In Deep Sleep – Kritik

Jede Einstellung ein Gemälde, jedes Bild eine Narbe. Regisseurin Maria Ignatenko entwirft mit In Deep Sleep eine Welt im Nebel, der Protagonist bewegt sich durch triefnasse Bilder in einem durch und durch trockenen Film.

In Deep Sleep erzählt nicht eigentlich eine Geschichte; als Eckpunkte dienen eine verstorbene Ehefrau und ein Mord. Mehr ist nicht gesagt. Aber präsentiert wird eine Welt von Phantomen in Blaugrau. Victor, wegen Mordes angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt, bleibt auf der Anklagebank stumm. Er – ist es Victor oder der Film? – passiert Revue. Aber sind es überhaupt Erinnerungen? Oder sind es Visionen? Über das Motiv der Tat erfahren wir so wenig wie über die Welt, in der Victor lebt. Das soziale Milieu der Matrosen, Victor arbeitet offenbar auf hoher See, bleibt grob. Holzschnittartig ist daher der Prolog. Bedürftige Männer und mit Malen übersäte Frauen drücken ihre Leiber aneinander: in den Kajüten, im Speise- und Maschinenraum.

Es folgt das erste Kapitel: The Wife’s Death. Eine Tote im Krankenbett, ein Mann – ein Vater? –, braunes langes Haar, das gestreichelt wird. Jede Einstellung ist nun ein Gemälde: und jedes Bild eine Narbe. Regisseurin Maria Ignatenko entwirft mit In Deep Sleep keine soziale Studie, sondern eine Welt im Nebel, Kondensat des Meeres oder gefrierender Atem, eine Welt jenseits westlichen Fortschrittsglaubens: eine anachronistische Welt des TV. Bildschirme flimmern im Hintergrund. Lampen flackern. Sämtliche Lichtelemente, ob in warmer Zurückhaltung oder klinischer Aufdringlichkeit, durchbrechen das Blau in Grau, schlagen Kanten durch die allgegenwärtige Trübe. Der Abgang der Phantome verkündet den Aufzug der Geister. Schlafende in REM-Phasen. Oder sind es Tote? Zweites Kapitel: The Deep Sleep.

Die Luft ist zum Schneiden dick. Und auch verdorbenes Obst hat einen schimmeligen Überzug. Doch Oberflächen werden ansonsten sparsam eingesetzt. Die Kamera bleibt auf Distanz. Nur hier und da rückt sie nah heran. Dann aber sehr nah – schmerzlich nah. Wieder weibliche Körper, teils halb entblößte Körper, die sich nicht mehr anbieten und von keinem Blick mehr in Besitz genommen werden. Sie liegen herum oder werden aus Fahrzeugen gezogen. In schlafwandlerischer Sicherheit tastet die Kamera den stillgestellten Raum ab. Ohne jemals pietätlos oder voyeuristisch zu sein. Diese Bilder sind keine Stimmungsbilder. Sie sind radikale Tristesse. Ein radikal ästhetisches Programm entfaltet sich vor aller Augen – ohne auch nur im Ansatz ästhetizistisch zu sein. Man möchte schauen, aber auch hören: etwa den Lovesong der verstorbenen Frau. Drittes Kapitel: The Only One Awake. Victor, den Song und alle verbliebenen, nichtmenschlichen, industriellen Geräusche im Ohr, bewegt sich durch triefnasse Bilder in einem durch und durch trockenen Film, dem man ein Publikum nur wünschen kann.

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