsi, die gerne weiter in den Süden will. Hier ist der Mann verwurzelt, hier kann er bauen. Und wenn In My Room auch ein Film über den immer wilder und wahlloser in Sätze geworfenen Begriff Heimat ist, dann ist er vermutlich sogar ganz explizit ein Film über das Heimatministerielle. In Deutschland kümmert sich ja neuerdings Horst Seehofer um Bau und Heimat – zusammen mit acht Männern, die ihr Land lieben.

Der Film steht bis zum 07.02.2021 in der Arte-Mediathek.

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